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Ihnen gerade gegenüber standen drei Stühle hinter einem langen, niedrigen Tisch, auf dem verschiedene Gesetzbücher lagen. Diese Stühle waren für die Bre-hons oder Richter reserviert. Sie bildeten den airecht, den Gerichtshof. Hinter den Stühlen der Richter hatte auf einem Podium an der Schmalseite der Halle Colgü in seinem reich verzierten Amtssessel Platz genommen. Rechts von ihm saß Segdae, nicht als Abt, sondern als Bischof und Comarb von Ailbe, dem ersten Apostel des Glaubens in Muman. Zu seiner Linken saß Colgüs ollamh Cerball, sein oberster Barde und Ratgeber. Diese drei, die Männer von höchstem Rang im Königreich, galten als der cül-airecht, der rückwärtige Gerichtshof, der darüber wachte, daß Recht gesprochen wurde.

Zur Rechten des Königsstuhls standen Bänke für den tdeb-airecht oder Seitenhof, der aus den Schreibern und den Historikern bestand, die alle Vorgänge festzuhalten hatten, sowie den Kleinkönigen und Adligen. An ihrer Spitze standen Donndubhain als Ta-nist, Finguine von Cnoc Äine und andere als Beobachter des Prozesses, die bezeugen sollten, daß in dem Königreich nach Recht und Gesetz verfahren wurde.

An der linken Seite war der Platz des airecht fo leithe, des besonderen Hofes, der alle voraussichtlichen Zeugen umfaßte. Hier saß unter anderen Bruder Mochta. Es hatte Eadulf überrascht, daß Bruder Mochta von Solam als sein Hauptzeuge gegen Muman benannt worden war. Noch überraschender war die Tatsache, daß das Reliquiar Ailbes in Verwahrung gegeben worden war. Auch Bruder Madagan saß dort, um als Zeuge aufgerufen zu werden, wie auch Bruder Bardan, Nion, der bo-aire von Imleach, Gionga und Capa.

Eadulf merkte, daß die Anwesenheit Bruder Moch-tas und des Reliquiars Fidelma nicht überraschte. Sie hatte ruhig ihren Platz eingenommen, die Hände im Schoß gefaltet und schaute vor sich hin, ohne sich auf einen Punkt zu konzentrieren. Eadulf ärgerte sich über sie. Seit sie ihm eröffnet hatte, sie glaube die Lösung des Rätsels zu kennen, hatte sie sich strikt geweigert, ihm noch irgend etwas zu erklären. Er war unglücklich. In den letzten Wochen hatte er den Eindruck, Fidelma werde reizbarer denn je und vertraue ihm immer weniger. Er hatte sich als ihren »Seelenfreund« betrachtet, als anam-chara, wie ihn sich jeder Mönch und jede Nonne in Eireann wählte, um ihre weltlichen und religiösen Probleme mit ihm zu besprechen. Er war enttäuscht, wenn sie ihn nicht ins Vertrauen zog.

Colgüs Haushofmeister trat vor und stieß seinen Amtsstab dreimal auf den Boden, um Ruhe im Gerichtssaal zu gebieten. Das riß Eadulf aus seinen traurigen Betrachtungen.

Der Brehon von Cashel, Dathal, war der erste der Richter, der den Saal betrat. Das entsprach dem Protokoll, denn das Gericht tagte ja in Cashel. Dathal war nicht umsonst als »der Flinke« bekannt. Sein Spitzname bezog sich auf sein rasches Urteil in juristischen Dingen. Er war nicht mehr jung, doch sein Haar war noch nicht grau geworden. Seine dunklen Augen blickten scharf, und ihnen entging nichts. Schaute er jemanden an, schien er durch ihn hindurchzusehen. Er war schlank, hager und fast bleich. Er war schnell gereizt und hatte nichts für Trottel übrig, besonders wenn es sich um vor ihm plädierende Anwälte handelte. Er ging schnell zur Richterbank und setzte sich auf den Platz zur Rechten.

Fachtna, der Brehon der Ui Fidgente, folgte ihm rasch und setzte sich auf den linken Platz. Er war etwas älter als Dathal, ebenfalls groß und fast mager. Die Haut zog sich straff über die Gesichtsknochen, so daß sein Kopf wie ein Totenschädel wirkte. Die Haut war wie Pergament, nur über den Backenknochen gerötet. Der Blick seiner grauen Augen wanderte ruhelos umher, und sein Mund war ein dünner roter Schlitz. Sein graues Haar war in der Mitte gescheitelt, glatt nach hinten gekämmt und mit einem Band zusammengefaßt. Er sah aus, als habe er eine gute Mahlzeit nötig.

Als letzter kam der Brehon Rumann von Fearna, der den Platz in der Mitte einnahm. Er war nicht nur der den Vorsitz führende Richter, sondern würde wahrscheinlich auch die Entscheidungen fällen, denn alle in der Großen Halle Versammelten gingen davon aus, daß die Urteile der Brehons von Cashel und der Ui Fidgente von den Wünschen ihrer jeweiligen Fürsten beeinflußt wären.

Als Brehon Rumann zu seinem Stuhl ging, wirkte er überhaupt nicht wie ein Richter. Er war klein und korpulent. Sein Silberhaar trug er so lang, daß die Locken bis auf den Nacken fielen. Die Haut seines gütigen Gesichts war so frisch und rosig wie die eines frischgewaschenen Babys. Die Lippen waren so voll und rot, als habe er sie mit Beerensaft verschönt. Seine nußbraunen Augen waren so hell, daß sie auf den ersten Blick blaß schienen. Er strahlte Freundlichkeit aus. Trotzdem beherrschte er die Szene. Von ihm ging eine ruhige Autorität aus, der sich alle beugten.

Als er sich gesetzt hatte und es in der Großen Halle still geworden war, stieß der Haushofmeister noch einmal seinen Amtsstab auf den Boden. Abt Segdae erhob sich. Er reckte die Hand mit ausgestrecktem erstem, drittem und viertem Finger hoch, die die heilige Dreieinigkeit versinnbildlichten. Eadulf hatte sich schon an diesen Unterschied zum römischen Brauch gewöhnt, bei dem der Daumen und der erste und zweite Finger dasselbe Symbol bildeten.

»Benedictio benedicatur per Jesum Christum Dominum nostrum. Surgite!«

Der Segen und die Aufforderung an das Gericht, zu beginnen, eröffneten die Verhandlung.

Brehon Rumann schlug prompt mit einem kleinen hölzernen Hammer auf den Tisch vor ihm. Seine Stimme war sanft, aber bestimmt.

»Die fünf Wege zum Urteil stehen uns offen. Für diesen Tag war die Verhandlung anberaumt, und der richtige Weg zum Urteil wurde gewählt. Der König von Muman und der Fürst der Ui Fidgente haben die erforderlichen Sicherheiten geleistet. Bevor wir zu den tacrae, den einleitenden Plädoyers der Anwälte kommen, muß ich beide Anwälte fragen, ob sie dazu bereit sind. Sie haben zu diesem Zeitpunkt das Recht, eine taurbaid, eine Vertagung der Verhandlung zu beantragen.«

Er sah erst Fidelma und dann Solam an.

»Ich brauche euch nicht daran zu erinnern, daß jede Vertagung zu diesem Zeitpunkt einen triftigen Grund haben müßte. Die Abhaltung eines religiösen Festes, eine Erkrankung, ein Todesfall oder ähnliches würden als eine solche Begründung gelten.«

Als er schwieg, lächelte Solam beflissen. »Wir sind bereit, unsere Klage vorzutragen«, erklärte er.

»Und wir sind bereit, darauf zu erwidern«, antwortete Fidelma.

»Ausgezeichnet. Wie euch sicher bekannt ist, spreche ich hier für alle drei Richter. Ihr habt euch mit euren Reden an mich zu wenden. Da ihr beide zum erstenmal zu einer Verhandlung vor mir erschienen seid, meine ich, es täte gut, wenn ich euch darauf hinweise, welches Verhalten ich von euch erwarte. Ich dulde keine schlechten Plädoyers in meinen Verhandlungen, und ich richte mich streng nach dem Buchstaben des Coic Conara Fugill.«

Eadulf wußte, daß damit die umfassende Anweisung für das Verfahren bei Gericht gemeint war, die man »die fünf Wege zum Urteil« nannte.

»Ich werde jedem Anwalt eine Geldstrafe auferlegen, der so leise spricht, daß ich ihn nicht richtig verstehen kann; ebenso jedem Anwalt, der das Gericht aufzureizen versucht, der aufbraust, zu laut streitet oder jemanden beschimpft; ferner jedem Anwalt, der eine erwiesene Tatsache leugnet oder sich selbst lobt. Die Strafe für alle diese Fälle ist im Gesetz festgelegt: ein sed

Ein sed war der Gegenwert einer Kuh. Das war eine harte Strafe. Eadulf stöhnte innerlich. Vor Brehon Rumann zu plädieren würde nicht einfach werden.

Es herrschte jetzt eine fast atemlose Stille im Saal.

»Die tacrae können beginnen.«

Mit unruhigen, vogelartigen Bewegungen erhob sich Solam. »Bevor ich mein Plädoyer beginne, muß ich einen Protest einlegen.«