Выбрать главу

„Soso, da stellt ihr wohl eure eigenen Nachforschungen an, was? Wir werden das noch einmal überprüfen müssen.“ John zuckte mit den Schultern und lächelte unverbindlich.

„Ich wollte dir lediglich mit einer Information behilflich sein.“ Nun war Simon endgültig auf der Hut.

„Amateure, die meinen, sich in die Polizeiarbeit einmischen zu müssen, sind mir ein Gräuel. Ich habe die Sache im Griff und werde sie auch zu Ende bringen. Sollte ich Wind davon bekommen, dass du und deine Beefeater-Kollegen sich in meine Ermittlungen einmischen, werde ich rücksichtslos gegen euch vorgehen. Verlass dich drauf.“ Damit stand er auf. John erhob sich ebenfalls.

„Schade, dass der alte Simon nun wieder da ist. Heute hatte ich einige Momente lang doch noch die Hoffnung für dich, dass du dich zu einem menschlichen Wesen entwickeln könntest. Jemand, mit dem man sich wirklich auf einer Ebene austauschen könnte. Aber da bin ich wohl einer Illusion erlegen.“

Mit übertriebener Geste salutierte er.

„Sir. Bitte um Erlaubnis, mich zurückziehen zu dürfen, Sir.“

Damit drehte er sich auf dem Absatz um und verließ den Raum. Kaum hatte John das Gebäude verlassen, bedauerte er seinen Ausbruch. Sehr erwachsen, John, wirklich sehr erwachsen, schalt er sich. Nun hatte er die Chance vertan, weitere Informationen über den Fall von seinem Cousin zu erhalten. Nachdem er heute durchaus geneigt gewesen war, John an den Ermittlungen teilhaben zu lassen, würde Simon sich von nun an mit Sicherheit wieder bedeckt halten. Verärgert über sich selbst stieg John in die U-Bahn und fuhr zurück zum Tower.

Kapitel 10

Am nächsten Morgen prasselte Regen gegen die Fensterscheiben. Mit Schrecken fiel John ein, dass er heute Vormittag für die Betreuung einer fünften Klasse der Richmond Grammar School, einer renommierten Mädchenschule in einem westlichen Vorort Londons, zuständig war.

„Im Rahmen des Geschichtsunterrichts sollen die Schülerinnen umfassende Kenntnisse über den Tower of London als nationales britisches Wahrzeichen erlangen.“, hatte ihm die Direktorin Ms. Grover bei einem Telefonat vor einigen Wochen mitgeteilt.

„Für den Aufenthalt im Tower sind zwei Stunden vorgesehen. In dieser Zeit erwarte ich einen kindgerechten Abriss über die Kulturgeschichte des Towers und die politische Rolle, die er in der Entwicklung unserer Nation gespielt hat.“

Die abschließende Bemerkung, sie werde die Mädchen persönlich auf dieser Exkursion begleiten, hatte in Johns Ohren ein wenig bedrohlich geklungen.

Eigentlich hatte John die letzten Tage dafür nutzen wollen, diese Spezialführung vorzubereiten, dieses Vorhaben angesichts der Ereignisse aber vollkommen vergessen.

So war ihm etwas bang zumute, als er Punkt zehn Uhr rund zwei Dutzend in graue Schuluniformen und dicke Winterjacken gekleidete Mädchen am Byward Tower in Empfang nahm. Die rothaarige, jugendlich wirkende Frau, die sie begleitete, passte in keiner Weise zu dem Bild, das er sich von Ms. Grover gemacht hatte. Als die Frau sich ihm als Ms. Murray, die Geschichtslehrerin der Unterstufe, vorstellte, schüttelte er ihr erleichtert die Hand.

„Willkommen im Tower. Mein Name ist John Mackenzie. Ihre Direktorin hatte nun doch keine Zeit, die Klasse zu begleiten?“

„Sie bedauert dies sehr. Sie legt üblicherweise großen Wert darauf, die Kinder zu diesem jährlichen Ausflug in die City zu begleiten. Nur leider hatte sie am Wochenende einen Sturz und hat sich den Fuß verstaucht – “

„Äh, Verzeihung, Ms. Murray?“ Verlegen stand ein rotbackiges Mädchen mit beschlagener Brille vor ihnen.

„Ja, Tiffany?“

„Ich muss aufs Klo.“

Wie im Chor erklang aus der Masse der Schülerinnen, „Ich auch“.

„Dann bringe ich euch jetzt erstmal zu den Toiletten und dann legen wir los.“, wandte John sich an die Mädchen. Durch den strömenden Regen trabte er mit der Lehrerin die Water Lane hinauf, die Mädchen wild durcheinander schwatzend im Schlepptau.

„Iih, meine Haare werden ja ganz nass!“

„Wow, Mädels, das ist das Verrätertor, hier muss die Leiche gelegen haben.“

„Meine Schuhe sind schon ganz durchgeweicht!“

„Gut, dass wir die alte Schabracke heute nicht dabei haben.“

„Wie findest du den? Er erinnert mich an den Typen mit dem Rentierpulli aus Bridget Jones. Ganz süß irgendwie.“

Vielstimmiges Kichern. John, dem plötzlich bewusst wurde, dass die Mädchen von ihm sprachen, spürte seine Ohren heiß werden. Ms. Murray, die wie alle Lehrer gelernt hatte, ihre Augen und Ohren überall zu haben, lächelte John im Laufen entschuldigend zu, was die Sache für diesen noch peinlicher machte.

Endlich hatten sie die große Toilettenanlage hinter dem Club der Beefeater erreicht und die Schülerinnen stürzten hinein. Ms. Murray blieb mit John im Vorraum und setzte sich auf ein Fensterbrett.

„Das dauert jetzt.“, meinte sie leise seufzend und lockerte ihren Schal. John, dem unter seinem dicken Umhang mit dem königlichen Emblem heiß wurde, zog ihn von den Schultern und nahm die nasse Mütze ab.

„Wie alt sind die Mädchen? Elf, zwölf?“

„Ja. In dem Alter sind sie so wahnsinnig unterschiedlich in ihrer Entwicklung. Manche spielen noch mit ihren Puppen und sind sehr kindlich, andere benehmen sich schon wie richtige Teenager und haben auch dementsprechende Interessen. Dazu kommt noch, dass unsere Schülerinnen aus sehr unterschiedlichen Elternhäusern kommen. Viele stammen aus Familien, die sich das teure Schulgeld leisten können. Andere, aus einkommensschwächeren Schichten, haben den Weg an unsere Schule durch ein Stipendium für sehr gute schulische Leistungen geschafft, so wie die kleine Tiffany. In unseren Eingangsklassen ist es oft Schwerstarbeit, aus so einem bunten Haufen so etwas wie eine Klassengemeinschaft zu formen.“

John nickte und sah dann auf die Uhr.

„Wenn ich Ms. Grover richtig verstanden habe, werden Sie um zwölf Uhr wieder abgeholt? Für einen kompletten historischen und kulturgeschichtlichen Überblick bleibt uns da nicht viel Zeit…“

Zu seinem Erstaunen lachte die Lehrerin vergnügt.

„Ach, Mr. Mackenzie, machen Sie sich da mal keine Gedanken. Ms. Grover hat sich als Schulleiterin auf die Fahnen geschrieben, stets höchsten Bildungsansprüchen gerecht zu werden. Dieses Ziel verfolgen wir an der Richmond Grammar School natürlich mit Ausdauer und Begeisterung.“

Sie lächelte verschwörerisch. „Trotzdem muss ich im Hinterkopf behalten, dass wir nach dem Tower heute noch eine Führung durch Westminster Abbey haben werden. Die Menge an Daten und Fakten, die die Kinder an einem Tag aufnehmen können, ist nun einmal begrenzt. Außerdem schwirrt in ihren Köpfen natürlich auch diese Mordgeschichte herum, die ja alle Schlagzeilen bestimmt.“

„Ich hatte schon erwartet, dass die Kinder dazu Fragen stellen werden.“

„Ms. Grover hat der Klasse nachdrücklich klargemacht, dass Sensationslust völlig unangebracht ist. Ich hoffe, dass die Mädchen dies beherzigen. Sollten sie doch etwas darüber wissen wollen, sagen Sie am besten, es wäre Ihnen nicht erlaubt, darüber zu reden.“

John nickte erleichtert und Ms. Murray fuhr fort. „Ich denke, wenn Sie die Mädchen heute für einige Facetten des Lebens im Tower interessieren können, haben wir viel erreicht. – Angela, Deirdre! Kommt mal hier herüber, bitte.“

Gerade waren zwei der Mädchen in den Vorraum getreten. Etwas widerwillig näherten sich die beiden.

„Ihr habt euch geschminkt. Das verstößt gegen unsere Schulregeln, wie ihr genau wisst. Also ab in den Waschraum und weg mit dem Zeug.“ Trotz des bestimmten Tons ihrer Lehrerin wagten die Mädchen es, zu protestieren.

„Aber Ms. Murray, heute ist doch kein Unterricht und der alte Drachen bekommt es auch gar nicht mit….“

„Angela, Schluss damit. Erstens ist der Tag heute sehr wohl zum Lernen da und zweitens sprichst du nicht in diesem Ton über unsere Direktorin. Ich will jetzt kein Wort mehr hören.“