„Und was ist mit mir?“ Renie zog eine Schnute.
„Wir brauchen jemanden, der die heißen Getränke bereithält und da ist, um ein bisschen Trost zu spenden, wenn einer von uns auf dem Allerwertesten landet.“
Renies Gesicht hellte sich wieder auf. „Okay, das mache ich. Und ich nehme den Fotoapparat mit, das gibt sicher ein paar lustige Bilder.“
Eine Stunde später zogen sie los.
Die große Eisbahn war professionell ausgestattet. Im Schlittschuhverleih standen Modelle in allen Größen bereit und auch verrostete Kufen ließen sich bei einem Schleifer wieder auf Vordermann bringen. In den Bäumen ringsherum waren Hunderte von Lichterketten angebracht. Aus den Lautsprechern tönte schwungvolle Walzermusik. Obwohl die Bahn gerade erst geöffnet hatte, drängten Dutzende von Familien herein, die nach den Geschenkorgien des Morgens und einer opulenten Mahlzeit nach etwas Bewegung in frischer Luft lechzten.
Für John und seine Geschwister gab es ein Wiedersehen mit zahlreichen Freunden und Nachbarn aus ihrer Kinderzeit. Zwischen den Holzbänken, wo die Läufer ihre Schlittschuhe schnürten, flogen Neuigkeiten und Frotzeleien hin und her.
Nachdem John Bella beim Anziehen geholfen hatte, stand er ächzend auf.
„Fährst du mit mir, Onkel John? Ich war zwar schon ein paar Mal mit meiner Klasse auf einer Eisbahn, aber ich bin noch nicht so sicher.“
„Natürlich, Bella. Wir holen uns noch einen Schluck heißen Tee und dann legen wir los.“ Sie staksten zu der Bank, auf der Emmeline und Isabel Mackenzie sich häuslich eingerichtet hatten. Renie saß in ihrem Rollstuhl gleich daneben. „Wie geht’s euch, Ladies? Nicht zu kalt?“, erkundigte sich John.
Tante Isabel schnaubte abfällig. „Pff, das ist ja noch gar nichts im Vergleich zu den Temperaturen, die bei mir zu Hause herrschen, wenn der Wind über das Hochland pfeift und drei Meter hohe Schneeverwehungen anhäuft. So was kennt ihr Flachländer gar nicht.“
„John, jetzt komm endlich.“, drängelte Bella. Maggie und Alan glitten heran, als die beiden aufs Eis kamen. „Es ist herrlich. Los, wir fahren alle zusammen.“
John winkte ab. „Bella und ich machen erst mal langsam. Also lasst euch von uns nicht aufhalten.“ Alan ging in die Knie, nahm die Hände seiner Tochter und fragte, „Alles ok, Schätzchen? Wenn du dich ein bisschen an das Eis gewöhnt hast, tanze ich mit dir einen Walzer.“ Bella sah ihren Vater etwas unsicher an und erwiderte dann, „Jetzt will ich erstmal sehen, was du und Mum so draufhabt.“
Nachdem sie ihren Eltern eine Weile zugesehen hatte, wandte sie sich beeindruckt an John. „Wow, die sind ja richtig gut.“ Auch David und Annie gaben ein passables Bild ab. Tommy zischte halsbrecherisch zwischen den Läufern hindurch und übte waghalsige Bremsmanöver.
„Also gut, Mädchen, dann wollen wir es auch versuchen.“ John stieß sich von der Bande ab – und verlor sofort das Gleichgewicht, als er einem flott herankommenden Läufer ausweichen wollte. Er plumpste nach hinten und auch Bella landete auf dem Eis.
„Bitte recht freundlich! Das wird eine Spitzenaufnahme.“, kicherte Renie hinter der Bande, während Tante Isabel Beifall klatschte und Walter aufgeregt zu bellen begann. John rappelte sich hoch, rieb sein schmerzendes Hinterteil und stellte dann Bella auf die Füße.
„Sag mal, bist du schon mal Schlittschuh gelaufen, Onkel John?“
John stemmte die Hände in die Hüften. „Oh ja, mein Fräulein. Komm, jetzt zeigen wir´s den anderen aber.“ Der nächste Versuch gelang schon besser und nach ein paar Runden fühlten beide sich auf dem Eis wie zu Hause.
„Du fährst ja schon wie der Teufel, Kleines!“ Alan kam von hinten herangezischt und hievte Bella, die vor Freude quietschte in die Luft. „Komm, drehen wir eine Runde zusammen“, forderte Maggie ihren Bruder auf.
„Gleich, ich muss erst noch den linken Schuh enger schnüren.“ John fuhr hinaus. Der Platz neben seiner Mutter war leer. Er ließ sich darauf plumpsen. „Wo ist Isabel?“
Seine Mutter schürzte missbilligend die Lippen. „Sie ist gegangen.“ Renie kicherte und platzte dann heraus. „Die beiden hatten schon wieder Streit. Tante Isabel sagte, ihr reicht es jetzt und dann ist sie einfach aufgestanden und gegangen.“
John schüttelte den Kopf. „Ach Mum, um was ging es denn jetzt schon wieder? Könnt ihr euch nicht einmal für zwei, drei Tage benehmen wie erwachsene Menschen?“ Seine Mutter warf ihm einen erbosten Blick zu.
„Nun tu nicht so, als wäre ich an diesen Auseinandersetzungen schuld. Sie ist es doch, die ständig Streit sucht.“
Renie neigte den Kopf zu John hinüber. „Isabel hat Grandma an den Kopf geworfen, dass sie Christopher zu sehr verwöhnen würde und er zu einem ganz verzogenen Fratz heranwachsen würde. Dann hat Grandma zurückgeschossen, dass Isabel in ihrem Leben ja wohl niemanden außer ihren überzüchteten Hunden erzogen hätte und von menschlichen Beziehungen einfach keine Ahnung hätte.“
Entsetzt sah John seine Mutter an. „Das war ja wohl ein Tiefschlag, Mum. Isabel ist sicher sehr verletzt über das, was du gesagt hast.“
Emmeline zog empört die Luft ein und brachte mit zusammengebissenen Zähnen hervor, „Du solltest jetzt wieder aufs Eis gehen, John. Schließlich ist Weihnachten und ich möchte mich nicht mit dir streiten.“
„Ja, los, John, geh wieder aufs Eis, dann haben wir wenigstens wieder etwas zum Lachen.“, stichelte Renie. Nach einem Blick auf das unversöhnliche Gesicht seiner Mutter zuckte John mit den Schultern und wandte sich ab. Auf dem Eis stand Maggie umringt von mehreren Männern und Frauen. „Sieh mal, John, wen ich getroffen habe. Luke und Betty, Jemima, Phyllis und Ralph.“ Mit großem Hallo wurde John von den alten Schulfreunden begrüßt.
„Mensch, alter Knabe, bist du endlich auch wieder im Lande. Ich habe gehört, du hast deinen Seelenklempnerjob an den Nagel gehängt und bist jetzt bei den Beefeatern im Tower.“
John grinste. „Ach, eigentlich ist die Psychologie auch in meinem jetzigen Job ganz nützlich.“
Luke Jenkins, das Sportass der Schule, stieß John an und zog vielsagend die Augenbrauen hoch. „Und? Immer noch frei wie ein Vogel? Mann, ich sage dir, du weißt ja gar nicht, wie gut es dir geht.“ Betty, Lukes Jugendliebe und seit zwanzig Jahren seine Ehefrau, knuffte ihn. „Hey, pass auf, was du sagst.“ Sie wandte sich an Maggie. „Sag mal, wie hast du das Teenageralter deiner Kinder überlebt? Meine machen mich noch verrückt.“
Während sie plauderten, stießen auch Alan, David und Annie zu der Gruppe. Während Bella an der Hand ihres Bruders eifrig rückwärtslaufen übte, tauschten die Erwachsenen Neuigkeiten aus und lachten über Anekdoten aus der Schulzeit. John spürte, dass er nicht mit ganzem Herzen dabei war. Die kleine Auseinandersetzung mit seiner Mutter nagte an ihm.
Schließlich entschuldigte er sich und fuhr zur gegenüberliegenden Seite hinüber. Mittlerweile waren die Bänke dicht bevölkert mit Zuschauern und Läufern, die sich ausruhten oder bei einer Tasse Tee aufwärmten. So oft er auch die lange Reihe der Bänke absuchte, er konnte seine Mutter und Renie nicht entdecken. Zunehmend unruhig hielt er Ausschau nach jemandem, den er kannte, als ein älterer Herr ihn ansprach. „Hallo, John. Ich habe Sie und Ihre Geschwister schon aus der Ferne gesehen. Schön, dass Sie wieder alle zum Weihnachtsbesuch hier sind.“
John erkannte den Nachbarn seiner Eltern. „Mr. Barnes, guten Abend und frohe Weihnachten. Sagen Sie, haben Sie vielleicht auch meine Mutter gesehen?“
„Natürlich. Emmeline hat mir ihre Enkelin vorgestellt. Ist ja eine richtige junge Dame geworden – “
„Und haben Sie zufällig auch mitbekommen, wo sie hingegangen sind? Ich kann sie nicht mehr finden.“, fiel John ihm drängend ins Wort.
„Meine Frau hat gesehen, wie die beiden in Richtung Toiletten verschwunden sind. Wir haben uns noch darüber unterhalten, was dem jungen Ding – Maureen heißt sie, sagte Emmeline? – wohl zugestoßen ist, dass sie im Rollstuhl sitzen muss – “