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Er vertiefte sich wieder in seine Arbeit, doch dann hob er erneut den Kopf. »Ich glaube, als bo-aire des Ortes müßte ich wohl morgen eine Jagd veranstalten und diese Halunken aus ihren Verstecken herausscheuchen.«

Eadulf schien es, als hätten diese Worte noch eine andere Bedeutung. Er fragte sich, ob das wirklich so sei oder ob er infolge der Aufregung des Abends schon Dinge hörte, die es gar nicht gab.

Fidelma schritt ohne ein weiteres Wort auf dem Weg an dem großen Eibenbaum vorbei und auf die hohen dunklen Mauern der Abtei zu. Eadulf eilte ihr nach. Als sie außer Hörweite waren, sprach er seine Gedanken aus.

»Meinst du, daß seine Worte noch eine verborgene Bedeutung hatten?«

»Ich weiß es nicht. Wohl eher nicht. In diesem Stadium sollten wir für alles offen sein.«

»Was tun wir als nächstes?«

»Ich denke, das liegt doch auf der Hand.«

Eadulf überlegte einen Moment.

»Cred, nehme ich an? Wir müssen noch einmal mit ihr reden.«

In Fidelmas Stimme lag Anerkennung. »Ausgezeichnet. Ja, wir müssen noch einmal mit ihr reden, denn wenn Samradans Kutscher recht hatte, dann weiß die Wirtin mehr, als sie uns verraten hat.«

»Nun, ich meine, die Lösung ist klar.«

Das klang so überzeugt, daß Fidelma überrascht war.

»Hast du unser Rätsel schon gelöst, Eadulf?« Der leise Spott in ihrer Stimme entging ihm. »Das ist aber klug von dir.«

»Na, du hast doch gehört, was der Kutscher sagte. Der Bogenschütze erhielt seine Anweisungen von einem Fürsten. Gibt es so viele Fürsten, die Cashel feind sind?«

»Viele«, erwiderte sie trocken. »Obgleich ich zugebe, daß mir zuerst die Ui Fidgente in den Sinn kamen. Doch wir können Donennach nicht einfach anklagen, weil der Kutscher hörte, wie der Bogenschütze einen Mann als ngdomna anredete. Viele Fürsten sähen es gern, wenn die Eoghanacht ihre Macht verlören. Die größten Feinde der Eoghanacht sind die Ui Neill, besonders Mael Düin von den nördlichen Ui Neill, der König von Ailech. Ihre Feindschaft reicht zurück bis in die Zeit von Mile Easpain, dem Ahnherrn der Gae-len. Seine Söhne Eber und Eremon stritten sich um die Aufteilung Eireanns. Eber wurde von Anhängern seines Bruders Eremon getötet. Die Ui Neill behaupten, sie stammten von Eremon ab.«

»Das weiß ich«, erklärte Eadulf ungeduldig. »Und die Eoghanacht des Südens leiten ihre Abkunft von Eber her. Aber glaubst du wirklich, daß Cashel von den Ui Neill aus dem Norden bedroht wird?«

»Was im Knochen wächst, ist dem Fleisch schwer auszutreiben«, bemerkte Fidelma, als sie vor dem Tor der Abtei standen.

»Das verstehe ich nicht«, wandte Eadulf ein.

»Seit tausend Jahren hassen die Ui Neill die Eogha-nacht und neiden ihnen ihr Königreich.«

Der diensttuende Mönch am Tor war Bruder Daig, der muntere junge Mann, den sie kurz zuvor kennengelernt hatten. Er schien erfreut, sie zu sehen.

»Gott sei Dank, daß ihr unversehrt zurück seid. Seit mehr als zwei Stunden höre ich das Geheul der Wölfe in den Bergen. An so einem Abend sollte man nicht ohne Herberge sein.«

Er zog das Tor hinter ihnen zu.

»Wir haben sie auch gehört«, bemerkte Eadulf.

»Ihr müßt wissen, daß es viele Wölfe in den Wäldern und auf den Feldern in dieser Gegend gibt«, fuhr Bruder Daig mitteilsam fort. »Sie können sehr gefährlich werden.«

Eadulf wollte gerade erwidern, daß ihm das sehr wohl bekannt sei, doch da fing er Fidelmas warnenden Blick auf.

»Du bist sehr aufmerksam, Bruder«, sagte sie. »Das nächste Mal passen wir besser auf, wenn wir uns im Dunkeln hinauswagen.«

»Es gibt noch ein kaltes Mahl im Speisesaal, Schwester, falls ihr noch nichts gegessen habt«, fuhr der junge Mönch fort. »Es ist schon so spät, daß ich fürchte, das warme Essen habt ihr versäumt.«

»Das spielt keine Rolle. Bruder Eadulf und ich gehen in den Speisesaal. Vielen Dank für deine Fürsorge. Wir wissen sie sehr zu schätzen.«

Auf dem Wege zum Speisesaal flüsterte Eadulf: »Wollen wir nach der Mahlzeit noch mit Cred reden?«

»Wie Bruder Daig schon sagte, es ist sehr spät. Cred kann warten. Sobald ich gegessen habe, gehe ich zu Bett und ruhe mich aus. Es war ein anstrengender Tag. Morgen gleich nach dem Frühstück machen wir uns auf zu Cred.«

Kapitel 12

Der Klang von Kriegshörnern weckte Fidelma nur wenige Augenblicke, bevor Schwester Scothnat, die domina des Gästehauses, in ihr Zimmer stürzte und mit lauter und angsterfüllter Stimme rief: »Steh auf und verteidige dich, Lady, wir werden angegriffen.«

Einen Moment von Panik erfaßt, sprang Fidelma auf und hörte nun deutlich das Schmettern der Hörner und die entfernten Rufe und Schreie der Menschen. Sie zündete eine Kerze an und sah in deren Licht Schwester Scothnat händeringend und heftig weinend in der Tür stehen.

Fidelma ging zu ihr und packte sie mit beiden Händen. »Nimm dich zusammen, Schwester!« rief sie. »Sag mir, was passiert ist. Wer greift uns an?«

Scothnat hielt verwirrt inne, von Fidelmas scharfem Ton zur Besinnung gebracht. Dann schluchzte sie wieder leise. »Die Abtei, die Abtei wird angegriffen!«

»Von wem?«

Sie merkte, daß Schwester Scothnat zu sehr von Angst überwältigt war, um auf ihre Frage antworten zu können.

Fidelma zog sich rasch an. Draußen war es noch dunkel, und sie hatte keine Ahnung, wie spät es war, meinte aber, die Morgendämmerung könne nicht mehr fern sein.

Sie eilte aus dem Zimmer und ließ die schluchzende Scothnat allein. Fast wäre sie mit einer dunklen, kräftigen Gestalt zusammengeprallt, die in die entgegengesetzte Richtung stürmte. Selbst in der Dunkelheit erkannte sie Eadulf.

»Ich suche dich gerade.« Er klang besorgt. »Krieger greifen die Abtei an.«

»Weißt du mehr?« fragte sie.

»Nein. Ich wurde eben erst von Bruder Madagan geweckt. Er will nachsehen, ob die Tore alle geschlossen sind, aber ich glaube, außer den Mauern und den Toren hat die Abtei nicht viel Schutz zu bieten.«

Plötzlich begann die große Glocke der Abtei zu läuten, immer lauter, da die Hände am Glockenseil nach jedem Anschlagen noch heftiger zogen. Das Läuten war eher ein verzweifelter Hilferuf denn eine feierliche Mahnung.

»Schauen wir mal, was wir herausfinden«, rief Fi-delma durch den Lärm und lief den Gang entlang in Richtung Haupttor.

Eadulf folgte ihr und protestierte: »Die anderen Frauen sind an einen sicheren Platz in den Gewölben der Abtei geführt worden.«

Fidelma ersparte sich eine Antwort. Sie war flink, und Eadulf hatte Mühe, mit ihr Schritt zu halten. Sie eilten durch die dunklen Kreuzgänge, in denen mehrere Brüder aufgeregt und ziellos hin und her rannten.

Fidelma hörte die immer lauter werdenden Kriegshörner und die Rufe und Schreie der Kämpfenden jenseits der mächtigen Mauern der Abtei. Sie erreichten den Haupthof und sahen, wie eine Gruppe junger, kräftiger Mönche versuchte, die Balken am Haupttor vorzuschieben, angeleitet vom Verwalter der Abtei, Bruder Madagan.

Fidelma rief ihn an, als sie nahe genug waren.

»Was geht hier vor? Wer greift uns an?«

Bruder Madagan hielt einen Moment inne mit seinen Anweisungen.

»Fremde Krieger, mehr wissen wir nicht. Bis jetzt haben sie die Abtei nicht direkt angegriffen. Es geht ihnen anscheinend mehr darum, die Stadt zu plündern.«

»Wo ist der Abt?«

Bruder Madagan zeigte auf den kleinen viereckigen Wachtturm, der sich neben dem Tor drei Stockwerke hoch erhob »Entschuldige, Schwester«, damit wandte er sich ab, »ich muß mich um unsere Sicherheit kümmern.«

Fidelma lief bereits auf den Turm zu, von Eadulf gefolgt.

Im Innern des Turms führte eine Treppe zu jedem der Stockwerke, gerade breit genug für eine Person. Ohne zu zögern, hastete Fidelma nach oben, und Ea-dulf eilte ihr nach.