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Ja, dieses Tal bot ein eindrucksvolles Bild, doch trotz seiner Weite und Länge wurde Eadulf von einer überwältigenden Klaustrophobie gepackt, als er zu den Bergen ringsum aufblickte. Er hatte das Gefühl, eingeschlossen, eingesperrt zu sein. Er schaute Fidelmaan und sah, daß auch sie die atemberaubende Landschaft eingehend betrachtet hatte. Ihre Miene zeigte denselben Respekt.

Orla hatte ihre Gesichter bei dieser Umschau mit einem leicht spöttischen Lächeln der Befriedigung beobachtet.

»Jetzt werdet ihr verstehen, warum dies das Verbotene Tal heißt«, bemerkte sie.

Fidelma sah sie ernst an.

»Unzugänglich - ja«, antwortete sie, »doch weshalb verboten?«

»Die Barden unseres Volkes singen von der Vorzeit. Es soll in jenen Tagen gewesen sein, als Oillil Olum als Richter in Cashel herrschte und wir außerhalb dieses Bereichs wohnten. Wir lebten im Schatten eines mächtigen Lords der Fomorii, der mit seiner Habgier und seiner Wollust unser Land und unser Volk verheerte. Schließlich beschloß unser Fürst, mit unserem Volk aus dem Machtbereich des Tyrannen der Fomorii fortzuziehen und sich ein neues Land als Wohnsitz zu suchen. So kamen wir schließlich hierher. Wie ihr seht, fanden wir hier einen natürlichen Schutz vor unseren Feinden. Es gibt nur einen Weg hinein in dieses Tal und denselben Weg hinaus .«

»Außer den Fluß«, warf Eadulf ein.

Die Frau lachte.

»Nur wenn du ein Lachs bist, kannst du auf diesem Weg in das Tal gelangen. Der Fluß bricht durch den Felsen und stürzt über viele Schnellen und Wasserfälle. Da kommt kein Boot hinauf oder hinunter. Nein, dies ist eine natürliche Festung, und es darf nur hinein, wen wir einladen. Für die, die wir nicht in Freundschaft begrüßen wollen, bleibt es das Verbotene Tal. Ein paar tüchtige Krieger können die Schlucht sperren, wie ihr gesehen habt.«

»Ich habe auch gesehen, daß ihr sehr viele Krieger besitzt, ungewöhnlich viele für so einen kleinen Clan«, meinte Fidelma.

Orla wies das zurück.

»Es sind keine Berufskrieger, wie ihr sie in Cashel habt. Dafür ist unser Clan zu klein. Jeder unserer Krieger hat noch andere Aufgaben zu erfüllen. Artgal zum Beispiel ist Schmied und hat außerdem einen kleinen Bauernhof. Jeder Mann tut abwechselnd Dienst, um unsere Sicherheit vor möglichen Feinden zu gewährleisten. Doch meist sind wir von der Hand der Natur geschützt.«

»Ein abgeschiedenes Dasein.« Eadulf seufzte. »Wie viele Menschen leben hier unter Laisres Herrschaft?«

»Fünfhundert«, gestand Orla.

»Wenn ihr hier schon seit Generationen lebt, muß das nicht euer Wachstum als Volk begrenzen?«

Orla versuchte vergeblich, Eadulfs umständlich umschriebene Frage zu verstehen.

»Was mein Bruder in Christo meint«, schaltete sich Fidelma ein, die wußte, worauf er hinauswollte, »bezieht sich auf den Inzest.«

Orla sah überrascht drein.

»Aber Inzest ist durch das Gesetz verboten.«

»Doch in einer kleinen Gemeinschaft, die seit Jahren in diesem abgeschlossenen Tal wohnt ...«, erklärte Eadulf.

Jetzt begriff Orla und schaute ihn mißbilligend an.

»Das Cdin Ldnamna legt fest, daß es nur neun Arten von Heiraten geben darf, und daran halten wir uns. Wir sind nicht so primitiv, wie du uns hinstellst, Angelsachse. Unsere Barden führen sorgfältige Geschlechtsregister, und wir bedienen uns eines Heiratsvermittlers, der für uns auf Reisen geht.«

»Wer spricht Recht bei euch?« fragte Fidelma interessiert.

»Murgal, der Druide meines Bruders. Er ist unser Brehon und zugleich unser geistlicher Ratgeber. Sein Ruf hat nicht seinesgleichen in diesem Teil des Landes. Ihr werdet ihn bald kennenlernen, denn er wird für Laisre die Verhandlung führen. Doch wir verlieren Zeit, laßt uns weiterreiten zum rath meines Bruders.«

Fidelma sah die Frau verstohlen an. Sie empfand Achtung vor Orlas festem Sinn und ihrer natürlichen Autorität, wenn sie auch mit ihren Auffassungen nicht übereinstimmte.

Ihr Weg führte von der Schlucht leicht abwärts auf ein Feld mit verstreuten Felsbrocken zu. In ihrer Mitte erhob sich am Wege eine mächtige gemeißelte männliche Figur in fast dreifacher Lebensgröße. Sie saß mit gekreuzten Beinen da, ein Bein etwas unter den Körper gezogen. Auf dem Kopf trug sie ein ausladendes Geweih, um den Hals den Goldreif eines Helden. Die Arme waren so weit erhoben, daß die Hände sich in Schulterhöhe befanden. Die linke Hand hielt einen zweiten Reif, die rechte Hand hatte eine lange Schlange dicht hinter dem Kopf erfaßt.

Eadulf fielen beinahe die Augen aus dem Kopf, als er das große heidnische Idol erblickte.

»Soli Deo gloria!« keuchte er. »Was ist denn das?«

Fidelma blieb ungerührt.

»Das ist Lugh Lamhfada - Lugh mit der Langen Hand -, der in alten Zeiten verehrt wurde .«

»Und hier weiter verehrt wird«, ergänzte Orla finster.

»Eine böse Erscheinung«, brummte Eadulf.

»Keineswegs«, erwiderte Orla scharf. »Er ist der Gott des Lichts und der Gelehrsamkeit, berühmt für sein glänzendes Antlitz, der Gott aller Künste und Handwerke, der Vater des Helden Cüchulainn von der sterblichen Frau Dechtire. Ihn feiern wir beim Fest Lughnasadh, das im nächsten Monat abgehalten wird, wenn wir die Ernte einbringen.«

Eadulf bekreuzigte sich rasch, als sie die unbewegliche Steinfigur passierten, deren graue steinerne Augen sie gleichmütig anstarrten.

Sie ritten schweigend das Tal entlang auf den rath zu. Eadulf fand seinen ersten Eindruck bestätigt, daß es eine reiche Enklave war. Die Berge schützten das Tal vor den Winden, fingen aber zugleich die Regenwolken ab, die es fruchtbar machten. Hier und da hatten die schweren Regenfälle über die Jahrtausende hinweg kleine sumpfige Flächen gebildet, doch im ganzen war es ein ertragreiches Land für Obstbäume wie für Ackerbau. Schafe, Ziegen und Rinder grasten an den Hängen.

Ab und zu starrten Leute sie an, an denen sie vorüberkamen; manche begrüßten Orla mit einer Vertraulichkeit, die sie erwiderte. Fidelma hatte den Eindruck, daß hier trotz der Verschiedenheit in der Religion ein zufriedenes und selbstgenügsames Volk lebte. Das verblüffte sie, denn es paßte nicht zu dem schrecklichen Bild, das sich ihren Augen draußen vor diesem Tal dargeboten hatte.

Als sie sich den grauen Granitmauern des rath näherten, sah Fidelma, daß es sich nicht um eine zur Zierde errichtete Burg handelte. Trotz des natürlichen Schutzes des Tals waren ihre Mauern und Zinnen in einer Weise aufgeführt, daß selbst im Falle eines Einbruchs einer feindlichen Macht in das Tal die Burg noch von wenigen Kriegern gegen ein ganzes Heer verteidigt werden konnte. Sie war von Kennern der Kriegskunst erbaut worden. Wieder stellte sich Fidelmadie Frage, warum so ein kleiner Clan solche Verteidigungsanlagen brauchte, wenn das Tal schon von Natur aus geschützt war.

In den alten Zeiten, als Stamm gegen Stamm um das beste Land und um die Vergrößerung seines Reichtums kämpfte, waren solche Festungen natürlich in den fünf Königreichen weit verbreitet. Cashel selbst war errichtet worden, um die Eoghanacht vor ihren neidischen Nachbarn zu schützen, und ebenso die anderen Hauptburgen wie Tara, Navan, Ailech, Crua-chan und Ailenn. Diese Burg besaß zwar bei weitem nicht die Größe der anderen, doch es war eine starke und gut konstruierte Festung mit mehreren zwei- und sogar dreistöckigen Gebäuden. Auch ein mächtiger Wachturm war zu erkennen.

Sie bemerkte mehrere Wachposten, die von den Mauern des rath herab ihre Annäherung beobachteten. Auch neugierige Männer und Frauen drängten sich dort. Zwei Krieger standen am offenen Tor der Burg. Es hatte schwere Eichenholzflügel, mit Eisen verstärkt und mit eisernen, gut geölten Angeln, und obwohl es weit offen stand, diente es augenscheinlich nicht nur zur Zierde. Über dem Torweg wehte ein Banner aus blauer Seide im Wind. Eine Hand mit erhobenem Schwert war darauf gestickt, das Wappen der Fürsten von Gleann Geis.