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Fidelma straffte die Schultern und schob das Kinn vor, als rüste sie sich für eine schwere Aufgabe.

»Sollten wir uns nicht entfernen, falls die Täter zurückkehren?« fragte Eadulf beunruhigt und schaute sich um. Doch im Tal schien sich kein Leben zu regen außer der Schar nachtschwarzer Raben, die sich weiter am Himmel sammelten und eine ungeordnete krächzende Wolke bildeten. Einige senkten sich zögernd herab, als seien sie dessen unsicher, was ihre Sinne ihnen verrieten, daß es hier reiche Beute gab, Aas in Hülle und Fülle. Doch sie spürten auch, daß sich etwas zwischen den Leichen bewegte, lebende Menschen, die ihnen schaden könnten. Ein paar von ihnen, kühner als die anderen, landeten dicht außerhalb des Kreises. Als sie vorsichtig näher hüpften, um die nächsten Leichen zu untersuchen, nahm Eadulf angewidert einen Stein auf. Er traf den häßlichen Vogel nicht, auf den er gezielt hatte, aber der flog mit einem ärgerlichen Krächzen auf und warnte die anderen, daß hier Gefahr lauere. Einige weitere landeten, doch außer Reichweite, und schauten mit hungrig funkelnden Augen zu.

»Komm weg, Fidelma«, drängte sie Eadulf. »Das ist kein Anblick für dich.«

Fidelmas grüne Augen blitzten gefährlich auf.

»Für wen wäre es dann ein Anblick?« Ihr Ton war scharf. »Für wen, wenn nicht für eine Anwältin, die geschworen hat, die Gesetze der fünf Königreiche zu wahren?«

Eadulf zögerte verlegen.

»Ich meine nur . «, wandte er ein, doch Fidelma unterbrach ihn mit einer scharfen Handbewegung.

Sie wandte sich ab, kniete bei der nächsten Leiche nieder und untersuchte sie. Langsam wiederholte sie das bei einer nach der anderen, wobei sie bei einer Leiche länger verweilte. Eadulf zuckte innerlich die Schultern, und während seine Augen immer wieder über die Umgebung glitten, versuchte er zugleich, irgendeinen Sinn in dem düsteren Leichenhaufen zu entdecken.

Als erstes fiel ihm auf, daß es alles junge Männer waren, der jüngste vielleicht sechzehn oder siebzehn, der älteste nicht über fünfundzwanzig. Alle waren sie nackt, doch ihre blasse Haut, weiß wie Pergament, verriet, daß sie im Leben nicht nackt gegangen waren. Er bemerkte auch, daß die Leichen im Kreis angeordnet waren, mit den Füßen zum Mittelpunkt hin. Jede Leiche lag auf der linken Seite. Er stellte zudem fest, daß der Boden um den Kreis herum weder blutig noch aufgewühlt war. Das bewies ihm, daß die jungen Männer nicht an dieser Stelle umgebracht worden waren. Diese Schlußfolgerung gefiel ihm.

Fidelma hatte ihre Untersuchung beendet und stand auf. Ungefähr zehn Meter entfernt floß ein kleiner Bach, und wortlos und zielsicher ging sie dort hin. Sie wusch sich Hände, Arme und Gesicht mit dem kalten Wasser.

Eadulf wartete geduldig, bis sie fertig war. Er war lange genug in den fünf Königreichen von Eireann, um zu wissen, wie genau es die Iren mit der Reinlichkeit nahmen. Als sie zurückkam, war ihre Miene noch finster, und sie blieb vor dem Kreis der Toten stehen.

»Nun, Eadulf, was ist dir aufgefallen?« fragte sie.

Eadulf fuhr überrascht auf. Er hatte nicht gedacht, daß sie bemerkt hatte, daß er alles genau betrachtete. Er überlegte rasch.

»Es sind nur junge Männer«, erklärte er.

»Das stimmt.«

»Sie sind in einem Kreis angeordnet, und sie wurden nicht hier getötet.«

Fidelma hob fragend eine Braue.

»Woraus schließt du das?«

»Wenn sie hier umgebracht worden wären, hätte es einen Kampf gegeben. Der Boden ist weder aufgewühlt noch blutig. Sie wurden woanders getötet und hierhergebracht.«

Sie nickte anerkennend.

»Und ihre Füße?«

Eadulf sah sie verblüfft an.

»Was ist mit ihren Füßen?« stammelte er.

Sie wies darauf.

»Wenn du dir ihre Füße ansiehst, stellst du fest, daß sie alle Hornhaut, Wunden und Blasen haben, als ob sie meilenweit über rauhen Boden laufen mußten. Die Spuren sind noch frisch. Widerspricht das nicht deiner Behauptung, sie wären hierhergebracht worden?«

Eadulf dachte schnell nach.

»Nicht notwendigerweise«, entgegnete er. »Sie mußten vielleicht weit laufen bis zu dem Ort, wo sie getötet wurden, und dann brachte man sie her und legte sie auf diese merkwürdige Art hin.«

Fidelma war mit ihm zufrieden. »Gut gemacht, Ea-dulf. Aus dir wird noch mal ein dalaigh. Sonst noch was? Du hast die Male von Fußfesseln an ihren linken Knöcheln noch nicht erwähnt.«

Diese Abschürfungen hatte Eadulf nicht bemerkt, doch als Fidelma ihn darauf hinwies, sah er sie auch. Sie fuhr fort: »Hast du die Leichen gezählt?«

»Ungefähr dreißig, glaube ich.«

Einen Augenblick wirkte sie verärgert.

»Darin sollte man genauer sein. Es sind dreiunddreißig.«

»Na, ich war doch nahe dran«, verteidigte er sich.

»Nein, das warst du nicht«, konterte sie scharf. »Doch darauf kommen wir gleich. Du sagtest, sie seien irgendwie angeordnet worden. Hast du dazu noch etwas zu ergänzen?«

Eadulf betrachtete den Kreis und verzog das Gesicht.

»Nein.«

»Du folgerst nichts aus der Tatsache, daß sie alle auf der linken Seite liegen, die Füße zur Mitte des Kreises? Sagt dir das nichts?«

»Nur, daß es sich um so etwas wie ein Ritual handeln muß.«

»Aha, ein Ritual. Schau noch mal hin. Die Leichen liegen auf ihrer linken Seite. Fang oben am Kreis an und zieh ihn nach ... Ihre Gesichter zeigen nach rechts, mit anderen Worten, nach dem Sonnenlauf, was wir deisiol nennen.«

»Ich bin nicht sicher, ob ich dich verstanden habe.«

»In heidnischen Zeiten vollzogen wir bestimmte Riten deisiol oder nach dem Sonnenlauf. Selbst jetzt gibt es noch viele, die darauf bestehen, bei einer Beerdigung den Friedhof mit dem Sarg dreimal nach dem Sonnenlauf zu umschreiten.«

»Du meinst, das hier könnte ein heidnisches Symbol sein?« Eadulf erschauerte und hob die Hand, um sich zu bekreuzigen, ließ es aber lieber sein.

»Nicht unbedingt«, versicherte ihm Fidelma. »Als der heilige Patrick in Armagh Land geschenkt bekam, auf dem er später seine Kirche erbaute, mußte er, heißt es, es mit seinem Krummstab deisiol umschreiten und es so feierlich dem Dienst Christi weihen, indem er unsere alten Bräuche und Riten vollzog.«

»Was meinst du also?« fragte Eadulf.

»Daß diese Leichen als Teil eines Rituals so hingelegt wurden, doch was für eines Rituals - eines heidnischen oder christlichen -, das müssen wir durch andere Beobachtungen herausbekommen.«

»Welche zum Beispiel?«

»Hast du bemerkt, auf welche Weise diese Unglücklichen aus dem Leben befördert wurden?«

Eadulf gestand, daß er es nicht wußte.

»Hast du schon mal vom Dreifachen Tod gehört?«

»Nein.«

»Es gibt eine alte Sage, daß vor langer Zeit einmal unser Volk vom alten Moralsystem unserer Druiden abfiel und zur Verehrung eines großen goldenen Idols überging, das Cromm Cruach, der Gott des Blutigen Halbmonds, genannt wurde und dem Menschenopfer dargebracht wurden. Es wurde auf der Ebene der Anbetung, Magh Slecht, verehrt, und das geschah zur Zeit des Großkönigs Tigernmas, des Sohnes Follachs. Sein Name bedeutete schon >Herr des Todes<.«

»Von dieser Sage habe ich noch nichts gehört«, erklärte Eadulf.

»Es ist ein Abschnitt in unserer Geschichte, auf den wir nicht stolz sein können und von dem wir nicht gern sprechen. Das Volk hatte schließlich von Tigern-mas genug, und er wurde während der wüsten Anbetung des Idols auf geheimnisvolle Weise erschlagen. Danach kehrte unser Volk zu den Göttern seiner Vorfahren zurück.«

Eadulf schnaufte mißbilligend.

»Ich sehe keinen großen Unterschied zwischen der Verehrung eines Idols und der Verehrung der heidnischen Götter. Keiner von ihnen war der wahre Gott.«

»Da hast du schon recht, Eadulf, aber wenigstens verlangten die alten Götter keine Blutopfer wie Cromm Cruach.«