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Das Gebäude, auf das er zeigte, stand fünfzig Meter entfernt auf der anderen Seite des Marktplatzes. Es hatte ein flaches Dach.

»In dem Moment schoß er den zweiten Pfeil ab, ich schrie, aber mein Warnruf kam zu spät für Donen-nach.«

»Ach so«, meinte Fidelma. »Und dann gabst du deinem Pferd die Sporen und rittst auf das Haus zu?«

»Ja. Zwei meiner Krieger jagten mir nach. Als wir das Gebäude erreichten, war der Schütze schon vom Dach gesprungen, den Bogen hatte er noch in der Hand. Neben ihm stand ein zweiter Mann mit einem Schwert. Ich schlug sie beide nieder, bevor sie ihre Waffen gegen uns gebrauchen konnten.«

Fidelma wandte sich an Donndubhain.

»Ich erinnere mich, daß du ihnen dichtauf gefolgt bist, Vetter. Stimmt die Darstellung mit dem überein, was du gesehen hast?«

Der Thronfolger meinte achselzuckend: »Mehr oder weniger.«

»Das ist eine ziemlich ungenaue Antwort«, bemerkte Fidelma.

»Ich meine, ich sah, daß der Bogenschütze herabsprang zu seinem Gefährten, aber ich sah nicht, daß sie ihre Waffen hoben. Sie schienen die Krieger zu erwarten.«

»Du meinst, sie wollten uns herankommen lassen, um ein sicheres Ziel zu haben?« schnaubte Gionga verächtlich.

Fidelma ging ohne Kommentar auf das Gebäude zu.

»Schauen wir mal, was wir dort finden.«

Donndubhain sah sie verständnislos an.

»Was sollen wir dort finden? Die Attentäter wurden beide getötet und ihre Leichen weggeschafft. Was suchst du noch?«

Fidelma ersparte sich eine Antwort.

Das Gebäude, das Gionga und Donndubhain ihr gezeigt hatten, war niedrig und einstöckig und hatte ein flaches Dach. Es war aus Holz gebaut und sah wie ein Stall aus mit zwei großen Türen in der Vorderfront und einer kleinen an der Seite. Fidelma hatte zwar ihre Kindheit in Cashel verbracht, mußte aber überlegen, wem es gehörte. Es war kein Stall, erinnerte sie sich, sondern eine Art Lagerhaus.

Sie betrachtete es genau.

Türen und Fenster waren verschlossen, und nichts regte sich darin.

»Donndubhain, weißt du, was das für ein Gebäude ist?«

Der Tanist überlegte.

»Es ist ein Lagerhaus und gehört dem Kaufmann Samradan. Ich glaube, er lagert Weizen darin.«

»Wo ist Samradan?«

Ihr Vetter zuckte die Achseln.

»Mach ihn ausfindig und bring ihn zu mir.«

»Jetzt gleich?« fragte Donndubhain überrascht.

»Sofort«, bestätigte Fidelma.

Der Thronfolger von Cashel machte sich auf die Suche nach dem Kaufmann, denn selbst ein Fürst hatte einer dalaigh bei Gericht zu gehorchen, ganz abgesehen davon, daß Fidelma die Schwester des Königs war. Fidelma ging prüfend um das Gebäude herum. Auch die kleine Seitentür war verschlossen, doch an der Rückseite lehnte eine Leiter an der Wand, mit deren Hilfe man auf das Dach gelangen konnte.

»Dort habe ich die Attentäter gefunden«, erklärte ihr Gionga.

Fidelma warf ihm einen raschen Blick zu. »Aber hier konntest du sie doch nicht sehen, als du auf die Vorderseite des Gebäudes zugeritten bist.«

»Nein, ich sah nur den Schützen mit dem Bogen in der Hand. Er stand auf dem Dach und verschwand dann nach hinten. Ich ritt an der Seite entlang, als die beiden Männer, einer mit dem Bogen und der andere mit gezogenem Schwert, hinter dem Gebäude hervorkamen.«

»Und wo hast du sie niedergeschlagen?«

Gionga wies mit der Hand auf die Stelle.

Die Blutlachen auf dem Boden waren noch nicht eingetrocknet. Sie befanden sich an der Rückseite des Gebäudes, waren aber zu sehen, wenn man vom Marktplatz her kam.

Fidelma stieg die Leiter empor auf das flache Dach. An der Vorderseite des Gebäudes lagen hinter einer niedrigen hölzernen Brüstung zwei Pfeile. Sie waren nicht hastig weggeworfen, sondern sorgfältig bereitgelegt worden. Vielleicht hatte das der Bogenschütze getan, damit er mehrmals schnell hintereinander schießen konnte. Fidelma hob die Pfeile auf und prüfte sie genauer. Sie verglich sie mit dem Pfeil, der in ihrem Gürtel steckte und den Eadulf aus Colgüs Arm gezogen hatte. Ihre Miene verdüsterte sich. Sie kannte die Kennzeichen.

Gionga war zu ihr getreten und schaute sie mißmutig an. »Was hast du da?«

»Nur Pfeile«, antwortete Fidelma rasch.

»Fidelma!«

Fidelma spähte über die Brüstung auf Donndub-hain hinunter.

»Hast du Samradan gefunden?«

»Er ist heute nicht in Cashel. Er ist in Imleach mit Waren für die Abtei.«

»Dieser Samradan wohnt wohl nicht hier?«

Donndubhain streckte den Arm aus. »Vom Dach aus müßtest du sein Haus sehen können. Es ist das sechste in der Hauptstraße. Ich kenne ihn und habe auch schon bei ihm gekauft.« Zerstreut langte er nach der Silberspange auf seiner Schulter. »Ich bin sicher, daß er damit nichts zu tun hat.«

Fidelma schaute die Straße entlang auf das Haus, auf das der Tanist gezeigt hatte.

»Na, wir brauchen ihn auch nicht, um zu wissen, was vorgefallen ist«, schaltete sich Gionga ein. »Die Attentäter erkannten, daß dieses Flachdach eine strategisch günstige Position darstellt, um auf Donennach zu schießen. Sie sahen, daß es ein Lagerhaus ist, suchten sich eine Leiter, stiegen hinauf und warteten auf die Ankunft meines Fürsten. Sie dachten, in dem Durcheinander könnten sie entkommen.«

Er drehte sich um und betrachtete das Land hinter dem Gebäude.

»Sie hätten leicht in das Wäldchen da hinten flüchten können. Übrigens -« seine Miene hellte sich auf -»ich wette, dort finden wir ihre Pferde angebunden.«

Er wollte sich schon zum Wäldchen aufmachen, als Fidelma ihn mit einem ruhigen »Einen Moment mal« zum Bleiben veranlaßte.

Sie hatte mit zusammengekniffenen Augen die Entfernung zwischen dem Dach und der Stelle abgeschätzt, an der ihr Bruder und der Fürst der Ui Fid-gente getroffen wurden.

»Eins kann ich dir über unseren Bogenschützen verraten«, meinte sie grimmig.

Gionga runzelte die Stirn, schwieg aber.

»Er war kein guter Schütze.«

»Wieso?« fragte der Ui Fidgente mißtrauisch.

»Von hier aus und auf diese Distanz ist es nicht leicht, das Ziel zweimal hintereinander zu verfehlen. Beim erstenmal konnte er wohl danebenschießen, aber nicht beim zweitenmal, als das Ziel sich nicht bewegte.«

Sie erhob sich und ging, gefolgt von Gionga, zur Leiter. Die Pfeile nahm sie mit. Unten wartete ihr Vetter auf sie.

»Hast du gehört, wo Gionga die Pferde vermutet?« fragte sie ihn.

»Ja«, antwortete Donndubhain nur. Fidelma hatte den Eindruck, daß er nicht viel von Giongas Vermutungen hielt.

Sie gingen zu dem kleinen Wäldchen. Von angebundenen Pferden war nichts zu sehen.

»Vielleicht hatten sie noch einen Komplizen«, mutmaßte Gionga, um seine Enttäuschung zu verbergen. »Er sah die beiden fallen und flüchtete mit den Pferden.«

»Vielleicht«, meinte Fidelma, die den Weg auf der anderen Seite des Wäldchens untersuchte. Hier gab es zu viele Huf- und Wagenspuren, als daß man etwas daraus hätte schließen können.

Gionga sah sich mit finsterer Miene um, als hoffte er, die Pferde würden plötzlich vom Himmel fallen.

»Was nun?« fragte Donndubhain und verbarg seine Befriedigung darüber, daß der Ui Fidgente unrecht behalten hatte.

»Jetzt«, seufzte Fidelma, »gehen wir zu Bruder Conchobar und sehen uns die Leichen der Attentäter genauer an.«

Bruder Conchobar stand an seiner Tür. Er trat beiseite und ließ sie ein.

»Ich habe dich erwartet, Fidelma«, sagte er. »Habe ich dir nicht vorausgesagt, daß dieser Tag uns nichts Gutes bringen würde?«

Gionga hörte das und fuhr ihn an: »Was meinst du damit, du alter Ziegenbart? Heißt das, du hast vorher von dem Überfall gewußt?«

Donndubhain ergriff Giongas Arm, denn der Krieger hatte den Alten grob an der Schulter gepackt.