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»Er hatte einen Verdacht, wer ich war, das weiß ich!« protestierte Nechtan und sprach damit zum erstenmal. Seine früher schon dunkle Stimme klang etwas schärfer und männlicher, verriet aber kein Gefühl. »Entweder sein Leben oder meins, so standen die Dinge. Er hätte mich getötet, wenn er gewußt hätte, wer ich bin.«

Forbassach saß da und schüttelte verständnislos den Kopf. Fidelma wies auf ihn.

»Du kannst dem ehrenwerten Anwalt von Laigin glauben, wenn er sagt, daß Dacan und Laigin den Kindern Illans nicht schaden wollten«, meinte Fidelma. »Also hast du Dacan aus einer unbegründeten Furcht heraus umgebracht, Nechtan. Dacan suchte nach dir, weil Laigin deinen Anspruch auf die Königsherrschaft in Osraige unterstützen wollte. Man könnte deine Furcht als verständlich bezeichnen. Aber was deine Tat schändlicher macht, Nechtan, ist dein Versuch, eine Spur zu Schwester Grella zu legen.«

»Ich wußte, daß Schwester Grella mit Dacan zusammenarbeitete. Ich wußte auch, daß Grella Salbachs Geliebte war«, verteidigte sich Nechtan. »Als Midach abreiste, um meine Brüder zu retten, beschloß ich, uns alle zu retten. Wenn Grella des Mordes an Dacan beschuldigt würde, wäre das lediglich eine gerechte Vergeltung.«

»Du versuchtest das ganze Material zu vernichten, das Dacan gesammelt hatte und aus dem deine Identität und die deiner Brüder hervorging. Du wußtest aber nicht, daß Grella den Entwurf von Dacans Brief an seinen Bruder an sich genommen hatte, um ihn Salbach zu zeigen. Außerdem hast du nicht darauf geachtet, daß ein Ogham-Stab in Dacans Zimmer unter das Bett gerollt war. Du verrietest Entsetzen, als ich ihn fand. Deshalb mußtest du mir in die Bibliothek folgen, als ich ihn Grella brachte, damit du sicher wärst, daß er nichts preisgebe. Grella erkannte ihn und tat so, als stünde etwas ganz anderes darauf, um mich von der Spur abzulenken. Ich ließ den Stab in der Bibliothek, und später am Abend kehrtest du dorthin zurück und verbranntest ihn mit den anderen Ogham-Stäben, um deine Spuren zu verwischen.«

»Aber Dacan wurde gefesselt, bevor er getötet wurde«, wandte der Oberrichter ein. »Wie brachte der Junge das fertig?«

»Er wurde gefesselt, nachdem er getötet wurde, um Grella stärker zu belasten. Es war klar, daß er nicht vorher gefesselt wurde, denn die Stoffstreifen von Grellas Rock waren so mürbe, daß der Schwächste diese Fesseln hätte zerreißen können. Das merkte ich schon zu Anfang meiner Untersuchung und wußte, daß ich es mit einem sorgfältig ausgetüftelten Plan zu tun hatte.«

Fidelma sprach nun direkt zu Nechtan.

»Du mußt wohl den ganzen Rest der Nacht wach gelegen und über deine Tat nachgedacht haben. Dann hast du beschlossen, daß du nicht nur eine Spur legen mußt, die den Verdacht von dir weglenkt, sondern du wolltest auch, wie du zugegeben hast, Gerechtigkeit üben an einer Person, die du zu deinen Feinden zähltest.«

Nechtan stand da und schwieg.

»Du hast gewartet, bis die Glocke zur Frühmette rief, und beobachtet, wie Schwester Grella zum Gottesdienst ging. In der Hoffnung, daß noch niemand Dacans Leiche entdeckt hatte, schlichst du dich in Grellas Zimmer und fandest einen alten Leinenrock, von dem du Streifen abreißen konntest. Es war das einzige unverwechselbare Kleidungsstück, das dir in die Hände fiel. Wahrscheinlich hast du gehofft, sie würde den Rock oft tragen und die fehlenden Streifen würden sofort auffallen. Dir war nicht klar, daß keine Nonne einen solchen Rock tragen würde und daß es einfach ein alter abgelegter Rock war.

Mit den Streifen gingst du in Dacans Zimmer. Es war dunkel. Die Öllampe war leergebrannt. Also fülltest du sie auf und zündetest sie wieder an. Offensichtlich war noch niemand dagewesen. Dann bandest du Dacan an den Knöcheln und an den Händen. Um ihm die Hände auf dem Rücken zu binden, mußtest du die Leiche auf dem Bett umdrehen, mit der Brust nach unten, wodurch Blutflecke auf die Decke gerieten. Das erschien mir merkwürdig, denn Dacan lag mit dem Rücken auf dem Bett und hatte Wunden in der Brust, und das Blut befand sich auf der Decke unter der Leiche. Die Leiche war also zu irgendeinem Zweck bewegt worden. Danach gingst du fort, hast aber vergessen, die Lampe zu löschen. Eine halbe Stunde später kam Bruder Conghus. Deine falsche Fährte bewirkte damals nichts. Niemand war so erfahren, ihre Bedeutung zu erkennen. Sie ergab keinen Sinn, bis ich mehr als eine Woche später eintraf, um die Spur aufzunehmen.

Als ich von Sceilig Mhichil zurückkehrte und feststellte, daß verschiedene Gegenstände aus dem Beutel verschwunden waren, den ich bei Abt Brocc zurückgelassen hatte, begann ich zu ahnen, was geschehen sein könnte. Man hatte die Gegenstände gestohlen, die Hinweise auf die Söhne Illans enthielten. Geblieben waren die Beweisstücke, die Schwester Grella mit dem Mord in Verbindung brachten.«

Fidelma hielt inne und wartete auf eine Äußerung des Jungen. Nach einer Pause redete Barran ihn an.

»Du sagst nichts. Gibst du das alles zu?«

Der Junge zuckte die Achseln.

»Ich habe nichts zu sagen. Ich handelte in Notwehr.«

»Das bedeutet praktisch ein Geständnis«, warnte ihn der Oberrichter.

»Wenn du es sagst«, antwortete der Junge ungerührt.

Midach trat vor und umarmte den Jungen mit sorgenvollem Gesicht.

»Mein Sohn, ich bin dein anamchara und dein Pflegevater. Ich habe dich in allen Dingen geleitet. Ich werde dir den besten Anwalt zu deiner Verteidigung beschaffen.«

Midachs Miene war voller Angst, als er Fidelma ansah.

»Es ist mein Fehler. Es ist allein mein Fehler! Ich habe ihm die Furcht vor Dacan eingegeben.« Er wandte sich an den Oberrichter. »Kann ich die Schuld für diesen Jungen auf mich nehmen?«

Barran schüttelte den Kopf.

»Der Junge hat das Alter der Wahl erreicht. Er ist verantwortlich für sein Tun wie ein Erwachsener. Was seine Angst vor Dacan betrifft, so hast du ihr nur eine greifbare Form verliehen, denn offensichtlich haßte der Junge Dacan bereits und fürchtete ihn aus diesem Haß heraus.«

»Ja, er handelte aus Furcht. Selbst Fidelma von Kil-dare ist der Meinung.«

»Das mag so sein. Doch einen unschuldigen Menschen absichtlich zu belasten ist ein noch schlimmeres Verbrechen.«

»Noch ein Wort, Barran«, unterbrach ihn Fidelma. »Dieses Gericht hat seine Pflicht erfüllt, wenn es den Abt von Ros Ailithir und den König von Muman von jeglicher Schuld am Tode Dacans von Fearna freispricht. Diese Ratsversammlung muß sich darauf beschränken, den Anspruch Laigins auf Schadenersatz zu beurteilen. Es ist nun an diesem Gericht, seinen Spruch zu fällen. Eine weitere Aufgabe hat es nicht.

Nechtan wird sich vor einem anderen Gericht für seine Taten zu verantworten haben, ebenso wie Sal-bach, dessen Verbrechen alle anderen weit übertreffen. Dieses andere Gericht möge dann auch entscheiden, welcher Grad an Schuld Nechtan zuzumessen ist. Und wenn Nechtan es wünscht, werde ich ihn als sein Anwalt vertreten, denn ich meine, kein Junge, ob er nun gerade das Alter der Wahl erreicht hat oder nicht, sollte so sehr um sein Leben fürchten müssen wie die drei Söhne Illans im letzten Jahr. Ich bin der Ansicht, daß diese Furcht seine Schuld in gewissem Maße mindert, wenn nicht sogar aufhebt.«

Midach starrte Fidelma verwundert an, wie viele andere auch.

Barran räusperte sich.

»Ich danke dir, Fidelma von Kildare«, sagte er trok-ken, »daß du mich an unsere Aufgabe erinnert hast. Ich glaube allerdings, daß ich oder die Ratsversammlung sie auch sonst nicht vergessen hätten.«

Fidelma senkte den Kopf unter der milden Ironie des Oberrichters.

»Anwälte von Cashel und Fearna, habt ihr eure Plädoyers und Gegenplädoyers abgeschlossen?« fragte der Oberrichter nun.

Fidelma zögerte einen Moment, dann ergänzte sie: »Ich möchte das Gericht noch einmal an das erinnern, was ich zu Anfang sagte. Dacan kam, wie inzwischen auch sein Bruder Noe zugegeben hat, mit dem heimlichen Auftrag in dieses Königreich, den Aufenthalt der Söhne Illans zu ermitteln, damit sie für die politischen Ziele des Königreichs Laigin eingesetzt werden könnten. Ich behaupte, daß auf Grund dieser Täuschung Dacan jeden Anspruch verwirkt hat, den er oder seine Verwandten nach dem Gastrecht erheben könnten.