Der Schmied sah sie kommen und hielt bei seiner Arbeit inne. Er spuckte auf die glühenden Kohlen, daß es zischte.
»Suibne, hol noch mehr Holzkohle«, befahl er seinem Gehilfen, ohne den Blick von ihnen zu lassen.
Der Blasebalgtreter sprang von den Brettern herunter und verschwand in einem Schuppen.
Der Schmied wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß aus dem Gesicht, als sie vor ihm stehenblieben.
»Was kann ich für euch tun?« fragte er und sah sie prüfend an. »Sucht ihr mich als Schmied auf oder als bo-aire dieser Gemeinschaft?«
Ein bo-aire war ein Ortsvorsteher, ein Häuptling ohne Landbesitz, dessen Reichtum früher an der Zahl der Rinder, die er besaß, gemessen wurde und der deshalb »Kuhhäuptling« hieß. Kleine Gemeinschaften wie diese wurden gewöhnlich von einem bo-aire geleitet, der einem höheren Fürsten unterstand.
»Ich bin Fidelma von Cashel«, stellte sich Fidelma vor. Sie sprach förmlicher mit dem Mann, da sie nun wußte, daß er ein Amt innehatte. »Wie ist dein Name?«
Der Schmied richtete sich merklich auf. Wer hatte noch nicht von der Schwester des Königs gehört? Der Fürst, dem er unterstand, war Fidelmas Vetter, Fin-guine von Cnoc Äine.
»Ich heiße Nion, Lady.«
Fidelma holte die Pfeile aus ihrem marsupium, den einen aus dem Köcher des Attentäters und den zerbrochenen aus Mochtas Zelle.
»Sag mir, was du davon hältst, Nion«, wollte sie ohne nähere Erklärung wissen.
Der Schmied wischte sich die Hände sorgfältig an der Schürze ab, nahm die Pfeile und besah sie sich genau.
»Ich bin kein Pfeilschmied, habe allerdings auch schon Pfeilspitzen gemacht. Die hier sind gut gearbeitet. Die Spitze des einen ist aus Bronze und besitzt, wie du siehst, eine hohle cro ...«
»Eine was?« fragte Eadulf und beugte sich vor.
»Eine Höhlung. Siehst du, wo der hölzerne Schaft eingepaßt wird? Hier kannst du besonders gut erkennen, wie die Spitze mit einem winzigen Metallniet befestigt wird.«
»Und was würdest du vermuten, wo sie hergestellt wurden?« fragte Fidelma.
»Da brauche ich nicht zu raten«, erwiderte der Schmied lächelnd. »Siehst du die Lenkfedern? Sie tragen das Zeichen eines Pfeilschmieds von Cnoc Äine, und du befindest dich in diesem Gebiet, wie du sicher weißt, Lady.«
Fidelma lächelte dünn. »Könntest du mir einen Schmied nennen, Nion, der solche Pfeile herstellt?«
Unerwartet lachte der Schmied laut auf. »Siehst du meinen Nachbarn dort ...«, sagte er und wies auf eine nahe Zimmermannswerkstatt. »Er fertigt die Schäfte und die Lenkfedern an, und ich mache die Pfeilspitzen und setze sie auf. Dieser Pfeil gehört zu einem Bündel, das ich vor knapp einer Woche gemacht habe, das sehe ich deutlich. Weshalb fragst du, Lady?« fügte er hinzu und gab ihr die Pfeile zurück.
Sein Gehilfe kam wieder, schüttete einen Beutel Holzkohle ins Schmiedefeuer und schürte es mit einem Eisenstab.
»Ich würde gern etwas über den Mann erfahren, dem du diese Pfeile verkauft hast.«
Sofort kniff der Schmied mißtrauisch die Augen zusammen. »Warum?«
»Wenn du nichts zu verbergen hast, Nion, dann sagst du es mir. Denk daran, du beantwortest die Fragen einer dalaigh, und ich erinnere dich daran, daß du Ortsvorsteher bist.«
Nion starrte sie an, als wolle er ihre Absichten ergründen, dann zuckte er die Achseln. »Dann werde ich dir als dalaigh wie ein bo-aire antworten. Ich kenne den Mann nicht. Ich nannte ihn lediglich Saigteoir, weil er wie ein berufsmäßiger Bogenschütze aussah und sich auch so benahm. Er kam vor mehr als einer Woche in meine Schmiede und bestellte zwei Dutzend Pfeile. Er bezahlte gut dafür. Ein paar Tage später holte er die Pfeile ab, und das ist alles, was ich weiß.«
Eadulf war enttäuscht, aber Fidelma gab noch nicht auf.
»Manchmal muß man etwas aus seinem Gedächtnis herauslocken«, meinte sie. »Du sagst, der Mann sah aus wie ein berufsmäßiger Bogenschütze. Beschreibe ihn mir.«
Nach einigem Zögern beschrieb der Schmied Nion den Bogenschützen, den Gionga erschlagen hatte. Es war eine gute Beschreibung, und sie ließ keinen Zweifel an der Identität des Mannes.
»Du hast mit ihm geredet. Wie sprach er?«
Der Schmied rieb sich das Kinn, dann hellte sich sein Blick auf. »Er sprach rauh wie ein Berufssoldat, aber er gehörte nicht der Kriegerkaste an, war nicht für das edle Waffenhandwerk geboren.«
»Hast du ihn nicht gefragt, was er hier zu tun hatte?« schaltete sich Eadulf ein.
»Nein, das tat ich lieber nicht. Man fragt einen Krieger nicht, wozu er Waffen braucht, wenn er es nicht von sich aus sagt.«
»Ich kann dich verstehen«, stimmte ihm Fidelma bei. »Er hat also nichts gesagt?«
Der Schmied schüttelte den Kopf.
»Hatte er einen Gefährten bei sich?«
»Nein.«
»Da scheinst du dir sicher zu sein. Ritt er ein Pferd?«
»O ja. Er ritt eine kastanienbraune Stute. Das habe ich mir gemerkt, denn eins ihrer Hinterbeine mußte neu beschlagen werden. Ein Stein hatte das Hufeisen gelockert. Das sah ich sofort.«
»Ist dir an dem Pferd etwas aufgefallen?« Fidelma wußte, daß ein kundiger Schmied erkennen konnte, auf welche Weise das Pferd beschlagen worden war und in welcher Gegend.
»Es war offensichtlich zuletzt im Norden beschlagen worden«, erwiderte der Schmied sofort. »Ich kenne die Art und weiß, daß die Schmiede des Clan Brasil Pferde so beschlagen. Das Pferd war auch über seine besten Jahre hinaus. Ein Krieger von Stand würde so ein Pferd nicht mehr reiten, obgleich es ein Streitroß war.«
»Was ist dir noch aufgefallen?«
»Nichts. Was ging mich das an?«
»Du bist der bo-aire«, erklärte ihm Fidelma. »Du bist auch dafür verantwortlich, zu wissen, was auf deinem Gebiet vor sich geht. Die Pfeile, die du diesem Bogenschützen verkauft hast, wurden bei einem Attentatsversuch auf meinen Bruder, den König, und den Fürsten der Ui Fidgente verwendet. Hast du noch nichts davon gehört?«
Nion starrte sie sprachlos an.
»Damit habe ich nichts zu tun, Lady«, sagte er. »Ich habe bloß die Pfeile hergestellt und sie ihm verkauft. Ich wußte nicht, wer der Mann war .«
Fidelma hob die Hand, um ihn zu beruhigen.
»Ich sage dir das nur, um dir zu beweisen, daß es dich doch manchmal etwas angeht, was hier geschieht, Ortsvorsteher von Imleach. Fällt dir daraufhin noch etwas zu dem Bogenschützen ein, was du mir sagen solltest?«
Zweifellos gab sich Nion nun alle Mühe, nachzudenken, und er kratzte sich zur Unterstützung den Kopf.
»Ich kann dir nichts weiter sagen, Lady. Aber wenn der Bogenschütze hier fremd war, muß er sich ein paar Tage in der Nähe aufgehalten haben, um auf die Pfeile zu warten. Vielleicht weiß man in der Herberge mehr über ihn?«
»Wo wäre diese Herberge?«
»Falls er nicht in der Abtei selbst übernachtet hat, bleibt nur Creds Herberge. Sie hat keinen guten Ruf und auch keine Lizenz von mir, übrigens auf Wunsch des Abts. Er möchte sie aus moralischen Gründen schließen lassen. Aber es ist die einzige Herberge in der Stadt. Ich nehme an, dort hat der Bogenschütze gewohnt. Wenn nicht, dann weiß ich auch nichts weiter.«
Fidelma dankte dem Schmied. Er stand breitbeinig da, die Hände in den Hüften, und sah ihnen mißtrauisch nach, als sie weitergingen.
»Wenn der Bogenschütze sein Pferd von einem Schmied im Gebiet des Clan Brasil beschlagen ließ«, meinte Eadulf nachdenklich, »vielleicht kannte er dann Bruder Mochta? Hat der Abt nicht gesagt, der stamme aus dem Clan Brasil?«
»Gut geschlußfolgert, Eadulf. Aber wenn auch Bruder Mochta aus dem Clan Brasil kommt und das Pferd des Bogenschützen dort beschlagen wurde, so haben wir doch gehört, daß seine Sprechweise ihn nicht als Bewohner der nördlichen Gebiete ausweist.«