Выбрать главу

Ein Stück weiter links, so glaubte er sich zu erinnern, stand abseits des Weges ein Upas-Baum. Seine Mutter hatte immer wieder eindringlich gewarnt, dass schon kleinste Mengen des Milchsaftes aus der Rinde oder den Blättern tödlich wirken konnten, sobald sie in die Blutbahn eindrangen. Alle Mitarbeiter der Gärten trugen lange Arbeitskleidung und dicke Handschuhe, wenn sie in der Nähe des tropischen Baumes arbeiteten.

Froh, dass er seine ledernen Winterhandschuhe anhatte, griff er nach dem Stamm der Wolfsmilch und brach einen besonders langen, harten Dorn ab. Dann suchte er sich durch das Dickicht der Pflanzen hindurch einen Weg in die Abteilung mit den Giftpflanzen aus den tropischen Breiten. Da der Upas-Baum mit fast zwanzig Metern das höchste Gewächs in diesem Teil des Hauses war, war er leicht zu finden. Er zupfte ein paar Blätter ab und zerrieb sie, so dass der Saft austrat und sich auf der Innenfläche seines Handschuhs sammelte. Bedacht, nicht mit dem Dorn durch den Handschuh zu stechen, wälzte er ihn darin hin und her.

Plötzlich erschrak er. Er hörte einen Krach, als hätte jemand etwas gegen die Wand geworfen. Er lauschte angestrengt, was er aus dem Untergeschoss hören konnte. Owens wütende Stimme drang an sein Ohr. „Jetzt reicht´s – nachdem Mackenzie nicht aufzufinden ist, werde ich mich später um ihn und Campbell kümmern. Jetzt seid erst mal ihr dran.“ Seine Mutter schrie auf. „Oh bitte, lassen Sie doch wenigstens meine Enkelin zufrieden, sie ist doch noch so jung – “

„Schluss jetzt. Ich lege Ihnen lieber den Knebel wieder um, Sie alte Schreckschraube.“ Unterdrücktes Fluchen war zu hören und ein Schmerzensschrei.

Mit drei Sätzen war John an der Rampe, die hinunter führte. Er konnte Owen sehen, der von ihm abgewandt damit kämpfte, Johns Mutter wieder zu knebeln. Scheinbar hatte sie ihn in die Hand gebissen. John holte noch einmal tief Luft und hastete dann hinunter.

Bis Nigel Owen ihn bemerkt hatte, hatte John, einen Kopf größer, ihn von hinten umfangen und drückte ihm mit einer Hand den Dorn leicht in den Nacken. „Lassen Sie die Pistole fallen, Owen. Sofort. Was Sie da spüren, ist ein Dorn, der mit tödlichem Gift präpariert ist. Wenn Sie schießen, brauche ich ihn nur für einen Millimeter in Ihre Haut zu drücken und Sie sterben.“

Owen stand für einen Moment stockstill. Dann lachte er hämisch. „Guter Bluff, Mackenzie. Aber ich wette, Sie haben nur irgendeinen Kaktusstachel in der Hand.“

Emmeline hatte mit schreckgeweiteten Augen das Handgemenge verfolgt. Nun breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. „John, mein Junge, welche unserer Giftpflanzen hast du benutzt?“

„Den Upas. Ich habe einen Euphorbien-Dorn mit dem Saft benetzt.“

Nun strahlte Mrs. Mackenzie Nigel Owen triumphierend an. „Seien Sie versichert, Mr. Owen, mein Sohn blufft nicht. Der Milchsaft eines Antiaris toxicaria ist garantiert tödlich, sobald das Gift in die Blutbahn eintritt. Jäger im Kongo und an der Elfenbeinküste benutzen ihn seit Menschengedenken, um ihre Giftpfeile zu präparieren.“ Ihre plötzliche Gelassenheit und der Ausdruck von mütterlichem Stolz in ihrem Gesicht überzeugten Owen offensichtlich. Er ließ die Pistole zu Boden fallen. John kickte sie mit dem Fuß weg. Sie rutschte unter Renies Rollstuhl hindurch nach hinten.

„Wo sind die Handschellenschlüssel?“

Owen schwieg.

„Er hat sie in die Jackentasche gesteckt, John.“, warf seine Mutter hilfreich ein.

„Holen Sie sie raus. Aber ganz langsam. Sie wissen, schon ein winziges Zittern meiner Hand kann Ihr Ende bedeuten.“ Owen knurrte unwillig, fasste aber im Zeitlupentempo in seine rechte Jackentasche und ließ die Schlüssel herausfallen. Mit einer einzigen fließenden Bewegung löste er sich dann aus Johns Griff und hechtete nach seiner Pistole. Renie aber reagierte blitzschnell und versetzte ihm mit ihrem Gips einen Schlag gegen den Kopf, als er sich bückte. Da John dicht hinter ihm war, entschied Owen, nun doch sein Heil in der Flucht zu suchen. Er rappelte sich hoch und rannte hinaus.

Unschlüssig sah John ihm einen Moment hinterher. „Ruf die Polizei, John, schnell.“ Seine Mutter deutete mit einer Kopfbewegung auf Renies Handy, das auf dem Boden lag. „Hoffentlich funktioniert es noch, Owen hat es vorhin gegen die Wand geworfen.“

Sie hatten Glück. Kurze Zeit später hatte John seinen Cousin am Apparat. Er schilderte ihm knapp, was passiert war.

„Ich löse sofort eine Großfahndung aus. Sucht den Rest der Familie und bleibt auf jeden Fall zusammen. Ich schicke ein paar Männer, die euch Polizeischutz geben.“ Ungläubig sah John auf den Hörer in seiner Hand. „Glaubst du etwa, Owen wird es noch einmal probieren?“

„Ich kann es auf jeden Fall nicht ausschließen. Der Kerl scheint von seinem Rachefeldzug ja besessen zu sein. Also seid vorsichtig.“

Alarmiert sah John seine Mutter an. „Oh Gott, stell dir vor, er kriegt Bella zu fassen – oder er dringt in unser Haus ein und schnappt sich Dad oder Christopher.“

„Mach schnell und befreie uns, dann suchen wir die anderen.“ Als John gerade die Handschellen löste, hörten sie von draußen Rufen.

„John? Mum? Renie? Wo seid ihr?“ Alle drei antworteten lauthals und wenige Augenblicke später standen Annie, David, Alan, Maggie und ihre Kinder vor ihnen. Als sie erfuhren, was geschehen war, standen sie wie vom Donner gerührt. Dann fingen alle an, durcheinander zu reden und einander in die Arme zu fallen.

John signalisierte Alan und David, ein paar Schritte mit ihm beiseite zu treten. „Es ist nicht auszuschließen, dass Owen versucht, in unser Haus einzudringen. Er muss uns die ganzen Tage beschattet haben und er ist davon besessen, Renie und mich umzubringen. Bitte lauft so schnell es geht nach Hause und verrammelt alles, bis die Polizei eintrifft.“

Unbemerkt war Tommy hinter David aufgetaucht. „Ich will mitkommen. Ich habe auch den Dolch dabei.“ Er zog den Sgian Dubh aus der Jackentasche. John öffnete schon den Mund, um die üblichen Ermahnungen von sich zu geben, überlegte es sich dann aber anders. Er legte Tommy die Hand auf die Schulter. „Mir wäre es lieber, du bleibst bei uns. Alan und David bekommen das allein hin, aber ich könnte hier noch männliche Unterstützung brauchen, um deine Mum, Grandma, Annie und Renie sicher nach Hause zu bringen.“

Tommy richtete sich mit leuchtenden Augen auf. „Klar, John. Wir beide geben ihnen Geleitschutz.“ Während Alan und David davonrannten, kam Bella auf John zu, umklammerte seine Hand und sah ihn aus verweinten Augen an. „Wir haben euch schon die ganze Zeit gesucht. Warum laufen sie jetzt weg?“

John umarmte seine verängstigte Nichte. „Sie gehen schon mal vor. Und wir sammeln jetzt unsere Siebensachen an der Eisbahn ein und gehen dann auch heim. Komm, hilfst du, den Rollstuhl die Rampe hinaufzuschieben?“ Er wandte sich an Renie. „Was ist mit deinem Bein? Denkst du, es hat den Schlag überstanden?“

Seine Nichte zuckte mit den Schultern. „Ist doch egal. Falls sich etwas verschoben hat, lande ich eben im OP – immer noch besser, als auf dem Tisch des Leichenbeschauers.“

Offensichtlich hatte sie ihren Humor bereits wiedergefunden. Ohne weitere Zwischenfälle gelangte die kleine Gruppe nach Hause, während Tommy sie wie ein Wachhund umkreiste, eine Hand in der Jackentasche. Im Vorgarten kamen ihnen zwei Beamte der örtlichen Polizei entgegen.

„Mr. Mackenzie? Scotland Yard hat uns beauftragt, Ihr Haus zu sichern. Es ist alles in Ordnung. Zwei Kollegen sind drinnen und wir bewachen das Anwesen von außen.“

„Ich bringe Ihnen gleich Tee und Gebäck heraus, wenn Sie schon in dieser Kälte stehen müssen.“ Emmeline eilte in die Küche.