Выбрать главу

John platzierte seine Gäste am Küchentisch und beschäftigte sich damit, den Tee zu bereiten. Mr. Feldmann redete leise auf seine Frau ein. Schließlich ebbte ihr Schluchzen ab und sie fasste sich wieder. Als John Tee und einen Teller von Edwinas Keksen servierte, nahm sie die dampfende Tasse dankbar entgegen.

„Sie sind wirklich sehr freundlich. Ich kann es immer noch nicht fassen, dass jemand unser braves Mädchen umgebracht hat.“ Wieder wurde sie von ihren Gefühlen überwältigt, während ihr Mann ihr unbeholfen über den Rücken strich. Dann jedoch kramte sie ein Taschentuch hervor und schnäuzte sich kräftig.

„Wissen Sie, an Weihnachten wollte Julia endlich wieder einmal heimkommen. Wir hatten sie seit dem Sommer nicht gesehen. Hans, weißt du noch? Wir hatten gerade den Weizen abgeerntet, als sie heimkam.“

„Sie betreiben eine Landwirtschaft?“

„Zweiundzwanzig Hektar. Getreide und Zuckerrüben. Dazu noch Wald und eine kleine Rinderzucht.“ Aus der Stimme des Mannes klang Stolz.

„Unser ältester Sohn wird den Hof übernehmen. Er arbeitet jetzt schon fleißig mit.“

„Die mittlere Tochter hat einen Bauern aus dem Nachbardorf geheiratet, auf seinem Hof ist sie für den Stall verantwortlich. Das hat sie von mir gelernt.“ Auch seine Frau hörte sich nun lebhafter an.

„Es ist schön, dass die Kinder die Familientradition fortführen.“, meinte John freundlich und nahm sich ein Stück Zucker. Da verdüsterte sich das Gesicht von Mrs. Feldmann wieder.

„Nur unsere Julia, die hat gar nichts von der Landwirtschaft wissen wollen. Immer nur Bücher, Bücher, Bücher. Aber sie war ein sehr gescheites Mädel und ist als Erste in der Familie zur Universität gegangen.“ Sie schluckte. „Wäre sie nur daheimgeblieben, dann wäre sie jetzt noch am Leben…“ John wartete, bis ihre neuerlichen Tränen versiegt waren.

„Sie hat Wirtschaft studiert, habe ich gehört.“

„Mhm. In gut einem Jahr hätte sie ihr Studium abgeschlossen. Sie hatte ihre Zwischenprüfungen so gut bestanden, dass sie ein Stipendium bekommen hat, um für ein Jahr ins Ausland zu gehen. Ansonsten hätten wir uns das gar nicht leisten können. Die ersten Monate hier hat sie uns regelmäßig geschrieben, aber in den letzten Wochen haben wir kaum noch etwas von ihr gehört. Wenn sie doch einmal angerufen hat, hat sie sich oft müde angehört. Es wäre so viel zu tun, sagte sie, dass sie kaum zum Schlafen käme. Aber sie hatte sich ganz fest vorgenommen, den bestmöglichen Abschluss zu machen und sie war bereit, hart dafür zu arbeiten.“ Stumm bekräftigte Mr. Feldmann die Worte seiner Frau mit einem heftigen Nicken und schnobte dann kräftig in ein Taschentuch. In der folgenden Stille klang das Klingeln des Telefons überlaut. John entschuldigte sich für einen Moment und hob ab.

„Mackenzie? Jemand von Scotland Yard will dich sprechen, bleib einen Moment dran.“ Frank Abbott, der heute am Eingang im Byward Tower Dienst tat, reichte den Hörer weiter.

„Hier Constable Hewitt, Sir. Superintendent Whittington lässt anfragen, wann Mr. und Mrs. Feldmann bereit sind für die Vernehmung im Yard. Wir haben eine Limousine hier, um sie hinzubringen.“ Als John die Frage an das Ehepaar weitergab, kehrte der verschreckte Ausdruck in das Gesicht von Mrs. Feldmann zurück.

„Oh, die Polizei, natürlich. Oh je. Wir hatten noch nie in unserem Leben etwas mit der Polizei zu tun.“

„Aber Maria, die Herren wollen uns nur ein paar Fragen zu Julia stellen, das haben sie uns doch heute Morgen am Flughafen schon erklärt.“ Julias Vater wandte sich an John. „Richten Sie bitte aus, wir sind gleich da.“ Seine Frau griff sichtlich nervös nach ihrer Handtasche und erhob sich unbeholfen. Dann sah sie John plötzlich mit einem hoffnungsvollen Ausdruck im Gesicht an.

„Herr… Mackenzie, könnten Sie uns vielleicht begleiten? Sie könnten für uns übersetzen.“

„Sehr gern, Frau Feldmann, aber die Kriminalpolizei hält mit Sicherheit einen Dolmetscher für Sie bereit. Darüber brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen.“

„Ich hätte aber lieber Sie dabei. Sie waren so nett zu uns, Ihnen vertraue ich.“

Eine halbe Stunde und einige Telefongespräche später saß John zusammen mit dem Ehepaar im Fond eines geräumigen Wagens mit abgedunkelten Scheiben. Ein größeres Aufgebot an Beamten der Metropolitan Police hatte sie im Laufschritt vom Tower bis zum Wagen eskortiert und sie so gut es ging vor den wartenden Presseleuten abgeschirmt.

In der nüchternen Eingangshalle des New Scotland Yard nahm der Superintendent sie persönlich in Empfang. Während er den Feldmanns die Hand schüttelte, hatte John die Gelegenheit, sich an einem widerwärtig aussehenden Pickel am Kinn seines Cousins zu erfreuen, der Whittingtons sonst so gepflegtes Erscheinungsbild beeinträchtigte.

Ich wette, der kommt von diesem grässlichen Schal, in den er sich bei der Schlüsselzeremonie gehüllt hat, fiel es ihm ein.

Whittington, der Johns belustigten Blick bemerkte, hob unwillkürlich die Hand an sein Kinn und wandte sich ihm mit säuerlichem Gesichtsausdruck zu.

„Welch außerordentliche Freude, dich hier zu sehen. Ich respektiere selbstverständlich den Wunsch dieser trauernden Eltern. Du wirst verstehen, dass unser eigener Dolmetscher dennoch bei der Vernehmung anwesend sein wird. Außerdem weise ich dich auf deine Schweigepflicht über alles, was du hier hörst, hin.“

John hielt seinem Blick stand, deutete auf den Pickel und erwiderte ungerührt, „Hast du es schon mit Zahnpasta versucht? In unserer fernen Jugendzeit hat das Wunder bewirkt gegen diese Dinger.“

Bei der folgenden Vernehmung erlebte John seinen Cousin zu seinem großen Erstaunen von einer völlig neuen Seite: Ernsthaft und ohne eine Spur seiner sonst üblichen Arroganz führte er die Befragung von Julias Eltern durch, zudem erwies er sich als guter Zuhörer. Wie ein Kaleidoskop entstand allmählich ein Bild der Persönlichkeit, die Julia Feldmann gewesen war.

Das ruhige und lernbegierige Mädchen, das am liebsten die Nase in ihre Bücher steckte, schien von Anfang an kaum in ihr ländlich geprägtes Umfeld gepasst zu haben. Ermutigt von einer verständnisvollen Lehrerin, hatte sie sich gegen ihre Eltern durchgesetzt und hatte nach der Grundschule täglich den weiten Weg mit dem Bus in die nächste Kreisstadt auf sich genommen, um auf das Gymnasium gehen zu können. Nach einem glänzenden Abschluss war sie auf die Universität gegangen, obwohl ihr Vater anfangs strikt dagegen gewesen war.

Mit den Jahren hatte er jedoch erkannt, dass dieser Weg für seine jüngste Tochter der Richtige war und er war stolz auf ihre Leistungen. Dass sie das Stipendium einer renommierten Studienstiftung erhalten hatte, war der Heimatzeitung ihres Ortes sogar eine Meldung wert gewesen, schilderte er bewegt.

„Und dabei hat sie zusätzlich zum Studium sogar noch gearbeitet, um uns nicht auf der Tasche zu liegen. Sie hat geputzt, gekellnert, alles. Für nichts war sie sich zu schade.“, ergänzte seine Frau.

„Hmm. Wirklich ein sehr zielstrebiges und fleißiges Mädchen. Hatte sie denn bei alledem je Zeit für Freundinnen oder Freunde?“

Diese Frage des Superintendenten hatte auch John sich insgeheim schon gestellt. Julias Eltern sahen sich eine Weile stumm an. Schließlich antwortete Mrs. Feldmann.

„Wissen Sie, das hat uns auch schon lange Sorgen gemacht. Julia hatte schon in der Schule kaum Freundinnen, weil die anderen Mädchen meistens andere Interessen hatten. Als sie angefangen hat, zu studieren, hat sie zuerst in einer Wohngemeinschaft gelebt, weil das preisgünstig war. Aber nach kurzer Zeit ist sie dort ausgezogen und hat sich ein kleines Apartment in einem Wohnheim gemietet. Die anderen würden sie mit ihren dauernden Partys vom Schlafen und Lernen abhalten, hat sie uns gesagt. An ihren Arbeitsstellen und bei den Praktika, die sie für das Studium gemacht hat, ist sie mit allen gut ausgekommen. Aber sie hat nie davon erzählt, dass sie sich auch in der Freizeit mit den Kollegen getroffen hätte.“