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»Das bestreite ich auch nicht.«

»Seit ungefähr einem Jahr treibst du Handel zwischen Laigin und dem Gebiet der Corco Loigde?«

»Das bestreite ich wiederum ebenfalls nicht.«

»Und du hieltest dich in der Abtei auf in der Nacht, in der der Ehrwürdige Dacan starb?«

»Das ist allgemein bekannt.«

»Du verließest die Abtei am selben Tag und fuhrst direkt nach Laigin. Du begabst dich nach Fearna und meldetest Fianamail und Abt Noe die Ermordung Dacans.«

Assid zögerte und nickte langsam. Er versuchte zu erraten, worauf Fidelma hinauswollte.

»Deshalb war Laigin in der Lage, in dieser Angelegenheit so schnell zu reagieren.« Fidelma richtete diese Worte als Erklärung an die Versammlung, nicht als Frage an Assid. »Sage uns, Assid, denn ich hatte vorher keine Gelegenheit, dich zu vernehmen, wie verlief jener Abend in der Abtei? Sage uns, wann du den Ehrwürdigen Dacan zuletzt lebend gesehen hast und wann du von seinem Tod erfuhrst?«

Assid gab seine aggressive Haltung auf und stützte sich haltsuchend mit dem Gewicht seines Oberkörpers auf die Schranke vor ihm.

»Es stimmt«, sagte er langsam, an den Oberrichter gewandt, »daß ich an dieser Küste Handel treibe und beschlossen hatte, Ros Ailithir anzulaufen und mich eine Nacht im Gästehaus der Abtei auszuruhen. Dort traf ich den Ehrwürdigen Dacan ...«

»Den du als einen Bekannten begrüßtest?« unterbrach ihn Fidelma.

Assid zögerte und zuckte die Achseln.

»Wer in ganz Laigin kennt den Ehrwürdigen Dacan nicht?« konterte er.

»Aber du kanntest ihn besser als die meisten Leute, denn du begrüßtest ihn als einen alten Freund. Dafür gibt es einen Zeugen«, setzte sie hinzu für den Fall, daß er es leugnen wollte.

»Dann bestreite ich es nicht«, erwiderte Assid.

»Ich frage mich, weshalb du Ros Ailithir anliefst? War es reiner Zufall? Nein. Es gibt noch andere Gästehäuser an der Küste. Du hättest sogar in Cuan Doir übernachten können. Doch du kamst hierher. Das läßt mich vermuten, daß du dich mit Dacan verabredet hattest.«

Assid schaute unbehaglich drein. Offensichtlich hatte Fidelma mit ihrer Annahme recht.

»Also fragte ich mich, warum du dieses Treffen mit Dacan verabredet hattest. Sagst du es uns, oder soll ich es erklären?«

Assid versuchte ein Zeichen von den Bänken von Laigin zu erhaschen.

Fidelma holte die Buchtasche von der Bank, auf der sie gesessen hatte, und nahm mehrere Stücke Pergament heraus.

»Ich lege hier als Beweisstück den Entwurf eines Briefes von Dacan an seinen Bruder, Abt Noe, vor, in dem er diesen davon unterrichtet, daß er den Aufenthaltsort eines überlebenden Erben Illans entdeckt hat, und er tut das in Worten, die kaum einen Zweifel daran lassen, daß er mit dieser Nachforschung beauftragt war und daß er damit rechnete, daß sein Bruder daraufhin etwas unternehmen werde.

Zum Glück für uns machte Dacan einen Tintenfleck auf diesen Entwurf. Als peinlich genauer und systematischer Mensch legte er ihn beiseite und schrieb einen neuen Brief. Entweder vergaß er, den Entwurf zu vernichten, oder er wurde ihm gestohlen, bevor er das tun konnte. Jedenfalls befand er sich im Besitz von Schwester Grella, und deshalb können wir beweisen, daß Dacan im Auftrag seines Bruders handelte.«

Fidelma machte sich nicht die Mühe, zu den Bänken von Laigin hinüberzusehen. Dort war es merkwürdig still, während Barran das Beweisstück prüfte, das Fidelma ihm gereicht hatte.

»Und du sagst, daß Assid die Reinschrift dieses Briefes erhielt und den Bericht zu Noe brachte?« fragte Barran.

Fidelma neigte bejahend den Kopf.

Der Oberrichter wandte sich an Forbassach als den Anwalt für Laigin. Seine Miene war finster.

»Forbassach, die Beweislage ist klar. Ich muß dich jetzt warnen. Der Gesetzestext, das Din Techtugad, bestimmt, daß jemand, der ein falsches Zeugnis ablegt, damit seinen Sühnepreis verwirkt. Falsches Zeugnis ist eine der drei Vergehen, die Gott am strengsten bestraft. Ich will zu diesem Zeitpunkt noch keine Strafe aussprechen, sondern gebe dem Abt Noe Zeit, darüber nachzudenken.« Er wandte sich wieder an Fidelma. »Fahre bitte fort, Schwester.«

»Gibst du das zu, Assid, oder leugnest du es?« fragte sie.

Assid ließ den Kopf hängen.

»Ich gebe zu, daß ich herkam, um eine Botschaft von Dacan abzuholen und sie seinem Bruder Noe zu bringen. Nach dem Abendessen traf ich mich mit Da-can, und er gab mir den Brief. Wir wechselten ein paar erregte Worte, weil er mir nicht sagen wollte, was darin stand, und mir einen Eid abnahm, daß ich ihn nicht öffnen würde. Ich habe immer noch keine Ahnung, was in dem Brief stand. Dann ging ich zu Bett. Am Morgen hörte ich, daß Dacan umgebracht worden war. Bruder Rumann, der Verwalter der Abtei, fragte mich, wo ich mich während der Nacht aufgehalten hatte. Als ihm klar war, daß ich nichts wußte, gab er mir die Erlaubnis abzureisen. Ich verließ die Abtei und fuhr direkt nach Laigin. Den Brief nahm ich natürlich mit. Ich berichtete Abt Noe, was geschehen war. Das ist alles, was ich mit dieser Sache zu tun habe.«

»Noch ein paar Fragen. Wann hast du Dacan zuletzt lebend gesehen?«

»Gleich nach der Completa, dem letzten Gottesdienst des Tages. Kurz nach Mitternacht, würde ich sagen.«

»Wo hast du ihn gesehen?«

»In seinem Zimmer, als er mir den Brief übergab.«

»Und wo war dein Zimmer?«

»In dem Stockwerk über Dacans.«

»Du hast also nichts gehört, nachdem du ihn verlassen hattest? Zu welcher Zeit war das?«

Assid zog die Brauen zusammen und versuchte sich zu erinnern.

»Nach Mitternacht. Ich hörte nur noch etwas, als ich die Treppe hinaufging. Ich hörte, wie Dacan nach der jungen Novizin klingelte, die uns im Gästehaus bediente. Ich hörte, wie er zu ihr sagte, sie solle ihm Wasser bringen.«

»Du kannst jetzt abtreten, es sei denn, Forbassach will dir noch Fragen stellen.«

Forbassach hatte sich schnell mit dem grimmig dreinblickenden Abt Noe besprochen. Er antwortete, er habe keine Fragen an Assid.

Fidelma wandte sich nun an den Oberrichter.

»Wir haben gehört, daß es Dacan gelungen war, den Aufenthalt der Erben Illans zu ermitteln. Er berichtete seinem Bruder Noe, daß er am nächsten Tag nach Sceilig Mhichil aufbrechen werde, um sie dort zu finden.«

»Meinst du damit, daß er getötet wurde, weil man ihn daran hindern wollte?« fragte Barran.

»Er wurde getötet, weil man fürchtete, er würde Il-lans Erben Schaden zufügen.«

»Aber du hast doch erklärt, die Söhne Illans wären bereits aus Sceilig Mhichil abgeholt und Schwester Eisten in Obhut gegeben worden. Stimmt das nicht?«

»Die Geschichte wird kompliziert. Als Illan getötet wurde, gab man seine Söhne einem seiner Vettern in Pflege, der sie aufziehen sollte.«

Fidelma fuhr herum und zeigte auf die Bänke, wo die Angehörigen der Abtei saßen.

»Es war Bruder Midach aus dieser Abtei, der der Pflegevater der beiden Jungen wurde, die man in Scei-lig Mhichil als Primus und Victor kannte.«

Midach saß unbewegt da. Auf seinem Gesicht war ein leichtes Lächeln eingefroren. Er schwieg. Fidelma fuhr fort: »Dacan glaubte, Illans Vetter Pater Mel von Sceilig Mhichil sei der Pflegevater. In der Hinsicht hatte er das Testament nicht sorgfältig genug gelesen. Darin heißt es eindeutig: >Die Entscheidung des Ehrenwerten bestimmt die Pflegschaft meiner Kinder.< Weiß hier nicht jeder, daß der Name Midach >der Eh-renwerte< bedeutet? Midach wurde als aite oder Pflegevater der Söhne Illans eingesetzt.

Entweder aus Mißtrauen oder durch Zufall las Mi-dach die Aufzeichnungen Dacans in der Bibliothek und erkannte, daß der alte Gelehrte nach den Kindern Illans suchte. Dacan überraschte Midach, als der in seinen Aufzeichnungen las, und sie gerieten in Streit. Bruder Martan kann das bezeugen. In Sorge um seine Schützlinge verließ Midach die Abtei noch am selben Abend und fuhr nach Sceilig Mhichil. Er holte die Jungen dort weg und brachte sie zu Schwester Eisten, seiner früheren Schülerin. Er konnte sie danach noch ein paarmal besuchen unter dem Vorwand, das Dorf mit Medikamenten gegen die Gelbe Pest zu versorgen. Er wurde dort gesehen und mir beschrieben. Die wahren Namen der Kinder Illans sind Cetach und Cos-rach. Würde man diese Namen ins Lateinische übersetzen, ergäbe das Primus und Victor, wie sie auf Scei-lig Mhichil genannt wurden.