Seine Leute brüllten vor Lachen, als hätte ihr Anführer einen Witz gemacht.
Intat wandte sich wieder zu Fidelma und zog ein höhnisches Gesicht, das ihn häßlich aussehen ließ.
»Du hast uns entwaffnet, Lady. Wir sind deine Gefangenen.«
Er ließ sein Schwert nicht sinken.
»Meinst du, du wärst nicht verantwortlich für deine Taten, Intat?« fragte sie leise.
»Ich bin nur meinem Fürsten verantwortlich«, höhnte Intat.
»Es gibt eine höhere Autorität als deinen Fürsten«, fuhr Cass ihn an.
»Keine, die ich anerkenne«, erwiderte Intat. »Leg deine Waffe nieder, Krieger, dann geschieht dir kein Leid. Das verspreche ich.«
»Ich habe gesehen, wie du die behandelst, die wehrlos sind«, antwortete Cass spöttisch. »Die Bewohner von Rae na Scrine und die kleinen Kinder auf Moluas Hof hatten keine Waffen. Ich mache mir keine Illusionen über den Wert deiner Versprechungen.«
Intat lachte wieder laut, als belustige ihn der Trotz des Kriegers.
»Dann hast du soeben dein eigenes Urteil gesprochen, du Welpe von Cashel. Berate dich lieber mit der guten Schwester und denke über dein Schicksal nach. Entweder kommst du jetzt um, oder du ergibst dich und lebst noch eine Weile länger. Ich laß euch einen Moment Zeit, darüber zu reden.«
Der rotgesichtige Mann zog sich zu seinen grinsenden Kumpanen zurück, die sich an der Tür drängten.
Cass trat ebenfalls ein paar Schritte zurück, tiefer in die Hütte hinein, das Schwert nach wie vor gezückt.
»Stell dich hinter mich, Schwester«, befahl er ruhig, beinahe aus dem Mundwinkel in so leisem Ton, daß sie ihn kaum hörte. Seinen Blick hielt er fest auf Intat und seine Krieger gerichtet.
»Es gibt keinen Ausweg«, flüsterte sie zur Antwort. »Ergeben wir uns?«
»Du hast gesehen, wozu der Mann fähig ist. Lieber kämpfend sterben als sich wie Schafe abschlachten lassen.«
»Aber die da draußen sind in der Überzahl. Ich hätte auf dich hören sollen, Cass. Wir haben keine Möglichkeit zu entkommen.«
»Einer schon, aber nicht beide«, antwortete Cass leise. »Hinter mir links führt eine Treppe zum Boden. Da oben gibt es ein Fenster. Das habe ich gerade gesehen. Während ich sie aufhalte, rennst du die Treppe rauf und springst aus dem Fenster. Draußen greifst du dir ein Pferd und versuchst in den Schutz der Abtei zu gelangen. Dort kann dich Intat nicht angreifen.«
»Ich kann dich doch hier nicht allein lassen, Cass«, protestierte Fidelma.
»Einer muß versuchen, es nach Ros Ailithir zu schaffen«, erwiderte Cass ruhig. »Der Großkönig ist schon dort, und du kannst seine Truppen holen. Tust du es nicht, kommen wir beide vergebens um. Ich kann sie eine Weile aufhalten. Das ist unsere einzige Chance.«
»He!«
Intat trat einen Schritt vor, ein Lächeln auf seinem roten Gesicht, das Fidelma erschauern ließ.
»Ihr habt genug geredet. Ergebt ihr euch jetzt?«
»Nein, das tun wir nicht«, antwortete Cass. Dann schrie er plötzlich: »Los!«
Damit war Fidelma gemeint. Sie raste die Treppe hinauf. Oft hatte sie sich in der troid-sciathagid geübt, der alten Form des waffenlosen Kampfes, und diese körperliche Ertüchtigung hatte sie gewandt und muskulös werden lassen. Mit wenigen Schritten hatte sie die oberste Stufe erreicht und schwang sich mit einer einzigen fließenden Bewegung aus dem Fenster.
Unter ihr in der Hütte vernahm sie das Klirren von Metall gegen Metall und die schrecklichen tierischen Schreie von Männern, die einander töten wollen.
Neben ihr schlug etwas in die Wand ein. Es war ein Pfeil, der nächste streifte ihren Unterarm. Sie versagte es sich, zurückzublicken, ließ sich fallen und landete auf dem weichen Waldboden hinter der Hütte, auf allen vieren wie eine Katze. Im nächsten Augenblick war sie auf den Beinen und rannte um die Hütte herum zu den Pferden. Außer ihrem und Cass’ Pferd standen dort noch vier, die Intat und seinen Leuten gehörten. Die Männer drängten sich an der Tür der Hütte, wo der Kampf tobte.
Sie stürmte auf das nächste Pferd zu.
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie einer von Intats Männern sich umschaute. Er bemerkte sie und stieß einen Wutschrei aus. Ein weiterer Krieger drehte sich um. Im Gegensatz zu seinem Kameraden trug er kein Schwert, sondern einen Bogen, und er legte bereits einen Pfeil ein. Der erste lief mit erhobenem Schwert auf dasselbe Pferd zu wie sie.
Fidelma erkannte, daß sie das Pferd nicht vor ihm erreichen würde, blieb stehen, fuhr herum und stellte sich ihm sprungbereit entgegen.
Das letztemal hatte Fidelma ihre Fähigkeiten im troid-sciathagid gegen eine riesige Frau in einem römischen Bordell eingesetzt. Sie konnte nur hoffen, daß sie noch gut in Form war. Sie ließ den Mann herankommen, duckte sich, packte ihn am Gürtel und benutzte seinen eigenen Vorwärtsschwung, um ihn über ihre Schulter zu schleudern.
Mit einem Schrei der Überraschung flog er mit dem Kopf voran gegen ein Holzfaß, das zerbrach und ihn mit Wasser überschüttete.
Fidelma duckte sich erneut, als sie das Schwirren einer Bogensehne hörte. Sie spürte den Luftzug des Pfeils, der dicht an ihrem Kopf vorbeiflog. Dann schwang sie sich in den Sattel und stieß dem Pferd die Fersen in die Flanken. Mit einem erschrockenen Wiehern setzte das Pferd über die Lichtung und in den Wald.
Sie hörte erneut Schreie hinter sich, und ihr war klar, daß wenigstens einer von Intats Männern aufgesessen war und sie verfolgte. Ob ein weiterer ihm nachkam, das wußte sie nicht. Sie hatte nur Intat und drei Männer an der Tür der Hütte gesehen. Der, den sie gegen das Faß geschleudert hatte, würde wohl so bald nicht in der Lage sein, ihr nachzusetzen. Mit Intat selbst würde Cass hoffentlich fertig werden. Sie mußte ihren Verfolger abschütteln. Bis zur Abtei war es nicht weit.
Sie schlug den Weg durch den Wald nach Ros Ai-lithir ein und betete, daß der Großkönig bereit sein würde, sofort seine Männer Cass zu Hilfe zu schik-ken. Sie hoffte auch, daß ihr Entkommen Intat von Cass ablenken und Cass die Gelegenheit zur Flucht geben würde, so wie er ihr diese Möglichkeit verschafft hatte.
Nun bereute sie bitter, daß sie Cass’ Rat nicht befolgt hatte.
Tief auf den Hals ihres Pferdes gebeugt, hörte sie sich scharfe Flüche ausstoßen, die ihre Oberin, die Äbtissin von Kildare, zum Erröten gebracht hätten. Sie blickte über die Schulter zurück.
Zwei Reiter folgten ihr in einigem Abstand. In dem ersten erkannte sie Intat selbst. Ihr Herz wurde schwer. Sie versuchte, nicht daran zu denken, was das zu bedeuten hatte. Ohne Zweifel ritt Intat ein stärkeres Pferd als Fidelma, denn er holte deutlich auf.
Verzweifelt lenkte Fidelma ihr Pferd von dem Hauptweg ab in der Hoffnung, daß es querfeldein gutmachen könnte, was es auf gerader Strecke gegenüber den Verfolgern verlor. Es war ein Fehler, denn da sie das Gewirr der Waldwege nicht kannte, wurde sie noch langsamer als auf dem Hauptweg. Intat kam immer näher. Sie hörte schon den Hufschlag seines Pferdes und seine keuchenden Atemzüge.
Plötzlich versperrte ihr ein Fluß den Weg. Es war derselbe Fluß, der an der Holzfällerhütte vorbeifloß und dann einen Bogen schlug. Ihr blieb nichts weiter übrig, als hineinzureiten in der Hoffnung, daß er so flach wie bei der Hütte und zu durchfurten wäre. Es war nicht so. Mitten im Fluß stolperte ihr Pferd, verlor den Grund unter den Füßen und wälzte sich voller Panik im Wasser. Fidelma wurde abgeworfen und von der Strömung fortgerissen, das Pferd fand wieder Boden und sprang ans Ufer.
Verzweifelt schwamm Fidelma weiter, aber Intat trieb bereits sein Pferd in den Fluß.
Er stieß einen lauten Triumphschrei aus.
Sie wandte sich um, sah ihn kommen und versuchte verzweifelt, das jenseitige Ufer zu erreichen. Im Innern erkannte sie, daß ein Entkommen unmöglich war. Sie watete ans Ufer, stolperte und glitt im Schlamm aus.