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Dennoch war Dacan in Ros Ailithir auf die schrecklichste Weise ermordet worden. Der Mörder war nicht entdeckt worden, deshalb trugen der Abt und in letzter Instanz der König von Muman die Verantwortung für das Verbrechen. Der König war für die Sicherheit Da-cans verantwortlich, erstens, weil er Dacan in seinem Königreich willkommen geheißen hatte, und zweitens, weil der Abt sein Verwandter und der König das Oberhaupt der Familie war und damit haftbar für alle Strafen, die über die Familie verhängt wurden. So lautete das Gesetz. Und dieses Gesetz legte genau das Strafmaß fest. Für jeden Todesfall betrug die Strafe sieben cumals, den Gegenwert von einundzwanzig Milchkühen. Das war die grundsätzliche Strafe. Aber wie war es mit dem Sühnepreis für Dacan? Er war ein Vetter des Königs von Laigin. Er war ein Mann des Glaubens, der in allen fünf Königreichen von Eireann für seine Wohltätigkeit und seine Gelehrsamkeit bekannt war.

Als vor mehreren Jahrhunderten der Großkönig Edirsceal von Muman ermordet worden war, hatten der Oberrichter und seine Ratsversammlung entschieden, der Sühnepreis für Edirsceal bestehe darin, daß das Königreich Osraige an Muman abzutreten sei. Nun verlange Laigin, daß Osraige ihm als Sühnepreis für Dacans Tod zurückgegeben werde.

Fidelma saß während Forbassachs Plädoyer mit gesenktem Kopf da. Es enthielt nichts Neues, und er trug seine Worte in einer gemäßigten, leidenschaftslosen und klaren Weise vor, so daß ihm das Gericht mühelos folgen konnte.

Mit einem Blick selbstzufriedener Genugtuung in Fidelmas Richtung kehrte Forbassach zu seinem Platz zurück. Fidelma sah, wie König Fianamail sich vorbeugte und seinem Anwalt lächelnd und anerkennend auf die Schulter klopfte.

»Fidelma von Kildare«, wandte sich Barran den Bänken von Muman zu, »willst du jetzt das Plädoyer für Muman halten?«

»Nein«, sagte sie mit lauter Stimme und sah eine Welle des Erstaunens durch das Gericht laufen. »Ich bin hier, um ein Plädoyer für die Wahrheit zu halten.«

Ein zorniges Gemurmel erhob sich, besonders von den Bänken von Laigin, während Fidelma aufstand und zu der Tribüne vor dem Oberrichter ging. Barran schien nicht gerade begeistert von ihrer dramatischen Eröffnung.

»Ich nehme an, du willst damit nicht sagen, daß wir soeben absichtliche Lügen gehört haben?« In seiner Stimme lag eine gefährliche Kälte.

»Nein«, erwiderte Fidelma ruhig. »Doch wir haben auch nicht die ganze Wahrheit gehört, sondern nur einen so kleinen Teil davon, daß auf der Basis dieser Beweisführung kein sicheres Urteil möglich ist.«

»Worin besteht die Argumentation deines Gegenplädoyers?«

»Sie besteht aus zwei Elementen, Barran. Erstens, der Ehrwürdige Dacan war nicht ehrlich bei der Angabe seiner Vorhaben, als er nach Muman kam. Dieser Mangel an Ehrlichkeit entlastet sowohl den König wie den Abt von ihrer Verantwortung nach dem Gesetz der Gastfreundschaft.«

Laute der Empörung kamen von den Bänken Laigins, und aus dem Augenwinkel sah sie, wie sich Abt Noe bleich vor Ärger vorbeugte und sie in kaum beherrschtem Zorn anstarrte.

»Zweitens«, fuhr Fidelma ungerührt fort, »wenn die Identität des Mörders Dacans enthüllt wird und es sich herausstellt, daß er nicht der Familie des Königs von Cashel angehört und ihm auch nicht in einem Treueverhältnis untersteht, dann besitzt der Anwalt von Laigin kein Recht, einen Anspruch gegen Cashel zu erheben. Darauf läuft mein Plädoyer hinaus.«

Forbassach war aufgestanden.

»Ich erhebe Einspruch gegen dieses Plädoyer. Das erste Argument stellt eine Beleidigung eines mildherzigen und frommen Gelehrten dar. Ein gottesfürchti-ger Mann, der sich jetzt nicht mehr wehren kann, wird der Lüge bezichtigt. Das zweite Argument ist eine bloße Behauptung, die durch keinerlei Beweise gestützt wird.«

Barrans Miene war sehr ernst geworden.

»Du bist erfahren in der Verhandlungsweise der Gerichte, Schwester Fidelma. Daher gehe ich davon aus, daß du für das, was du sagst, Beweise hast?«

»Die habe ich. Aber ich muß um deine Nachsicht bitten, weil dies eine lange und komplizierte Geschichte ist und ich etwas Zeit brauche, um sie dem Gericht darzulegen.«

Sie hielt inne und schaute mit fragendem Blick den Oberrichter an. Barran gab ihr das Zeichen fortzufahren.

»Als mein Bruder Colgü mich bat, den Mord an Dacan zu untersuchen, ahnte ich nicht, was für einen langen und gewundenen Pfad ich zu gehen hatte. Bevor ich sein Ende erreichte, war nicht nur Dacan tot, sondern noch viele andere verloren ihr Leben: Cass aus der Leibgarde der Könige von Cashel, den mein Bruder mir zu meinem Schutz mitgegeben hatte, Schwester Eisten, zwei Nonnen, die im Waisenhaus von Molua arbeiteten, Molua selbst und seine Frau und zwanzig unschuldige kleine Kinder. Dazu kommen noch andere Tote in Rae na Scrine, die niemand gezählt hat.«

Forbassach war aufgesprungen und erhob erneut Einspruch.

»Wir verhandeln hier über den Mord an Dacan und keinen anderen«, rief er zornig. »Das Heranziehen anderer Todesfälle ist lediglich ein Ablenkungsmanöver, mit dem Fidelma den klaren Anspruch Laigins vernebeln will.«

Barran sah den Anwalt Laigins stirnrunzelnd an.

»Du setzt dich wieder, Forbassach, und du wirst verwarnt. Habe ich nicht die sechzehn Kennzeichen eines schlechten Plädoyers aufgezählt? Warte ab, bis die ddlaigh von Cashel ihre Ausführungen beendet hat und bringe dann deine Argumente vor. Ich muß dich darauf hinweisen, daß sie dein Plädoyer nicht ein einziges Mal unterbrochen hat.«

Forbassach sank verärgert auf seinen Platz zurück.

»Ich fahre fort«, sagte Fidelma ruhig. »Es war wirklich eine komplizierte Angelegenheit. Ihre Wurzeln reichen Jahrhunderte zurück in den Streit um das Königreich Osraige. In den letzten Jahrhunderten hat Laigin immer wieder gefordert, daß Osraige in seinen Herrschaftsbereich zurückkehren solle, und jedesmal haben die Brehons der fünf Königreiche in den Ratsversammlungen entschieden, daß es bei der einmal beschlossenen Abtretung an Muman bleibt.

Osraige ist in den letzten zweihundert Jahren von Königen aus dem Stamm der Corco Loigde regiert worden. Dazu kam es, weil der heilige Ciaran von Saighir, dessen Vater aus Osraige und dessen Mutter von den Corco Loigde stammte, seine eigene Familie als Könige einsetzte, nachdem er das Volk von Osrai-ge zum Glauben bekehrt hatte. Seitdem leiden die Nachkommen der ursprünglichen Fürsten von Osrai-ge unter dieser Ungerechtigkeit. Mehrere Könige von Osraige aus dem Stamm der Corco Loigde sind bei Kämpfen in dem umstrittenen Land getötet worden.

Es liegt auf der Hand, daß Laigin, dessen erklärtes Ziel es in all diesen Jahren war, Osraige zurückzubekommen, diese Auseinandersetzungen aufmerksam verfolgt und möglicherweise auch ermutigt hat.«

Von den Bänken der Vertreter Laigins erscholl ein ganzer Chor zorniger Rufe. Viele standen auf und drohten Fidelma mit der Faust.

Der Oberrichter schlug mit seinem Amtsstab auf den Tisch und gebot Ruhe.

Forbassach war aufgesprungen, doch Barran sah ihn durchdringend an, so daß er sich wortlos wieder hinsetzte.

»Ich muß die Vertreter Laigins warnen, daß es ihrer Sache nicht hilft, wenn sie ihren Unmut in dieser Weise äußern.« Dann wandte er sich an Fidelma. »Und dich muß ich daran erinnern, Schwester Fidelma, daß eine Strafe von einem sed fällig ist, wenn ein Anwalt vor Gericht die Zuhörer zu Gewalt anstachelt.«

Fidelma neigte den Kopf.

»Ich bereue, Barran. Ich hätte nicht gedacht, daß meine Worte solchen Zorn erregen, ich glaubte nicht einmal, daß sie bestritten würden. Denn was ich gesagt habe, ist allgemein bekannt.«

An dieser Stelle lehnte sich der Großkönig zu seinem Oberrichter hinüber und flüsterte ihm etwas zu. Der Oberrichter nickte kurz und wies Fidelma an, mit ihrem Plädoyer fortzufahren.