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Aus dem Dickicht stürmte ein junger Mann. Er blieb stehen und bemühte sich vergeblich, den unregelmäßigen, keuchenden Atem zu beruhigen, der seinen Brustkorb hob und senkte. Entsetzen weitete seine Augen, als er das breite, deckungslose Tal überblickte, dessen Seiten sanft zu den felsübersäten Hügeln anstiegen. Mit einem leisen verzweifelten Stöhnen sah er sich in der kahlen Landschaft nach einem Versteck um. Er wandte sich wieder dem Dik-kicht zu, doch die Verfolger waren darin zwar noch nicht in Sicht, aber deutlich zu hören. Das Bellen der Hunde ging in aufgeregtes Jaulen über, als sie spürten, wie nahe sie ihrer Beute waren.

In düsterer Hilflosigkeit lief der junge Mann stolpernd weiter. Er trug ein langes Gewand aus grobem braunem Wollstoff, eine Mönchskutte. Es war zerfetzt, und ein paar Dornenranken hingen daran, die sich in dem festen Stoff verfangen hatten, ohne ihn zerreißen zu können. Schmutz und auch Blut aus den von Dornen verletzten Stellen befleckten die Kleidung. Noch zwei Dinge außer der Kutte wiesen den jungen Mann als Mönch aus. Erstens trug er das Haar von der Stirn bis zu einer Linie von Ohr zu Ohr geschoren und hinten lang, nach der Tonsur des heiligen Johannes, wie sie die Mönche in Irland bevorzugten. Zweitens hing ihm eine Silberkette mit einem silbernen Kruzifix um den Hals.

Er mochte Anfang zwanzig sein und wäre hübsch gewesen, wenn nicht die Angst seine Züge verzerrt und sein Gesicht nicht die Kratzwunden des Dik-kichts getragen hätte. Seine roten Wangen bluteten. Vor allem aber war es die Panik in seinen großen dunklen Augen, die sein Gesicht entstellte. Er hatte sich völlig der Furcht überlassen, die ebenso aus seinem Körper quoll wie der Schweiß.

Mit einem erstickten Schrei drehte er sich um und lief mit hochgerafftem Gewand auf den See zu. Seine Sandalen hatte er längst verloren. Seine bloßen, aufgerissenen Füße starrten von Schmutz und Blut. Auf die Schmerzen achtete er nicht, der Schmerz erreichte sein Denken nicht mehr. Um den linken Knöchel trug er einen eisernen Ring, wie er bei Geiseln oder Sklaven üblich war, denn an der Seite hatte er eine Öse, durch die eine Kette oder ein Strick geführt werden konnte.

Schon nach wenigen Schritten merkte der junge Mann, daß der See ihm keinen Schutz bot. Dort wuchsen nur ein paar Büsche, nichts weiter. Er hatte so lange den Tieren als Tränke gedient, daß nicht einmal langes Gras oder Ginster übriggeblieben waren. Alles war zu kurzen Stoppeln abgeweidet worden. Nirgends gab es ein Versteck.

Mit einem seltsamen, verzweifelten Klagelaut blieb der junge Mann stehen und hob hilflos die Arme. Dann lief er auf den Berghang zu, auf dem die Wildziege immer noch ungerührt dastand. Beim Emporklettern trat er sich auf den zerrissenen Saum seiner Kutte und stürzte schwer zu Boden. Benommen blieb er liegen.

In diesem Augenblick kamen die ersten Verfolger aus dem Wald hervor.

Drei Männer liefen voran, jeder mit einer großen Bulldogge an der Leine, die ihn mit triefenden Lefzen vorwärtszog und eifrig jaulte beim Anblick des gehetzten Wildes. Die drei Jäger verteilten sich etwas, aber der junge Mann war zu erschöpft zu weiterer Flucht. Er stützte sich auf einen Arm und sah halb liegend, halb sitzend und außer Atem den Männern entgegen. Furchtsame Resignation spiegelte sich in seinen Zügen.

»Laßt die Hunde nicht los«, rief er mit schwacher, angstvoller Stimme. »Ich laufe nicht mehr weg.«

Keiner der drei Männer gab eine Antwort, doch blieben sie vor ihm stehen, die Leinen mit festem Griff so haltend, daß die mächtigen Hunde ihn beinahe berührten. Sie drängten nach vorn in ihrem Jagdeifer, ihre rauhen Zungen und der Geifer aus ihren Lefzen erreichten ihn fast. Er spürte ihren heißen Atem und krümmte sich zusammen.

»Um Gottes willen, haltet sie zurück!« schrie er, als sie seinem Ausweichen mit schnappenden Kiefern folgten.

»Keine Bewegung!« fuhr ihn einer der Jäger an. Mit einem raschen Zug an der Leine brachte er sein Tier unter Kontrolle. Auch die anderen beruhigten ihre Hunde.

Nun kam eine vierte Gestalt zu Pferde aus dem Dickicht. Bei ihrem Anblick flackerten die Augen des jungen Mannes nervös. Sein Mund verzog sich, als fürchte er sie noch mehr als die Bulldoggen vor ihm. Es war eine schlanke Person, sie saß lässig im Sattel, hielt die Zügel locker und ließ das Pferd trotten, als sei sie auf einem gemütlichen Morgenritt. Einen Moment hielt sie an und betrachtete die Szene.

Es war eine junge Reiterin. Ein glänzender Bronzehelm umschloß ihr Gesicht so eng, daß kein Haar darunter hervorlugte. Ein schmaler Silberreif auf dem Helm umfaßte in der Mitte einen leuchtenden Halbedelstein. Sonst trug sie keinen Schmuck. Kein Mantel zierte ihre Schultern, und ihr einfaches safrangelbes Leinenkleid wurde von einem schweren ledernen Männergürtel mit Tasche gehalten, an dem rechts ein kunstvoller Dolch in einer Lederscheide hing, während an ihrer linken Seite aus einer längeren Scheide der fein gearbeitete Griff eines Schwertes herausragte.

Ihr Gesicht war leicht gerundet, fast herzförmig und nicht unansehnlich. Ihr Teint war blaß, doch die Wangen leicht gerötet. Ihre Lippen waren wohlgeformt, doch etwas farblos, die Augen kalt und glitzernd wie Eis. Auf den ersten Blick hätte man sie für eine junge und auf unschuldige Art hübsche Frau gehalten, aber beim näheren Hinsehen bemerkte man die Härte des Mundes und ein seltsam bedrohliches Funkeln in den unergründlichen Augen. Ihre Mundwinkel verzogen sich leicht, als sie sah, wie die Jäger und ihre Hunde wachsam vor dem liegenden jungen Mann standen.

Der Anführer der Jäger blickte über die Schulter zurück, als sie im Schritt auf sie zu ritt, und lächelte zufrieden.

»Wir haben ihn, Lady«, stellte er mit Genugtuung fest.

»Das sehe ich«, erwiderte sie mit soviel Fröhlichkeit in der Stimme, daß ihre Worte um so gefährlicher klangen.

Der junge Mann war wieder etwas zu Atem gekommen. Seine rechte Hand drehte unsicher an dem silbernen Kruzifix, das er am Halse trug.

»Um Himmels willen habt Mitleid ...«, setzte er an, doch die Frau brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen.

»Mitleid? Wieso erwartest du Mitleid, Priester?« fragte sie in drohendem Ton. »Ich habe selbst genug Leid zu tragen und jammere nicht nach dem Mitleid eines anderen.«

»Ich bin doch nicht für dein Leid verantwortlich«, verteidigte sich der junge Mann.

Die Frau stieß ein kurzes, abgehacktes Lachen aus, bei dessen unerwartet mißtönendem Klang selbst die Hunde ihre Köpfe wandten.

»Bist du nicht ein Priester des christlichen Glaubens?« höhnte sie.

»Ich bin ein Diener des wahren Glaubens«, erwiderte der junge Mann trotzig.

»Dann gibt es für dich keine Gnade in meinem Herzen«, erklärte die Frau harsch. »Auf die Füße, Priester von Christus. Oder willst du deine Reise in die Andere Welt im Liegen antreten? Mir soll es gleich sein.«

»Hab Erbarmen, Lady. Laß mich in Frieden aus diesem Lande ziehen, und ich schwöre dir, du siehst mein Gesicht nie wieder!«

Der junge Mann rappelte sich hoch und hätte sich an ihrem Steigbügel bittend vor ihr niedergeworfen, wenn ihn die Hunde nicht wütend zurückgescheucht hätten.

»Bei der Sonne und dem Mond« - die Frau lächelte spöttisch -, »du bringst mich fast dazu, kein Wasser auf eine ertrinkende Maus zu gießen! Genug jetzt! Nichts ermutigt so sehr zu Missetaten wie Erbarmen. Bindet ihn!«

Dieser Befehl galt den Jägern. Einer von ihnen reichte seine Hundeleine einem anderen, zog ein großes, dolchartiges Messer, ging zum nächsten Schlehdorngebüsch und schnitt einen kräftigen Ast von anderthalb Meter Länge ab. Er kam zurück, nahm einen Strick, den er um die Schulter geschlungen trug, und winkte den jungen Mann zu sich heran. Der gehorchte zögernd. Der Ast wurde ihm hinter dem Rücken zwischen den Ellbogen hindurchgeschoben, und dann wurden die Arme so daran festgebunden, daß das Holz wie ein schmerzender Halfter wirkte.