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Sie gingen durch eine Seitengasse, die von der Hauptstraße abzweigte. Nach einer Weile blieb Fidelma stehen und wies auf ein vornehmes, zweistöckiges Holzhaus. Es lag im Dunkeln. Sie kamen von der Rückseite her, und Fidelma wollte gerade über den Hof zur Hintertür gehen, als sie ein leises Winseln hörten. Ea-dulf kniff die Augen zusammen, konnte eine dunkle Gestalt am Boden ausmachen und packte Fidelma am Arm.

»Samradans Wachhund!« warnte er sie.

Fidelma sah den Hund jetzt auch. Er lag an einem Pfosten, an den er offenbar angeleint war, und schien im Schlaf zu winseln.

»Ein schöner Wachhund«, murmelte Eadulf. »Aber gut für uns, daß er angebunden ist und schläft.«

»Das bedeutet, wir müssen ums Haus herum zur Vordertür«, erwiderte Fidelma.

Eadulf ging als erster an der Seite des Hauses entlang. Der Hund schlug nicht an. An der Ecke blieb Eadulf plötzlich stehen und winkte Fidelma zurück in den Schatten.

»Ein Reiter hält vor dem Haus«, flüsterte er.

Fidelma spähte vorsichtig um die Ecke.

Eine hohe, einsame Gestalt saß leicht vorgebeugt im Sattel und hielt das Haus Samradans fest im Auge.

Der Mond schien jetzt fast taghell, doch selbst in der Dunkelheit hätte Fidelma ihren Vetter Finguine erkannt, den rigdomna von Cnoc Äine.

Kapitel 22

Finguine richtete sich plötzlich im Sattel auf, als sei er zu einem Entschluß gekommen, wendete sein Pferd und trabte die Hauptstraße entlang auf die über der Stadt aufragende Festung zu. Fidelma und Eadulf warteten eine Weile, ehe sie aus dem Schatten heraustraten.

»Warum treibt sich Finguine bei Samradans Haus herum?« flüsterte Eadulf. »Er scheint schlechte Gesellschaft zu bevorzugen. Erst Solam, dann Gionga und jetzt den Kaufmann.«

»Hoffen wir, daß wir Samradan bewegen können, uns unsere Fragen ehrlich zu beantworten«, erwiderte Fidelma.

Eadulf blickte am Hause hoch.

»Die Vorderseite ist auch dunkel. Vielleicht ist er gar nicht hier?«

»Und sein Hund ist im Hof angebunden?« Sie ging voran und faßte an den Türgriff. Die Tür war nicht verschlossen. Vorsichtig trat Fidelma ein und winkte Eadulf, ihr zu folgen.

Schon standen sie in dem einzigen Raum des Erdgeschosses, er diente als Wohnzimmer, Küche und Lagerraum. Eine kurze Treppe führte zum Schlafraum hinauf. Auf dem Herd in der Mitte glomm ein Feuer, und in seinem Schein erkannte Fidelma, daß niemand hier war.

»Was habe ich gesagt?« brummte Eadulf. »Er ist nicht zu Hause.«

»Weit kann er aber nicht sein, denn das Feuer ist noch nicht heruntergebrannt. Bitte entzünde doch eine Kerze daran.«

Eadulf tat es. Fidelma sah sich genauer um.

»Ich weiß nicht, was du hier zu finden gedenkst«, murrte Eadulf und schielte nervös zur Tür. »Samradan kann jeden Moment zurückkommen. Was dann?«

Fidelma antwortete nicht und ging zur Hintertür. Sie öffnete sie und spähte hinaus. Der Hund lag nach wie vor neben dem Pfosten und winselte im Schlaf. Irgendwas stimmte hier nicht. Normalerweise wurden die Hunde in Muman nachts losgebunden und hatten die Häuser vor Räubern, tierischen wie menschlichen, zu bewachen. Warum schlief dieser Hund?

Ohne auf Eadulfs Protest zu achten, lief Fidelma zu ihm hin und beugte sich nieder.

Eadulf kam ihr nach. Wäre es nach ihm gegangen, sie wären schleunigst von hier verschwunden. In seiner Eile hatte er die Kerze in der Hand behalten.

Fidelma bedeutete ihm, ihr zu leuchten. Der Hund rührte sich nicht, er hatte Schaum vor der Schnauze.

»Der Hund ist betäubt worden.« Fidelma erhob sich so rasch, daß Eadulf zurückprallte. »Warum aber?«

fragte sie. Eadulf schwieg, weil er das für eine rhetorische Frage hielt.

Fidelma schaute zu dem dunklen Haus zurück.

Dann eilte sie wieder hinein. Eadulf folgte ihr. Was mochte wohl in sie gefahren sein?

Noch einmal schaute sie sich kurz im Hauptraum um, dann rannte sie die Treppe hoch.

Eadulf zuckte hilflos die Achseln und jagte ihr nach.

Fidelma stand inzwischen in Samradans Schlafraum und starrte auf sein Bett.

Hinter ihr hob Eadulf die Kerze hoch.

Der Kaufmann Samradan lag quer auf dem Bett ausgestreckt in seinem Blut, ein Messergriff ragte aus seiner Brust. Seine Augen waren offen, doch im Tode erstarrt.

»Zu spät«, murmelte Fidelma. »Jemand hat befürchtet, Samradan könnte uns die Wahrheit enthüllen.«

»Welche Wahrheit?« fragte Eadulf verzweifelt.

Doch Fidelma antwortete nicht. Sie war offenbar mit ihren Gedanken woanders. Sie beugte sich vor und musterte das Messer, aber es unterschied sich in nichts von hundert ähnlichen Messern. Nichts an ihm ließ auf seinen Besitzer schließen, nichts verriet den Mörder.

»Finguine!« folgerte Eadulf. »Er ritt fort, als wir ankamen. Er steht mit Solam und Gionga im Bunde. Mein Gott! Jetzt verstehe ich, warum du so darüber entsetzt warst, daß Finguine Bruder Mochta und das Reliquiar an sich gebracht hat.«

Sie nickte zerstreut. Dann fiel ihr etwas ins Auge. Im Zurücksinken mußte Samradan sich an der Kleidung seines Mörders festgeklammert haben, denn in seinen verkrampften Händen hielt er ein Stück Tuch, das wohl von einem Leinenhemd stammte. Bei soviel Blut mußte auch auf der Kleidung des Mörders welches sein. Sie zog das Tuch aus Samradans Fingern und merkte, daß etwas daran hing.

Es war eine kleine Silberspange in Form einer Sonne, mit Granatsteinen besetzt, auf jedem der fünf Strahlen der Sonne einer. Sie zeigte sie Eadulf und steckte sie dann rasch in ihren Tragebeutel.

»Sie muß dem Mörder gehören«, stellte Eadulf fest. Es war offenkundig.

»Hast du sie nicht schon mal gesehen?« fragte Fi-delma.

»Sie kommt mir bekannt vor«, gab Eadulf zu.

»Sie ist das Kernstück in unserem tomus-Spiel«, lächelte sie und begann die Leiche zu untersuchen.

Plötzlich packte Eadulf sie an der Schulter. Sie fuhr zusammen, blickte sich um und wollte schon losschimpfen, als sie sah, daß er den Finger auf den Mund legte. Mit einer Kopfbewegung wies er auf die Treppe.

Nun hörte sie deutlich, daß jemand im unteren Stockwerk umherging.

Fidelma richtete sich auf. »Mach dich bereit«, flüsterte sie.

Die Schritte kamen die Treppe herauf. Erst tauchte eine Schwertspitze auf, dann ein Kopf. Es war Donn-dubhain.

Verblüfft starrte sie der junge Thronfolger von Cashel an.

»Was macht ihr denn hier?« fragte er, kam die letzten Stufen herauf und steckte sein Schwert ein. »Ich dachte, ich hätte gehört .«

Sein Blick fiel auf Samradans Leiche, und er stockte.

»Was ist denn hier passiert?«

Fidelma antwortete nicht.

»Und was machst du hier?« fragte sie schließlich.

»Ich ritt gerade vorbei. Es sind so viele Menschen zu der Verhandlung nach Cashel gekommen, da dachte ich, ich sollte lieber die Wachen rundum kontrollieren. Ich war in der hinteren Gasse, als ich hier Licht sah und daß die Hintertür offenstand und sich Gestalten bewegten. Der Hund schien zu schlafen, und ich fragte mich, was hier los wäre. Deshalb kam ich rein. Ich war unten, und dann hörte ich oben ein Geräusch. Und nun finde ich euch.« Er sah Samradans Leiche ungerührt an. »Habt ihr ihn umgebracht?«

»Natürlich nicht!« fauchte Eadulf. »Wir sahen Fin .«

»Wir haben auch den Hund und die offene Tür gesehen«, unterbrach ihn Fidelma. Sie log, als wäre das selbstverständlich. »Wir sind auch gerade erst hereingekommen.«

»Ein Raubmord?«

Fidelma zeigte auf die Lederbörse, die noch an Samradans Gürtel hing.

Donndubhain nahm sie und öffnete sie. Er holte eine Handvoll Silbermünzen heraus.

»Ein Raubmord war es also nicht«, überlegte er laut. »Es kann doch wohl nicht mit dem Attentat zusammenhängen? Was sollte Samradan damit zu tun haben?«