»Und welche waren das?« fragte Solam und lehnte sich entspannt auf seinem Stuhl zurück.
»Die Verwicklung Samradans in diese Angelegenheit. Darauf komme ich gleich zurück. Verfolgen wir erst den Hauptstrang weiter. Der ehrgeizige junge Fürst erwartete nun Hilfe aus Ailech. Sein Bote nach Ailech war der Mann, den wir als den Bogenschützen kennen. Nach Armagh und zum Comarb von Patrick entsandte er Samradan. Der Bogenschütze war natürlich der Mann, der Colgü zu ermorden versuchte. Sein wirklicher Name ist nur dem Hauptverschwörer bekannt. Dieser Hauptverschwörer, der ehrgeizige junge rigdomna, war es auch, der dem Bogenschützen das Kreuz der Goldenen Kette gab, mit dem Auftrag, es zu hinterlassen, wenn er nach dem Anschlag flüchtete.
Der Bogenschütze kehrte mit Bruder Baoill nach Muman zurück. Diesen hatte der Comarb von Patrick aus Armagh mitgeschickt, weil er um Baoills Verwandtschaft mit Mochta wußte. Baoill versuchte, seine Tonsur des heiligen Petrus zu verbergen, indem er sein Haar wachsen ließ, doch die Zeit reichte nicht aus, sie ganz zu bedecken. In Imleach nahm er Kontakt zu Bruder Mochta auf. Zuerst forschte Baoill seinen Bruder aus, um zu prüfen, ob man ihn für die Verschwörung gewinnen könnte. Als Mochta nicht darauf einging, versuchte Baoill erst durch List und dann mit Gewalt, die heiligen Reliquien an sich zu bringen. Es gelang ihm nur, Ailbes Kruzifix zu erbeuten.
Bruder Mochta wurde bei dem Kampf verwundet. Er vertraute sich seinem Freund Bruder Bardan an, und da ihnen klar war, daß ein Komplott im Gange war, beschlossen sie, daß sich Bruder Mochta mit den übrigen Reliquien verstecken sollte, bis Bruder Bar-dan jemanden fand, dem er vertrauen und den er einweihen konnte.«
»Warum vertraute er sich nicht seinem Abt an?« wollte Brehon Dathal wissen.
»Wie er mir sagte, ist der Abt ein ehrenhafter Mensch, und er hätte darauf bestanden, daß die Reliquien in die Kapelle zurückgebracht würden. Den Drohungen Baoills hatten Mochta und Bardan entnommen, daß man Krieger zur Abtei schicken würde, um die Reliquien zu rauben. Wenn Mochta und die Reliquien verschwanden, so meinten sie, entfiele der Grund für einen Angriff auf Imleach.«
»Aber dieser Angriff fand doch statt«, warf Brehon Rumann ein.
»Ja, aber nicht auf die Abtei. Baoill und sein Freund der Bogenschütze hatten schon einen anderen Plan in Gang gesetzt. Der Hauptzweck aller dieser Aktionen bestand ja darin, Entsetzen und Angst im Volk von Muman hervorzurufen, um das Königreich zu spalten. Der Angriff und das Fällen des heiligen Eibenbaums der Eoghanacht hätten eine ebenso verheerende Wirkung auf Muman wie das Verschwinden der Reliquien. Sobald man wußte, daß die heiligen Reliquien und Mochta weg waren, wurde der große Eibenbaum das Ziel. Es war das einzige, was in gleicher Weise Furcht und Verzweiflung in Muman auslösen konnte.«
Zum erstenmal schaltete sich Brehon Fachtna in den Vortrag ein. »Du erzählst uns eine interessante Geschichte, Fidelma von Cashel. Du hast den Fürsten der Ui Fidgente von dieser Sache freigesprochen. Deine Geschichte würde noch interessanter, wenn du uns sagen würdest, wer dein Hauptverschwörer ist. Wer steckt dahinter?«
»Es war ein Kutscher Samradans, der mich zuerst auf die richtige Spur brachte.«
Brehon Dathal sah sie fragend an. »Von Kaufmann Samradan? Du meinst, Samradan war der Bote nach Armagh zum Comarb von Patrick?«
»Er sagte mir, daß er in den letzten beiden Monaten zweimal in Armagh war. Er erzählte das so arglos, daß ich annahm, er wüßte vielleicht gar nicht, worin er da verwickelt war. Ihm ging es nur um seine illegalen Geschäfte.«
»Seine illegalen Geschäfte?« forschte Brehon Ru-mann. »Ist der Mann hier anwesend?«
»Nein. Er wurde in der vorletzten Nacht ermordet. Man brachte ihn um, weil man fürchtete, durch ihn könnte ich zu dem Hauptverschwörer gelangen.«
Ein hörbares Raunen der Überraschung durchlief die Große Halle.
»Samradan befaßte sich hauptsächlich mit illegalen Geschäften. Er und seine Leute hatten eine kleine Silbermine dicht bei Imleach entdeckt. Das Land gehört der Abtei, also durfte Samradan sie nicht ausbeuten. Doch da er unter dem Schutz des Hauptverschwörers stand - eines mächtigen Fürsten, wohlgemerkt -, ermutigte ihn derselbe Fürst dazu, das Silber abzubauen, und nahm seinen Anteil am Ertrag. An dieser Bergwerksverschwörung war noch jemand beteiligt .«
Nion, der bo-aire von Imleach, versuchte heimlich die Halle zu verlassen.
»Capa!« rief Fidelma und zeigte auf den Schmied.
Der stämmige Hauptmann der Leibwache Colgüs packte den Schmied mit überraschender Kraft an der Schulter und zwang ihn, stehenzubleiben.
»Bring ihn hierher vors Gericht«, ordnete Brehon Rumann an.
Nion war blaß geworden. »Ich hatte nichts mit der Verschwörung zum Sturz von Cashel zu tun«, keuchte er.
»Gibst du zu, daß du mit diesem ... diesem Kaufmann Samradan zusammengearbeitet hast?« fragte ihn Brehon Rumann.
»Das leugne ich nicht. Ich machte aber nur Geschäfte mit ihm, weil er mir Erz aus der Mine brachte. Ich schmolz das Silber aus, und manchmal bearbeitete ich es auch.«
Fidelma nickte. »Ja. Ich glaube dir, daß du manchmal sehr schöne kleine Spangen mit Sonnensymbol angefertigt hast. Unglücklicherweise zerstörten die Angreifer deine Schmiede, so daß am Tag nach dem Überfall Samradan mit nur einem Sack Silber, das du ausgeschmolzen hattest, und einem Sack Roherz das Bergwerk verlassen mußte.«
»Meine Schmiede konnte kein Silber mehr ausschmelzen«, bestätigte Nion.
»Hast du jemals Samradans Schutzherrn gesehen?«
»Nie. Ich hatte mit dem Plan zum Sturz von Cashel nichts zutun .«
Fidelma wandte sich an die Richter. »Das verwirrte mich«, gestand sie. »Eine Weile dachte ich, Samradan und sein illegales Bergwerk wären der Schlüssel zu dem Problem. Noch dazu stellte ich fest, daß das Bergwerk in demselben Netz von Geheimgängen lag, in dem Bruder Mochta und die heiligen Reliquien verborgen waren. Es war reiner Zufall, daß Bruder Bardan auf dem Wege zu Mochta auf Samradans Bergleute stieß und von ihnen gefangengenommen und nach Cashel gebracht wurde. Samradan wollte die Verantwortung für den Tod eines Mönchs nicht auf sich laden, deshalb versteckte er Bardan im Keller unter seinem Lagerhaus und wartete auf die Entscheidung seines Schutzherrn. Der Fürst entschied, daß sowohl Samradan als auch Bruder Bardan sterben müßten. Er fürchtete, sie könnten mich zu ihm führen. Samradan war tot, als ich ihn fand. Zum Glück hatte ich Bruder Bardan schon vorher aus dem Lagerhaus befreit. Er ist hier und steht dem Gericht als Zeuge zur Verfügung.«
»Du sagtest aber vorhin, Samradan hätte dich auf die richtige Spur gebracht. Doch er war tot, als du ihn fandest. Wie kann ein toter Mann reden?« fragte Bre-hon Rumann.
»Ich erwähnte Samradans Kutscher«, erwiderte Fi-delma. »Der Kutscher wollte sich mit mir treffen und mir etwas über den Bogenschützen und Baoill mitteilen. Dieser Kutscher, dessen Namen wir nicht kennen, wußte nichts von der Verwicklung seines Herrn in diese Affäre und auch nicht, daß dieser noch einen Schutzherrn besaß. Samradan jedoch nahm an, er wolle mir etwas über seinen illegalen Bergbau verraten, denn ich hatte dummerweise Samradan merken lassen, daß ich davon wußte. Ich hatte ihn gefragt, ob er mit Silber handele, und er hatte es abgestritten. Samradan fügte dem Kutscher eine tödliche Verletzung zu, doch vor seinem Tode konnte mir der Mann noch vor einem Zeugen, dem Bruder Eadulf hier« - sie nickte zu ihm hinüber -, »gewisse Dinge mitteilen, die mich zu Bruder Mochta führten. Noch wichtiger war das, was er mir von dem Bogenschützen erzählte: als dieser im Gasthaus nahe der Abtei von Imleach wohnte, wo auch der Kutscher oft abstieg, hatte er sich mit einem unbekannten Mann getroffen, einem jungen Mann, in einen Mantel gehüllt. Es war nachts.«