„Ich weiß es nicht. Sein Motiv wird die Polizei sicher herausfinden. Tatsache ist, dass er nun im Zusammenhang mit dem Mord und auch mit dem versuchten Mord an meiner Nichte gesucht wird. Die Polizei wird das Unterste zuoberst kehren und mit Sicherheit werden Hinweise auf dich und Richard auftauchen. Ich bitte dich, George“ Er sah seinen Freund beschwörend an. „Mach jetzt, heute, auf der Stelle eine Aussage. Sag der Polizei alles, was du weißt. Und Richard sollte dasselbe tun. Wenn er nun reinen Tisch macht, kommt er mit Sicherheit besser davon, als wenn die Polizei durch ihre Ermittlungen gegen Owen alles herausfindet.“ George schluckte mühsam.
Dann hatte er sich entschieden: „Ruf den Anwalt an. Er soll herkommen. Und sag Whittington, ich bin bereit, mit ihm zu reden. Ach, und sag dem Anwalt, er soll auch versuchen, Richard zu einer Aussage zu bewegen. Es … ist wohl besser so.“ Er straffte die Schultern und stand auf.
Auch John stand auf. „Alter Freund, ich bin stolz auf dich. Wir sehen uns bestimmt bald wieder – und ich hoffe, es wird dann nicht hier drin sein.“
In einem ruhigen Winkel der Eingangshalle rief er Sir Fitzgerald Walters an und gleich darauf Chief Mullins, um ihm von seinem Gespräch mit George zu berichten. Als er auflegte und sich umdrehte, stand sein Cousin mit einem breiten Lächeln vor ihm.
„Ich dachte es mir: Du hast es geschafft, dass Campbell endlich redet. Gut, gut.“
John runzelte die Stirn. „Soso, der Superintendent ist sich nicht zu schade, ein privates Telefongespräch zu belauschen? Ich wäre ohnehin gleich zu dir gekommen, um es dir zu sagen.“
Simon warf ihm einen gespielt schockierten Blick zu. „John, ich hoffe, du vergisst nicht, dass meine Ermittlungsmethoden deine Nichte vor dem Tod bewahrt haben. Übertriebene Empfindlichkeit deinerseits ist da wohl kaum angesagt.“
John biss die Zähne zusammen und bemühte sich um ein Lächeln. „Richtig. Sobald Sir Fitzgerald eingetroffen ist, wird George aussagen. Gibt es etwas Neues bei euren Nachforschungen?“
„Owen ist immer noch wie vom Erdboden verschwunden. Im Lauf des Vormittags bekomme ich den Durchsuchungsbefehl für seine Wohnung. Sicher werden wir dort irgendwelche Hinweise finden. Auch mit Richard Campbell werde ich heute noch sprechen.“ John legte Whittington bittend die Hand auf den Arm. „Denkst du, du kannst es einrichten, als erstes Georges Aussage aufzunehmen?“
„So, hat er es jetzt plötzlich eilig damit, die Karten auf den Tisch zu legen? Na gut, ich will sehen, was sich machen lässt.“
Als er sich wegdrehte, fiel John noch etwas ein. „Ach, Simon, wie geht es deinem Beamten?“
„Er wurde noch in der Nacht operiert. Hat sich einen Fuß und den Ellbogen gebrochen und auch sonst ein paar Kratzer abgekriegt. Er wird einige Wochen dienstunfähig sein. Aber was tut man nicht alles, um Zivilisten, die nicht wissen, was gut für sie ist, vor Gefahren zu bewahren.“ Mit einem salbungsvollen Lächeln schritt er davon.
Aargh, das wird er uns jetzt für den Rest unseres Lebens vorhalten. John seufzte und machte sich zum Krankenhaus auf.
Kapitel 21
Bepackt mit einer Riesenportion von Renies Lieblingsschokolade öffnete er vorsichtig die Tür zu dem Zimmer, das ihm die Stationsschwester angezeigt hatte. Wenn er erwartet hatte, dass seine Nichte noch unter den Nachwirkungen der Operation litt, hatte er sich getäuscht.
Hellwach lag sie im Bett, das verletzte Bein auf einem Gestell hochgelagert.
Als sie John erspähte, krähte sie, „Na endlich! Her mit der Schokolade, das Frühstück hier ist echt lausig.“ John musste lachen. Er küsste seine Nichte auf die Stirn, überreichte seine Mitbringsel und setzte sich. Während Renie gierig das erste Päckchen aufriss und sich einen ganzen Riegel in den Mund schob, betrachtete er sie liebevoll.
„Du bist wirklich unverwüstlich, weißt du das? Ich bin so froh, dass dir nichts Schlimmeres passiert ist.“
Renie stöhnte. „Oh bitte, John. Mum hat mich schon vollgesülzt, dass sie ja sooo glücklich ist, dass sie mich nicht verloren hat und dass ich in Zukunft nieeee wieder was Gefährliches machen darf.“ Sie verdrehte die Augen. „Am liebsten würde sie mich zu Hause festbinden. Gott sei Dank ist Dad kein solcher Gefühlsdusel. Er hat vorgeschlagen, dass sie in die Stadt gehen und schleunigst die Geschenke kaufen sollten, die wir noch brauchen. Schließlich ist in drei Tagen Weihnachten.“
Sie grinste. „Er hat die Oberschwester mit einer satten Spende in die Schwesternkasse bestochen, uns den Namen des Polizisten zu verraten, der mir das Leben gerettet hat. Er liegt ein paar Zimmer weiter. Sobald ich aufstehen kann, werde ich ihn mal besuchen. Außerdem soll er auch ein großes Weihnachtsgeschenk von uns bekommen.“ Sie griff zu einem weiteren Schokoladenstück und sah John erwartungsvoll an. „Nun erzähl mal, was gibt’s Neues? Haben sie die Ratte schon gefunden?“
„Nein, Owen scheint untergetaucht zu sein. Aber Scotland Yard hat jeden verfügbaren Mann für die Fahndung abgestellt, also werden sie ihn sicher bald finden. Auf jeden Fall haben sie Li Chan in Sicherheit gebracht, damit er nicht versuchen kann, auch ihr etwas anzutun. Sie hat bei Simon bereits ausgesagt, was sie wusste.“
Auf Renies Gesicht breitete sich ein selbstzufriedenes Lächeln aus. „Hatte ich es dir nicht gleich gesagt, dass sie eine wichtige Informationsquelle sein könnte? Und nun gib zu, dass meine Idee, ihr Vertrauen zu gewinnen, gut war.“
John grinste. „Okay. Ohne dich hätte nie jemand erfahren, dass es eine Verbindung von Nigel Owen zu Julia Feldmann gab.“ Er deutete eine Verbeugung an. „Ich neige mein Haupt vor der Großmeisterin des Detektivspielens.“
Renie gab ihm einen Klaps. „Hör auf, mich auf den Arm zu nehmen.“ Dann wurde sie ernst. „Sie hat mir auch anvertraut, warum sie nicht gewagt hatte, bei der ersten Befragung durch die Polizei etwas zu sagen. Zwei ihrer Brüder – sie arbeiten als Köche in dem Lokal – beziehen ihren Stoff auch von Owen. Daher erkannte sie Owen auch, trotz des schlechten Lichts. Sie hatte schon einige Deals beobachtet. Das hat niemand gemerkt, weil sie für ihre Familie nicht viel mehr als ein … nützliches Möbelstück ist. “ Ihre Stimme wurde bitter. „Die würden sie totschlagen, wenn sie der Polizei alles sagt, was sie weiß. Weißt du was, John? Wir müssen etwas für Li tun, sie da rausholen. Das ist doch kein Leben, das sie da führt. Sie ist ein kluges Mädchen und könnte aufs College gehen oder ein eigenes Lokal aufmachen oder was weiß ich.“
Bevor John etwas sagen konnte, klopfte es und durch die Tür kam ein Tross Ärzte und Pfleger. Mit einem gestrengen Blick mahnte die Oberschwester, die das Krankenblatt in der Hand hielt, „Bitte lassen Sie uns für einen Augenblick allein. Dr. Farnsley muss sich die Patientin ansehen.“
„Dr. Farnsley, vielleicht können Sie sich erinnern? John Mackenzie. Wir haben uns bei der Eröffnung des Weihnachtsmarktes im Tower getroffen.“
Der Chefarzt stutzte, dann erinnerte er sich. „Natürlich, Sie sind der Ravenmaster des Towers, nicht wahr? Und Sie sind mit unserer reizenden Mrs. Whittington-Armsworth bekannt.“ Letzteres schien den Arzt schwer beeindruckt zu haben.
John lächelte. „Ich habe den Ravenmaster eine Weile vertreten, aber wir hoffen, dass er so schnell wie möglich wieder seinen Dienst antreten kann, Doktor.“, stellte er klar. „Aber ich möchte Sie nicht aufhalten. Ihre Patientin ist übrigens meine Nichte, Maureen Hughes.“
„Gut, dann wollen wir mal. Hat mich gefreut, Mr. Mackenzie.“
John wanderte auf dem Gang hin und her, während er auf das Ende der Visite wartete. Auf einmal hörte er Renies Stimme durch die Tür herausdringen. Ohne die Worte verstehen zu können, war unschwer zu erkennen, dass sie erbost war. Dann eine dunklere Stimme, die sich bemühte, sie zu beruhigen. Nach wenigen Minuten öffnete sich die Tür und das Regiment Mediziner kam heraus. Einige trugen ein verstohlenes Grinsen zur Schau. Das Gesicht der Oberschwester war gerötet und sie blitzte John im Vorbeirauschen erzürnt an. Der Chefarzt murmelte John zu, „Das ist ja – äh – eine kämpferische junge Dame, Ihre Nichte.“ Sie verschwanden im Nebenzimmer.