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»Wenn Gionga seine Behauptung beweisen kann, die Attentäter hätten im Solde Cashels gestanden, dann bist du, mein Bruder, nach dem Gesetz verantwortlich und mußt die Entschädigung zahlen. Du würdest das Königsamt verlieren. Ich fürchte, die Beweislast liegt bei uns. Wir müssen Giongas Beschuldigung widerlegen, denn er kann sich auf das Kreuz des Ordens und die Herkunft der Pfeile berufen. Wir müssen den Gegenbeweis liefern, um seinen Anspruch abzuweisen.«

Ein langes Schweigen trat ein.

»Wenn ich für schuldig befunden werde, dann, das weißt du auch, wird Cashel niemals zum Frieden mit den Ui Fidgente kommen«, seufzte der junge König. »Du mußt mir helfen, Fidelma. Wie können wir diese Anschuldigungen entkräften?«

»Wir können Giongas Behauptungen nur widerlegen, indem wir Gegenbeweise beibringen«, wiederholte Fidelma. »Wir müssen herausfinden, wer die Attentäter wirklich waren. Hat der Bogenschütze den Orden der Goldenen Kette zu Recht getragen? Warum sollte er ihn bei einem solchen Unternehmen tragen? Wenn er unerkannt entkommen wollte, wie Gionga behauptet, warum hat er dann zwei Pfeile sorgfältig auf dem Dach abgelegt, damit man ihre Herkunft leicht feststellen konnte?«

»Vielleicht hatte er es einfach zu eilig?« vermutete Eadulf. »Nachdem er geschossen hatte, sah er Gionga über den Platz geritten kommen und floh vom Dach.«

Fidelma schaute ihn beinahe mitleidig an. »Der Mann war, wie du richtig festgestellt hast, ein berufsmäßiger Bogenschütze. So einer gerät nicht so schnell in Panik, er behält seine Waffen bei sich. Ich meine, er wollte uns diese Pfeile finden lassen.« Dann kam ihr ein neuer Gedanke. »Und wenn er ein berufsmäßiger Bogenschütze war, warum hat er dann nicht besser getroffen?«

Sie stand erregt auf und schloß die Augen, als wolle sie sich die Szene ins Gedächtnis zurückrufen.

»Colgü parierte plötzlich sein Pferd und beugte sich hinunter, um mich zu begrüßen. Hätte er das nicht getan, wäre er tödlich verletzt worden. Warum, frage ich mich, hat der Bogenschütze mit dem zweiten Pfeil Donennach nicht besser getroffen? Er bot doch ein stehendes Ziel.«

»Ich vermute, auch ein geübter Schütze hat mal einen schlechten Tag«, meinte Eadulf.

Colgü beugte sich zu Fidelma vor.

»Denkst du, daß die Ui Fidgente die Hand im Spiel hatten? Daß sie das einfädelten, um Cashel die Schuld daran zuzuschieben, daß der Krieg weiterginge?«

»Bevor ihr die Ui Fidgente verdächtigt«, wandte Eadulf ein, »denkt daran, daß es Gionga war, der die Attentäter niedermachte. Das hätte er kaum getan, wenn es Leute gewesen wären, die seinen eigenen Plänen dienten.«

»Ich meine, es gibt viele Dinge, die erst geklärt werden müssen, bevor wir zu einer Entscheidung kommen«, erwiderte Fidelma. »Wir haben festgestellt, daß der Begleiter des Bogenschützen ein ehemaliger Mönch war. Er trug früher die Tonsur des heiligen Petrus, ließ aber in den letzten Wochen das Haar wachsen. Die Tintenmale an seinen Fingern weisen darauf hin, daß er ein scriptor war. Und schließlich hatte er dies bei sich .«

Sie holte das kunstvolle silberne Kruzifix hervor und zeigte es ihrem Bruder.

Colgü nahm es und betrachtete es stirnrunzelnd.

»Das ist eine schöne Arbeit, Fidelma. Es ist sehr wertvoll. Ich glaube nicht, daß es in unserem Königreich angefertigt wurde. Die Verzierungen sind anders.« Er überlegte. »Ich könnte schwören, daß ich es schon einmal gesehen habe. Aber wo?«

Fidelma horchte auf. »Versuch dich zu erinnern, Bruder. Und denk mal darüber nach, weshalb ein früherer Mönch zum Attentäter werden und dabei ein so kostbares Stück bei sich führen sollte?«

Colgü sah seine Schwester nachdenklich an.

»Meinst du, daß es in dieser Angelegenheit verborgene Tiefen gibt?«

»Ja. Irgend etwas stimmt da nicht«, erwiderte sie. »Das, was wir bisher wissen, macht einfach keinen Sinn.«

Es wurde an die Tür geklopft, und auf Colgüs Ruf hin wurde sie geöffnet.

Donndubhain trat ein und sprach, ohne die Erlaubnis Colgüs abzuwarten. Das war sein Recht. Er sah nicht sehr glücklich aus.

»Der Fürst der Ui Fidgente verlangt dich zu sprechen. Sein Hauptmann Gionga hat ihm eingeredet, daß Cashel ihn zu ermorden beabsichtigte.«

Colgü reagierte mit einem ausdrucksvollen Fluch. »Können wir ihn ein wenig hinhalten? Wir sind noch zu keinem Schluß gekommen in dieser Sache.«

Donndubhain schüttelte den Kopf. »Der Fürst erwartet dich bereits in der Großen Halle. Ich habe nicht mal gewagt, ihm sein Benehmen vorzuwerfen, denn er ist in äußerst schlechter Stimmung.«

Nach dem Protokoll hatte selbst ein Fürst zu warten, bis man ihn hineinbat, ehe er die Große Halle in Cashel betrat, in der der König offizielle Besucher und Gäste empfing. Gäste hatten sich in den Vorräumen aufzuhalten, wenn sie um eine Audienz beim König nachsuchten.

Der König erhob sich vorsichtig. Er verstand die Erregung, die seinen Gast das Protokoll vergessen ließ.

»Dann gehen wir lieber zu ihm und hören, was er von uns will«, meinte er resigniert. »Kommt mit, du auch, Eadulf. Ich brauche vielleicht deinen starken Arm.«

Als sie die Halle betraten, hatte sich der Fürst der Ui Fidgente bereits niedergelassen. Sein Gesicht war schweißbedeckt, und er wechselte unruhig die Haltung. Auch wenn es nur eine Fleischwunde war, sie bereitete ihm sichtlich Schmerzen. Hinter ihm stand Gionga mit finsterer Miene. Sonst befand sich niemand in der Halle, außer Capa von der Leibwache des Königs, der hinter dem Thron Aufstellung genommen hatte.

Donennach wollte sich erheben, doch Colgü, der es mit dem Protokoll nicht übermäßig genau nahm, winkte ihn zurück in seinen Sessel, ging zu seinem Amtssessel und setzte sich vorsichtig. Fidelma ließ sich links von ihm nieder, Donndubhain zu seiner Rechten. Eadulf gesellte sich zu Capa.

»Nun, Donennach, womit kann ich dir dienen?«

»Ich kam hierher als dein Gast, Colgü«, begann der Fürst. »Ich kam her in dem Wunsch, daß wir Ui Fidgente zu einem dauerhaften Frieden mit den Eogha-nacht von Cashel gelangen würden.«

Er hielt inne. Colgü wartete höflich. Dieser Feststellung war nichts hinzuzufügen.

»Aus diesem Attentat auf mich .« Donennach zögerte, »auf uns beide«, verbesserte er sich, »ergeben sich bestimmte Fragen.«

»Du darfst versichert sein, daß wir alle dringend die Antworten auf diese Fragen suchen«, warf Fidelma leise ein.

»Davon gehe ich auch aus«, fauchte Donennach. »Aber von Gionga höre ich Dinge, die mich beunruhigen. Er erklärt mir, daß die Attentäter, die er erschlagen hat, Männer aus Cnoc Äine sind, dem Land, in dem dein Vetter Finguine herrscht. Deshalb sind es Männer, für die du die Verantwortung trägst, Colgü von Cashel. Ich sah mit eigenen Augen an der Leiche des einen Attentäters das Kreuz deiner Elitetruppe.«

»Du kennst sicher das Sprichwort, Donennach, fronti nulla fides?« fragte ihn Fidelma ruhig.

Donennach schaute sie finster an. »Was meinst du damit?« knurrte er.

»Daß man sich auf den Anschein nicht verlassen darf. Jemandem eine goldene Kette mit einem Kreuz daran umzuhängen ist ebenso leicht, wie ihm einen Mantel um die Schultern zu werfen. Der Mantel oder das Kreuz verraten dir noch nicht, wer derjenige wirklich ist, sondern nur, für wen er gehalten werden möchte«, erwiderte Fidelma gelassen.

Donennach kniff die Augen zusammen. »Vielleicht überläßt du es lieber deinem Bruder, dem König, sich zu verteidigen?«

»Verteidigung setzt Anklage voraus«, tadelte ihn Colgü milde. »Wir sollten uns nicht gegenseitig anklagen, sondern uns bemühen, die Wahrheit zu ergründen.«