»Ich ... ach so ... ja. Den Saigteoir nannten wir ihn. Er blieb hier zwei oder drei Nächte, ungefähr vor einer Woche. Ein hochgewachsener blonder Mann. Er sprach etwas abgehackt und mochte keine Fragen. Er trug einen langen Bogen und weiter keine Waffen.«
Das sprudelte die Frau nur so heraus.
»Aha. Hast du sonst noch etwas über ihn erfahren?«
Cred schüttelte heftig den Kopf. »Wie ich schon sagte, er redete nicht gern«, meinte sie. »Er wählte seine Worte mit Bedacht und äußerte seine Wünsche so knapp wie möglich, und die waren ebenso selten wie seine Worte.«
»Hatte er in der Schmiede zu tun?«
»Du sagst es. Bei seinem Pferd war ein Hufeisen lose, und ich glaube, er kaufte auch Pfeile beim Schmied, denn als er kam, hatte er nur wenige Pfeile im Köcher, und als er fortritt, war sein Köcher voll.«
»Du hast scharfe Augen, Cred«, stellte Fidelma fest.
»Die braucht man in diesem Beruf, Lady. Gäste kommen und verschwinden, ohne zu bezahlen. Man muß schon aufpassen.«
»Hat er alles bezahlt?«
»O ja. Er hatte anscheinend genug Geld, trug viele Gold- und Silbermünzen bei sich.«
»Ging er noch woanders hin? In die Abtei zum Beispiel?« fragte Eadulf.
Die Frau schnaufte vernehmlich. »Er war nicht der Typ, der Abteien oder Kirchen liebt. Überhaupt nicht. Er hatte den Geruch des Todes an sich.«
»Was meinst du damit?« wollte Eadulf wissen. »Geruch des Todes? War er krank?«
Cred sah ihn an, als sei er begriffsstutzig. »Manche gehen in die Schlacht, weil ihnen nichts anderes übrigbleibt«, ließ sie sich zu einer Erläuterung herab. »Andere gehen in den Kampf und merken, daß ihnen Tod und Vernichtung liegen, also ziehen sie im Lande umher und verkaufen ihre Fähigkeiten als Krieger an jeden, der sie dafür bezahlt, damit sie das eine Handwerk treiben können, das sie beherrschen: Tod und Vernichtung über andere bringen. Sie werden selbst zum Tod. Der Saigteoir hatte diesen Geruch des Todes an sich. Er war ohne Gefühl, ohne Seele.«
Zu ihrer Überraschung bekreuzigte sich die dicke Wirtin.
»Bei solchen Menschen hab ich das Gefühl, daß ihre Seelen schon tot sind und sie dem Blutvergießen so lange folgen, bis ihre Zeit gekommen ist.«
»Also in der Abtei verbrachte er seine Zeit nicht?« fragte Eadulf noch einmal nach. »Wo dann? Wenn er zwei oder drei Tage hier war, wo hielt er sich denn auf? Dieser Ort ist doch nicht so groß, als daß man es nicht bemerken würde.«
»Im Ort verbrachte er auch nicht viel Zeit«, antwortete die Frau.
»Du scheinst dir da sicher«, meinte Fidelma.
»Sicher aus dem Grunde, den du schon genannt hast. Abends aß er hier und nachts schlief er hier. Er ging gleich morgens los und kam erst am späten Nachmittag wieder. Einer meiner Nachbarn sah ihn in den Bergen im Süden reiten, nachdem sein Pferd neu beschlagen war.«
»Was gibt es da? Einen Bauernhof? Ein Gasthaus?«
Die Frau zuckte die Achseln. »Nichts. Vielleicht ging er auf die Jagd.«
»Und an all den Tagen, an denen er hier war, hat er nie seinen Namen genannt oder etwas über sich erwähnt?«
»Und keiner wagte ihn danach zu fragen«, bestätigte die Wirtin.
Fidelma unterdrückte einen Seufzer der Enttäuschung darüber, daß sie so wenig in Erfahrung gebracht hatte. »Ich bin dir sehr verbunden, Cred.«
»Hat er was gegen das Gesetz getan? Was hat er angestellt?« fragte sie eifrig. »Wirtsleute erzählen gern Geschichten über Gäste, die bei ihnen übernachtet haben.«
Fidelma sah sie einen Augenblick an und sagte dann ruhig: »Er hat das erreicht, worauf er deiner Meinung nach gewartet hat.«
Die Wirtin schaute verständnislos drein.
Eadulf erklärte es ihr. »Er hat den Tod gefunden, den er, wie du meinst, gesucht hat.«
Fidelma wandte sich an die drei Kutscher, die nun ihrem Blick auswichen. »Ich wünsche euch eine angenehme Fahrt ins Land der Arada Cliach.«
Der Mann, der sie erkannt hatte, runzelte die Stirn. »Warum meinst du, daß wir dorthin wollen, Lady?«
»Das hat mir Samradan gesagt.«
Die drei wechselten Blicke, und dann sagte der Sprecher mit einem unsicheren Lächeln: »Na klar, Lady. Auch dir eine gute Reise.«
Sie verließen die Herberge »Zum Handwerker der Götter« und gingen langsam zurück zur Abtei.
»Na«, meinte Eadulf, »über den Bogenschützen haben wir nichts Wesentliches erfahren. Anscheinend haben wir überhaupt nichts Wesentliches erfahren.«
Er war überrascht, als ihn Fidelma am Ellbogen nahm und von der Straße weg hinter die Ecke eines Gebäudes steuerte.
»Im Gegenteil, ich meine, wir haben eine ganze Menge erfahren«, erwiderte sie und spähte zurück. »Wir warten hier einen Moment.«
Eadulf sah sie verblüfft an.
»Wir haben erfahren, daß er ein berufsmäßiger Bogenschütze war, aber nicht dem Kriegerstand angehörte. Er war also nicht adlig. Wir haben erfahren, daß er sein Pferd beim Clan Brasil beschlagen ließ. Wir haben erfahren, woher er seine Pfeile hatte. Wir haben erfahren, daß er eine kastanienbraune Stute ritt. Wir haben erfahren, daß er reichlich mit Geld versehen war. Wir haben erfahren, daß er ein paar Tage lang in den Bergen südlich von hier unterwegs war.«
Eadulf hakte die Punkte im Geiste ab. »Aber das ist wenig genug. Das alles wußten wir mehr oder weniger schon, als wir Cashel verließen, nicht wahr?«
Fidelma hob verzweifelt die Augen zum Himmel. »Denk mal nach, Eadulf! Drei wichtige Dinge haben wir über diesen Bogenschützen herausgefunden. Zwei davon ziehen ernste Fragen nach sich, die wir beantworten müssen.«
»Du meinst, weshalb er in die Berge im Süden ritt?«
»Ja, das muß festgestellt werden. Aber was noch?«
Eadulf schlug sich vor die Stirn. »Natürlich! Wo ist die kastanienbraune Stute geblieben? Er hatte kein Pferd bei sich, als er getötet wurde.«
Fidelma lächelte und unterdrückte einen Seufzer. »Du bist der eigenartigste Mensch, den ich kenne.
Manchmal weist du auf das Naheliegendste hin, das alle übersehen haben. Dann wieder übersiehst du das Naheliegendste. Ja, ich meine die Stute des Bogenschützen. Wo ist sie? Anscheinend wartete irgendwo ein dritter Komplize mit den Pferden der beiden Attentäter. Dieser Komplize ritt weg und versteckte die Pferde, sobald er wußte, daß Gionga den Bogenschützen und seinen Freund getötet hatte.«
»Was bedeutet, daß sich der dritte Attentäter noch in Cashel aufhält?«
»Vielleicht noch mehrere. Bisher wissen wir nicht, wie viele Personen an dem Anschlag beteiligt waren. Was haben wir noch erfahren?« drängte ihn Fidelma.
Eadulf dachte scharf nach, ihm fiel aber nichts ein.
»Der Bogenschütze und sein Freund hatten kaum Geld bei sich, als sie getötet wurden. Cred sagte uns, daß der Bogenschütze genug Geld besaß. Wo verbarg er es?«
Eadulf preßte die Lippen zusammen und ärgerte sich, daß er nicht selbst darauf gekommen war. »Noch eine Frage«, sagte er. »Auf was warten wir hier?«
Fidelma lächelte geheimnisvoll und lugte um die Hausecke. »Die Antwort darauf ist schon unterwegs.«
In diesem Moment kam einer der Kutscher aus Creds Herberge, der aus Cashel, der Fidelma erkannt hatte, eilig die Straße entlang und sah sich suchend um.
»Man kann mit den Augen ebensogut etwas mitteilen wie mit Mund und Händen«, flüsterte Fidelma Eadulf zu.
Als der Kutscher auf gleicher Höhe mit ihnen war, hüstelte Fidelma. Er warf ihnen einen erschrockenen Blick zu, ließ sich auf ein Knie nieder und begann an seinem Schuh zu nesteln.
»Tut so, als ob ihr nicht mit mir sprecht«, flüsterte er ihnen zu, den Blick auf den Boden gerichtet. »Es gibt überall Augen und Ohren.«