»Hier scheint es nichts zu geben, was uns Aufschluß bietet«, meinte Fidelma.
Eadulf wunderte sich, daß Fidelma Donndubhain so wenig verriet.
Sie wandte sich zur Treppe. Eadulf und Donndub-hain folgten ihr.
»Diese Angelegenheit kann ich dir überlassen, Donndubhain«, erklärte Fidelma. »Eadulf und ich kehren in den Palast zurück.«
»Ich werde die Wache benachrichtigen«, stimmte der Thronfolger ihr zu. Er ging zur Hintertür, wo er sein Pferd gelassen hatte, und blieb auf der Schwelle stehen, als sei ihm ein Gedanke gekommen. »Wart ihr schon in Samradans Stall dort hinten? Vielleicht war es doch ein Raubmord?«
»Ich dachte, Samradan hätte alle seine Waren in dem Lagerhaus am Marktplatz?« meinte Fidelma.
»Ob das so ist, weiß ich nicht. Aber ihm gehört der Stall dort auf der anderen Seite des Bachs.«
Er wies auf den dunklen Schatten eines Gebäudes hinter dem Haus.
»Dann sehen wir lieber nach, ob uns dort etwas weiterhilft«, erwiderte Fidelma.
Donndubhain nahm eine Lampe und entzündete sie am Feuer.
Sie kamen an dem betäubten Hund vorbei, dann mußten sie über den kleinen Bach springen, der Wasser für das Haus lieferte. Dahinter stand ein dunkler, nicht eben großer Stall.
»Ich wußte nicht, daß dieser Stall Samradan gehört«, sagte Fidelma. Donndubhain schritt voran und öffnete ihnen die Tür.
Drinnen gab es mehrere Boxen, in denen zwei Pferde standen.
»Samradan hatte aber viele Pferde«, brummte Donndubhain. »Doch das hier sind keine Zugpferde, das sind Warmblüter.«
Fidelma blickte sich in dem Stall um. Es gab nichts darin außer den Pferden und ihrem Geschirr. Der herbe Geruch von Leder und der Duft von Heu und Gerste überwältigten fast die Sinne.
Fidelma trat zu dem größeren Pferd, einer mächtigen kastanienbraunen Stute. Sie bemerkte alte, längst verheilte Narben an Schulter und Flanke. Das Tier hatte offenbar als Streitroß gedient. Sie beugte sich vor und tätschelte ihm das Maul. Dann öffnete sie die Box und ging hinein. Die Stute blieb ruhig stehen und ließ sich über das warme, schweißige Fell streichen. Fi-delma sah sich die Hufe an.
»Nicht die Art von Pferd, die sich ein einfacher Kaufmann anschafft«, bemerkte Donndubhain.
»Anscheinend ein Streitroß«, pflichtete sie ihm bei. »Das andere ist aber keins.«
Fidelma wandte sich dem zweiten Pferd zu. »Es ist eine kräftige, reinrassige Stute, aber kein Schlachtroß. Freilich ein gutes Reitpferd.«
Sie streichelte es und kam wieder heraus.
Donndubhain untersuchte inzwischen einen Sattel und einen Zaum.
»Schau mal, Fidelma«, sagte er eifrig, »das gehört zur Ausrüstung eines Kriegers. Das ist unverkennbar.«
Auch Eadulf besah sich den reich verzierten Sattel.
»Der Fürst hat recht«, murmelte er. »Hier ...«
An dem Sattel hing ein langer schmaler Sack. Er hatte die Form eines Köchers, war aber keiner. Darin mochte ein Krieger seinen Vorrat an Pfeilen aufbewahren. Eadulf hatte ihn aufgebunden und zog einen Pfeil heraus.
»Ist das nicht ...«, begann er.
Fidelma nahm den Sack. »Ja. Die Pfeile tragen die Zeichen von Cnoc Äine. Es sind die gleichen Pfeile, wie sie unser Freund, der Bogenschütze, benutzte. Solche, wie sie der Schmied Nion herstellte.«
»Und schau mal hier ...« Donndubhain zeigte auf ein silbernes Wappen unter den Verzierungen des Sattels.
»Ach«, sagte Eadulf aufgeregt, »ist das nicht ein Eber, das Wappen des Fürsten der Ui Fidgente?«
»Dann hatten wir doch recht!« rief Donndubhain. »Weißt du noch, wie wir überlegten, daß die Attentäter zu Pferde gekommen sein müßten und sie wahrscheinlich hinter Samradans Lagerhaus angebunden hätten? Vermuteten wir nicht, ein Dritter hätte die Pferde weggeschafft, nachdem die Attentäter getötet worden waren? Hier stehen sie nun, und das beweist, daß Samradan an dem Attentat beteiligt war.«
»Aber Samradan war doch schon mindestens eine Woche vorher in Imleach«, wandte Fidelma ein.
»Na, er könnte einem seiner Leute den Auftrag dazu gegeben haben, einem Komplizen.« Ihr Vetter geriet nur einen Moment aus dem Konzept.
»Es ist vieles dabei zu bedenken«, pflichtete ihm Fidelma bei. »Diese Geschirre helfen uns wirklich, die Hintermänner des Attentats zu finden. Ist in dem Beutel dort irgend etwas?«
Sie zeigte auf einen Lederbeutel, der am Sattel hing. Donndubhain schnürte ihn auf und öffnete ihn. Er holte Kleidungsstücke heraus.
»Nichts weiter als Kleidung«, sagte Eadulf enttäuscht.
»Das alles hilft uns nicht weiter. Aber das Wappen der Ui Fidgente, das spricht Bände«, stellte Donn-dubhain fest. »Das reicht uns eigentlich.«
Fidelma langte nach dem Beutel, schaute hinein und fühlte mit der Hand darin nach. Dann gab sie ihn zurück.
»Du hast recht.«
Sie verließen den Stall und gingen langsam zur Hoftür zurück. Bei Donndubhains Pferd blieben sie stehen.
»Nun, ich werde der Wache Bescheid geben, daß hier ein Mord geschehen ist«, sagte Donndubhain und band sein Pferd los. »Wollt ihr hier warten, bis ich die Wache schicke, und mit mir zusammen zum Palast zurückkehren?«
»Nein«, erwiderte Fidelma. »Wir machen uns allein auf den Weg. Es ist ja nicht weit. Sei unbesorgt, Donndubhain, wir kommen schon heil hin.«
Sie sahen zu, wie er aufsaß und ins Dunkel davonritt, dann gingen sie langsam durch das Haus zur Hauptstraße zurück. Ab und zu tauchte noch eine Gestalt auf, ein später Zecher, der aus dem Wirtshaus nach Hause schlich. Niemand belästigte sie, als sie auf die hohen Mauern des Palasts zuschritten.
»Nun«, meinte Eadulf, »die Pferde beweisen endgültig, daß Samradan an dem Attentatsversuch beteiligt war. Sie müssen seitdem dort gestanden haben.«
»Nein. Sie standen kaum eine halbe Stunde da«, widersprach ihm Fidelma mit Bestimmtheit. »Ihr Fell war noch feucht von dem raschen Weg aus ihrem Versteck dorthin.«
Eadulf machte große Augen. Er staunte noch mehr, als Fidelma leise zu lachen begann. Sie blieb unter der Lampe eines Gasthauses stehen und hielt ihm etwas hin.
Er sah es sich genau an. Es war eine winzige Silbermünze.
»Die habe ich in dem Lederbeutel gefunden. Man hatte sie übersehen.«
»Was ist denn das?« fragte Eadulf.
»Eine Münze aus Ailech, der Hauptstadt der Ui-Neill-Könige im Norden. Sie heißt piss.«
»Und was bedeutet das?«
»Mein lieber Eadulf« - solche Zufriedenheit in ihrer Stimme hatte er seit Tagen nicht gehört -, »heute abend ist mir ein Licht aufgegangen. Mein Lehrer, der Brehon Morann, sagte einmal, wenn du das Unmögliche ausschließt, dann muß das, was bleibt, und wenn es noch so unwahrscheinlich ist, die Antwort sein. Jetzt weiß ich, wer hinter dem Attentat und der Verschwörung steckt. Trotz aller Versuche, mich in die Irre und auf falsche Fährten zu führen, die mich, zugegeben, bis heute abend verwirrt haben, habe ich jetzt den Fuchs erspäht!«
Kapitel 23
Die Große Halle von Cashel war gedrängt voll, als Fi-delma und Eadulf eintraten. Jedermann war festlich gekleidet. Selbst Eadulf hatte seine beste Kutte angelegt und trug den Pilgerstab bei sich, mit dem er nun seinen Status hervorhob. Diese Eigenheit gönnte er sich.
Eadulf lächelte Fidelma zu, als er sich abwandte und den Plätzen zustrebte, die den bloßen Beobachtern vorbehalten waren. Dem korrekten Verfahren wurde an irischen Gerichtshöfen große Bedeutung beigemessen, und Eadulf hatte inzwischen Einblick in vieles erlangt, was ihm früher ein Rätsel gewesen war.
Fidelma ging zur Mitte der Halle und nahm ihren Platz neben Solam ein, dem dalaigh der Ui Fidgente. Dieser saß neben Donennach, seinem Fürsten. Die streitenden Parteien saßen immer mit ihren Anwälten im airecht airnaide, dem Hof des Wartens.