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Fidelma musterte die Reiterin mit zusammengekniffenen Augen. Es war eine schmächtig gebaute Frau von etwa dreißig Jahren. Dunkles, fast schwarzes Haar fiel ihr in dichten Locken auf die Schultern, von einem schmalen geflochtenen Silberreif um die Stirn gehalten. Sie trug einen Mantel, eine lange Scheide mit einem gut gearbeiteten Schwert und an der rechten Seite einen reich verzierten Dolch. Ihr Gesicht war leicht gerundet, fast herzförmig und nicht unschön. Der Mund war voll und rot, der Teint blaß, die Augen waren dunkel. Sie blitzten herausfordernd.

»Fremde!« Ihre Stimme war rauh und paßte nicht zu ihrer Erscheinung. »Und noch dazu Christen. Das sehe ich an eurer Kleidung. Ich sage euch, ihr seid in diesem Lande nicht willkommen!«

Fidelmas Mund wurde schmal bei dieser unhöflichen Begrüßung.

»Der König dieses Landes wäre nicht erfreut, wenn er hörte, ich wäre hier nicht willkommen«, erwiderte sie sanft.

Nur Eadulf spürte den unterdrückten Zorn in ihrem ruhigen Ton.

Die dunkelhaarige Frau zog leicht die Brauen zusammen.

»Das glaube ich nicht, Frau des Gottes Christus. Du sprichst mit seiner Schwester.«

Fidelma machte ein spöttisch zweifelndes Gesicht.

»Du behauptest, du wärst die Schwester des Königs dieses Landes?« fragte sie ungläubig.

»Ich bin Orla, die Schwester von Laisre, der über dieses Land herrscht.«

»Ach so.« Fidelma begriff, daß die Frau den Titel König anders interpretiert hatte. »Ich spreche nicht von Laisre, dem Fürsten von Gleann Geis; ich spreche vom König von Cashel, vor dem Laisre niederknien muß.«

»Cashel ist weit von hier«, gab die Frau verärgert zurück.

»Aber Cashel reicht weit, und es übt Gerechtigkeit bis in alle Enden des Königreichs.«

Fidelma sprach mit einer ruhigen Festigkeit, die Orla stutzig machte. Sie war es anscheinend nicht gewohnt, daß ihr jemand mit Zuversicht und auf gleicher Rangstufe entgegentrat.

»Wer bist du, Frau, daß du so unbesorgt in Laisres Land reitest?« Ihre dunklen Augen funkelten Eadulf böse an, der gelassen im Sattel saß. »Und wer bist du, daß du es wagst, einen fremden Geistlichen in dieses Land zu bringen?«

Ein stämmiger Krieger schob sein Pferd aus der Kolonne nach vorn. Er war ein häßlicher Kerl mit einem buschigen schwarzen Bart und der Narbe einer alten Wunde über einem Auge.

»Lady, du brauchst diese Leute, die die weibische Kleidung ihrer fremden Religion tragen, nicht weiter zu fragen. Sie sollen verschwinden, oder ich mache ihnen Beine.«

Orla warf dem Krieger einen zornigen Blick zu.

»Wenn ich deinen Rat brauche, Artgal, dann frage ich dich danach.« Nach dieser Abfuhr wandte sie sich wieder Fidelma zu. Ihre feindselige Miene hatte sich nicht verändert. »Sprich, Frau, und erkläre mir, wer es wagt, die Schwester des Fürsten von Gleann Geis über die Pflichten ihres Bruders zu belehren.«

»Ich bin Fidelma ... Fidelma von Cashel.«

Absichtlich oder zufällig machte Fidelma eine Bewegung im Sattel, durch die die in den Falten ihres Gewandes verborgene Goldene Kette herausglitt und im Sonnenlicht glitzerte. Orlas dunkle Augen weiteten sich, als sie sie erkannte.

»Fidelma von Cashel?« wiederholte Orla zögernd. »Fidelma, die Schwester von Colgü, dem König von Muman?«

Fidelma gab keine Antwort, in der Annahme, daß Orla sie ohnehin wüßte.

»Dein Bruder Laisre erwartet mich als Abgesandte von Cashel«, fuhr sie fort, als sei ihr die Reaktion auf ihre Worte gleichgültig. Sie langte in ihre Satteltasche und nahm den weißen Stab mit dem goldenen Hirsch darauf heraus, das Zeichen ihrer Gesandtschaft vom König von Cashel.

Es trat eine Pause ein, in der Orla ihn wie gebannt anstarrte.

»Nimmst du den weißen Stab an oder wählst du das Schwert?« fragte Fidelma mit dem Anflug eines Lächelns. Abgesandte, die in ein feindliches Land kamen, wiesen entweder den Stab oder das Schwert vor als symbolische Verkündigung von Frieden oder Krieg.

»Mein Bruder erwartet einen Vertreter aus Cashel«, gab Orla langsam zu und blickte vom Stab auf und Fidelma unsicher ins Gesicht. In ihrem Ton schwang widerwilliger Respekt mit. »Aber es sollte ein Vertreter sein, der die Vollmacht besäße, mit Laisre über kirchliche Fragen zu verhandeln. Jemand mit der Vollmacht .«

Fidelma unterdrückte einen Seufzer der Ungeduld.

»Ich bin Anwältin bei den Gerichten der Brehons und besitze den Grad eines anruth. Ich bin der Vertreter, den er erwartet, und ich spreche für meinen Bruder Colgü, seinen König.«

Orla vermochte ihre Überraschung nicht zu verbergen. Der Grad eines anruth war der zweithöchste, den die kirchlichen und weltlichen Hochschulen Irlands zu vergeben hatten. Fidelma konnte mit Königen verkehren, sogar mit dem Großkönig, von kleinen Fürsten ganz zu schweigen.

Die Dunkelhaarige schluckte schwer und war spürbar beeindruckt, doch ihre Miene blieb hart und unfreundlich.

»Im Namen von Laisre von Gleann Geis heiße ich dich willkommen, techtaire.« Eadulf brauchte einen Augenblick, um das alte Wort für Gesandter zu verstehen. Orla fuhr fort: »Doch dir als einer Vertreterin der neuen Religion von Christus sage ich, du bist hier nicht willkommen. Der Fremde, den du mitbringst, ist es auch nicht.«

Fidelma beugte sich vor und fragte klar und deutlich: »Soll das eine Drohung sein? Sind die geheiligten Gesetze der Gastfreundschaft im Lande Laisres abgeschafft? Nimmst du das Schwert anstatt dieses Zeichens hier?«

Sie erhob den weißen Stab und hielt ihn Orla fast kampfbereit entgegen. Die Sonne glänzte hell auf der goldenen Figur des Hirsches.

Orlas Wangen röteten sich, und sie hob trotzig das Kinn.

»Ich bedrohe dein Leben nicht. Nicht einmal sein Leben.« Sie wies mit einer Kopfbewegung auf Eadulf. »Dir wird nichts geschehen und dem Fremden auch nicht, solange er unter deinem Schutz steht. Wir sind keine Barbaren hier in Gleann Geis. Gesandte gelten nach dem Gesetz als geheiligt und unantastbar und werden mit äußerstem Respekt behandelt, auch wenn sie unsere bittersten Feinde sind.«

Eadulf machte eine unsichere Bewegung, denn hinter ihren Worten lauerte eine tödliche Drohung.

»Das ist gut zu wissen, Orla«, antwortete Fidelma ruhig, entspannte sich und steckte den Stab wieder in ihre Satteltasche. »Ich habe nämlich gesehen, was mit Leuten geschieht, denen solcher Schutz vor dem Tod nicht gewährt wird.«

Eadulf sank der Kiefer herab, und Angst überfiel ihn. Wenn Orla und ihre Krieger am Tod der jungen Männer da hinten im Tal schuld waren, dann brachte Fidelma mit dem Eingeständnis, daß sie davon wußten, ihr Leben in beträchtliche Gefahr. Er hatte gedacht, sie würde vorsichtiger mit diesem grauenvollen Fund umgehen. Da vernahm er plötzlich das ferne Krächzen der Vögel und schaute sich furchtsam um. Es war offenkundig, daß im fernen Teil des Tals, in dem die Leichen lagen, sich etwas Ungewöhnliches abspielte, und die Krieger von Orlas Leibwache mußten die Aasfresser ohnehin schon erkannt haben.

Doch Orla schaute Fidelma etwas verblüfft an. Sie hatte die kreisende Wolke ferner Raben anscheinend noch nicht bemerkt.

»Ich weiß nicht, was du damit meinst.«

Fidelma deutete mit dem Arm lässig über das Tal.

»Siehst du dort die schwarzen Todesvögel? Sie fressen an Leichen.«

»Leichen?« Orla fuhr auf und erblickte die Vögel wohl zum erstenmal.

»Dreiunddreißig junge Männer, die den Dreifachen Tod gestorben sind.«

Orla biß plötzlich die Zähne zusammen; sie war bleich und zwang sich, Fidelma anzuschauen. Sie brauchte einen Moment, um eine Antwort zu finden.

»Soll das ein Scherz sein?« fragte sie kühl.

»Ich scherze nicht.«

Orla wandte sich an den schwarzbärtigen Krieger, den sie vorher wegen seiner Einmischung getadelt hatte.