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„Wie lange sind die beiden schon weg?“

Mr. Barnes sah auf die Uhr. „Schon über eine Viertelstunde, schätze ich.“ John atmete tief durch.

Ruhig bleiben. Wahrscheinlich stehen sie einfach in einer langen Schlange an der Toilette an.

„Wo befinden sich die Toiletten?“

Mr. Barnes deutete nach hinten. „Wenn Eislauf ist, wird der Anbau des Palmenhauses aufgesperrt, damit die Anlage dort genutzt werden kann.“ John kniff die Augen zusammen und starrte in die angegebene Richtung, konnte jedoch niemanden entdecken. „Danke, Mr. Barnes. Ich werde sie mal suchen gehen. Grüßen Sie Ihre Frau von mir.“

Kurz schwankte er, ob er den anderen Bescheid geben sollte. Seine Geschwister standen jedoch immer noch am anderen Ende der Bahn, ins Gespräch vertieft. Plötzlich hatte er das Gefühl, dass die Zeit drängte. Also zog er eilends die Schlittschuhe aus und schlüpfte in seine Stiefel. Im Laufschritt erreichte er den rückwärtigen Eingang des viktorianischen Gewächshauses. In einem Vorbau waren einige Funktionsräume untergebracht. Eine zweiflüglige Glastür führte ins Innere des Gewächshauses. An diesem Weihnachtsabend waren alle Glashäuser der Königlichen Gärten geschlossen. Die Damentoilette war jedoch wie erwartet zugänglich. Vorsichtig öffnete John die Tür einen Spalt und rief, „Mum? Renie?“ Alles blieb totenstill. Johns Herz sank. Er wusste, dass hier keine Menschenseele war, dennoch ging er hinein und kontrollierte jede Tür. Als er wieder ins Dunkel des frühen Abends hinaustrat, spürte er Panik in sich aufsteigen. Die beiden wären nie gegangen, ohne den anderen Bescheid zu geben.

Dann kam ihm eine Idee. Konnte es sein, dass Emmeline die Gelegenheit nutzen wollte, ihrer Enkelin etwas in dem Gewächshaus zu zeigen? Sie besaß Schlüssel für alle Häuser. Er machte auf dem Absatz kehrt und ging zurück in das Gebäude. Tatsächlich ließ sich die Glastür öffnen. Er schlüpfte hindurch.

Die feuchtwarme Luft schlug ihm ins Gesicht wie ein nasser Lappen. Er lauschte, konnte aber nichts hören. Auf sein Rufen erhielt er keine Antwort. Warum sollten die beiden hier im Dunklen herumschleichen? Lediglich die mit einem Gummigitter belegten Gehwege durch das riesige Gewächshaus waren von schwachen Bodenleuchten notdürftig erhellt.

Als John sich vom Eingang entfernte, umhüllte ihn die Dunkelheit. Geisterhaft zeichneten sich die Silhouetten der tropischen Pflanzen ab, die das Palmenhaus nach Kontinenten geordnet beherbergte. Außer Palmen gab es eine Vielzahl anderer Gewächse, wie Mangobäume, Zuckerrohr und Kaffeebüsche, dazu eine Sammlung exotischer Medizin-, Gift- und Gewürzpflanzen. Mit einem Mal war es John, als hätte er etwas gehört. Noch einmal rief er. Nun war er sicher, dass irgendwer oder irgendetwas mit einem undefinierbaren Laut reagiert hatte. Er schlich weiter in die Richtung, in der er die Quelle vermutete. Das Herz klopfte ihm bis zum Hals.

Als eine Maus über den Weg huschte, hätte er beinahe vor Schreck aufgeschrien. Während er sich vortastete, konnte er das Geräusch in unregelmäßigen Abständen hören. Plötzlich wurde ihm klar, woher die Laute kamen. Im hinteren Teil des Hauses führte ein Abgang hinunter zu einer kleinen Abteilung, die der Flora und Fauna des Meeres gewidmet war. In mehreren Aquarien gab es Korallen, Piranhas und andere Meeresbewohner zu sehen.

„Mmmmm“ Das unheimliche Stöhnen jagte ihm Schauer über den Rücken, während er die Rampe hinuntertappte. Im Dämmerlicht, das von den Aquarien ausging, konnte er zwei Gestalten erkennen, die auf dem Boden kauerten, an einen metallenen Handlauf gelehnt. „Oh, mein Gott!“, entfuhr es ihm, als er erfasste, dass seine Mutter und Renie geknebelt und mit Handschellen an der Metallstange festgekettet waren. Mit zitternden Fingern machte er sich daran, das Tuch um Renies Mund aufzuknoten.

Als sie wieder frei atmen und sprechen konnte, würgte sie heraus. „Es ist Nigel Owen! Er hat uns aufgelauert. Er hat eine Pistole. Sicher kommt er gleich wieder zurück. Er ist dich suchen gegangen, um dich auch hierher zu locken. Er hat ständig versucht, dich von meinem Handy aus anzurufen, konnte dich aber nicht erreichen.“ Sie hustete.

John wollte sich daran machen, auch seine Mutter von dem Knebel zu befreien, hielt aber inne, als Renie flehte. „Nein, John, wenn du das machst, merkt er, dass du hier bist. Du musst dich verstecken, bevor er wieder kommt. Versuch, jemanden zu alarmieren. Und leg mir den Knebel wieder an.“

John musste einsehen, dass Renie recht hatte. Die Handschellen würde er ohne Werkzeug oder Schlüssel nicht aufbekommen. Schweren Herzens tat er, wie ihm geheißen. Keine Sekunde zu früh, denn die drei hörten, wie die hintere Tür des Gewächshauses aufging. John zog sich in höchster Eile zurück und lauschte.

„Verdammt, der Kerl ist wie vom Erdboden verschluckt. Wir machen jetzt einen letzten Versuch, ihn zu erreichen. Ich mache Ihnen den Knebel ab, damit Sie mit ihm reden können, Lady. Aber wenn Sie hier rumschreien, dann knalle ich Sie gleich ab.“

John dachte an sein Handy, das abgeschaltet in seiner Reisetasche lag. Glasklar dämmerte ihm, dass Owen alles daran setzen würde, um seinen Rachefeldzug zu Ende zu führen. Er selbst und Renie hatten Owens Pläne, George lebenslänglich ins Gefängnis zu schicken, ruiniert. Anstatt sich schnellstmöglich abzusetzen, war Owen hiergeblieben und hatte John und seine Familie beschattet. Er hatte schon einmal versucht, Renie zu töten. Nun, da er sie in seiner Gewalt hatte, würde er sie nicht mehr entkommen lassen. John hatte keine Zeit zu verlieren. Er musste selbst handeln. Bis Verstärkung eintraf, wäre Owens Geduld am Ende.

Ich brauche eine Waffe, überlegte er fieberhaft und ließ den Blick durch die dichte Vegetation um ihn herum schweifen. Er hörte, wie seine Mutter begann, auf Owen einzureden. „Worum geht es Ihnen überhaupt, junger Mann? Was auch immer Sie wollen, meine Familie hat nichts damit zu tun. Wir kennen Sie doch gar nicht.“

„Schnauze! Ihre Nichte kennt mich sehr wohl, nicht wahr? Und Ihr Sohn erst, dieser selbsternannte Samariter – der hatte keine Ahnung, dass ich es war, der die Sache mit George Campbell so geschickt eingefädelt hatte.“, höhnte Owen.

„Geschickt eingefädelt!“ Emmeline Mackenzies Stimme war voller Entsetzen. „So nennen Sie das, wenn Sie aus irgendwelchen Rachegefühlen diesem Mann gegenüber einfach ein junges Mädchen töten, nur um ihn als den Schuldigen dastehen zu lassen!“

Nun schlug Owen einen überlegenen Ton an.

„Sie haben ja keine Ahnung davon, wie man mit Strategie eine Schlacht gewinnt. Spielen Sie Schach? Auch da ist manchmal ein Bauernopfer nötig, um den Gegner matt zu setzen. Und Julia Feldmann bot sich für diese Rolle geradezu an. Sie war eine von vielen, die sich bei mir mit Stoff versorgten. Und sie war leicht unter Druck zu setzen. Ich brauchte ihr nur zu drohen, sie bei den entsprechenden Stellen anzuzeigen. Besitz und Konsum von Amphetaminen wäre von ihrer Studienstiftung sicher nicht gern gesehen worden. Sie hätte ihr Stipendium verloren und hätte nach Hause zurückkehren müssen. Also ließ sie sich von mir überzeugen, einen Anruf bei George Campbell zu tätigen und anschließend im Austausch gegen eine größere Summe ein paar Fotos in den Tower zu bringen. Natürlich hatte ich den Abend minutiös geplant. Wenn alles wie vorgesehen geklappt hätte, wäre George exakt neben der frischen Leiche gefunden worden. Mit den Fotos hatte ich auch gleich das Motiv für ihn mitgeliefert.“

Nun schlug sein selbstgefälliger Ton in kalte Wut über. „Es wäre alles eine perfekte Inszenierung gewesen, wenn nicht Ihr Sohn durch seine Verspätung alles ruiniert hätte. Und damit nicht genug…“

Während Owens hasserfüllte Tirade weiterging, überlegte John fieberhaft. Es gab einige Pflanzen mit scharfen Stacheln hier. Ein großes Wolfsmilchgewächs ragte neben ihm auf. Wenn er es aus der Erde bekam, konnte er Owen durch einen gezielten Schlag mit dem dornenübersäten Stamm sicher ablenken. Aber ob er ihn dann auch entwaffnen konnte? John versuchte, sich an die Ausbildungen zur Geiselbefreiung zu erinnern, die er beim Militär mitgemacht hatte. Womit kann ich ihn außer Gefecht setzen…. Das ist es!, schoss es ihm durch den Kopf.