»Wenn er den Mann nicht kannte, wie konnte dir das weiterhelfen?« wollte Brehon Fachtna wissen.
»Der Bogenschütze redete den Mann mit ngdomna an, also Fürst, und verriet damit seinen Rang. Das war der Hauptverschwörer. Bruder Bardan hatte gehört, wie die Angreifer mit Samradan sprachen, und dabei erfahren, daß dieser rigdomna mit einem Comarb im Komplott war.«
Fidelma sah Nion an, der, von Capa scharf bewacht, noch vor dem Gericht stand. Dann wandte sie sich dorthin um, wo Finguine, der Fürst von Cnoc Äine, saß.
»Finguine möchte vor die Richter treten«, rief sie leise.
Wieder durchlief ein Flüstern die Große Halle.
Finguine erhob sich zögernd und ein wenig ängstlich.
»Tritt vor«, brummte Brehon Rumann. »Komm nach vorn, Finguine.«
Der junge Fürst von Cnoc Äine ging langsam nach vorn.
»Du trafst gleich nach dem Überfall in Imleach ein?« fragte Fidelma.
»Ja.«
»Damals warst du sicher, daß die Ui Fidgente die Angreifer waren?«
»Ja. Nion glaubte das. Dann war da noch der eingeritzte Eber in dem Baumstamm und die Tatsache, daß die Angreifer nach Norden abzogen. Alles wies auf die Ui Fidgente hin.«
»Wie es beabsichtigt war«, stimmte ihm Fidelma zu. »Mit einer Ausnahme natürlich, dem Krieger, den wir gefangen hatten.«
»Ja. Aber der war getötet worden, bevor wir ihn identifizieren konnten«, sagte Finguine.
»An dem Abend, bevor du Imleach verlassen hast, kam Bruder Bardan in der Kapelle zu dir und gestand dir, er wüßte, wo Bruder Mochta sich mit den heiligen Reliquien verbarg.«
Finguine wies auf die Zeugen. »Dort sitzt Bruder Bardan. Er wird das bestätigen.«
»Er hat sich erboten, Mochta und die heiligen Reliquien zu dir zu bringen?«
»Ja.«
»Darf ich also annehmen, daß es ein Zufall war, der Solam an jenem Morgen mit dir zusammenführte?«
»Es war so, wie ich es dir schon sagte. Ich war gezwungen, ihn nach Cashel zu geleiten. Aber wir wurden aufgehalten, weil ich Bardan mein Wort gegeben hatte und er nicht erschienen war. Ich erklärte Solam so viel, wie ich für nötig hielt. Später erfuhr ich, daß du mit dem Angelsachsen und Bruder Mochta auf der Straße nach dem Brunnen von Ara gesehen worden warst. Man beschrieb mir, daß du etwas bei dir trugst, was nur das Reliquiar sein konnte. Was Bardan anbelangte, er war einfach verschwunden.«
»Wie hast du herausgefunden, wo ich Bruder Mochta und die heiligen Reliquien verborgen hatte?«
»Nion beobachtete dich, als du aus Dellas Haus kamst. Es war nicht viel Phantasie nötig, um Erkundigungen einzuziehen und zu erfahren, daß du mit ihr befreundet bist.«
»Bist du deshalb in Dellas Haus eingedrungen und hast Mochta und das Reliquiar mitgenommen? Eins ist mir ein Rätsel. Du hast mehr als einmal deinen Verdacht gegen die Ui Fidgente geäußert. Warum hast du dann Gionga von den Ui Fidgente mitgenommen und ihn Dellas Haus verwüsten lassen?«
Finguine blickte die Richter ängstlich an. »Ich mußte sofort handeln, nachdem Nion mir Bericht erstattet hatte. Als Nion mit mir sprach, war Solam dabei. So-lam bestand darauf, daß Gionga mich begleitete. Er war mißtrauisch und verlangte, daß ein Ui Fidgente als Zeuge dabei sei. Ich hatte keine Zeit, meine Krieger zu holen, deshalb mußte ich mich auf Gionga verlassen.«
Solam wandte sich um und nickte zustimmend. »So war es, Fidelma.«
»Als du festgestellt hattest, daß ich Bruder Mochta und das Reliquiar nach Cashel gebracht hatte, Fingui-ne, weshalb hieltest du es da für nötig, beide aus meiner Verwahrung wegzuschaffen?«
Finguine blickte verlegen drein, dann sah er ihr für einen Moment in die Augen. »Weil wir glaubten, du stündest hinter der Verschwörung gegen Cashel.«
Fidelma verschlug es die Sprache, was ausgesprochen selten vorkam.
Ihr Schweigen ermutigte Finguine, fortzufahren.
»Du warst nach Jahren der Abwesenheit gerade erst in dieses Königreich zurückgekehrt. Als du jung warst, gingst du zum Studium zu Brehon Morann nach Tara. Danach verbrachtest du viele Jahre in der Abtei Cill Dara. Du warst auch im Ausland, in Oswys Königreich im Lande der Angeln und in Rom. Wie sollten wir dir da vertrauen?«
»Ich sehe immer noch nicht ein, weshalb ihr glaubtet, ich wäre an einer solchen Verschwörung beteiligt?« vermochte Fidelma schließlich zu fragen.
Nion kam Finguine zu Hilfe. »Ich berichtete Fin-guine, was ich von Samradan gehört hatte. Er hatte sich gebrüstet, sein Schutzherr sei mächtig, jemand, der dem König von Cashel sehr nahestünde. Er hat nie gesagt, ob dieser Schutzherr männlich oder weiblich sei. Erst jetzt haben wir gehört, daß der Schutzherr mit ngdomna angeredet wurde.«
»Und rigdomna ist männlich und nicht weiblich?« fragte Fidelma spöttisch.
»Das ist nicht zum Lachen«, fuhr Brehon Rumann gereizt dazwischen. »Du hast dich beinahe in die Lage eines Hauptverdächtigen gebracht.«
Fidelma wurde plötzlich ernst. »Dann komme ich am besten wieder zur Sache, weiser Richter, bevor du mich der Verschwörung schuldig findest. Ach, noch eine Frage, Finguine. Was tatest du vorletzte Nacht vor Samradans Haus?«
»Vorletzte Nacht? Ich suchte Samradan, weil ich ihm ein paar Fragen stellen wollte. Ich ritt zu seinem Haus, aber auf mein Klopfen antwortete niemand.«
»Du gingst nicht hinein?«
»Ich stieg nicht einmal von Pferd. Ich ritt nur zur Tür und klopfte an. Als niemand antwortete, ritt ich wieder weg. Am nächsten Tag erfuhr ich, daß Samra-dan tot war - ermordet.«
»Auch im Tode liegt die Antwort bei Samradan«, bemerkte Fidelma. Wieder trat ein eisiges Schweigen ein, jeder lauschte gespannt ihren Worten. »Ich habe schon erwähnt, daß ich ihn ahnungslos fragte, ob er mit Silber handele, und daß er das verneinte. Er leugnete es, weil dieser Handel illegal war. Abgesehen von seinen Arbeitern und von Nion, der das Metall aus dem Erz gewann, wußte nur sein Mitverschwörer von der Silbermine. Dieser Mitverschwörer war der rigdomna, der den Sturz von Muman plante.
Als dieser junge rigdomna am Morgen des Attentats nach Cashel einritt, war er derjenige, der die Hand erhob und damit den Attentätern das Zeichen gab, auf Colgü zu schießen. Nur dadurch, daß Colgü sich plötzlich vorbeugte, um mich zu begrüßen, verfehlte der Schütze sein Ziel. Der zweite Pfeil traf wie vorgesehen und schlug Donennach eine schlimme, aber nicht lebensgefährliche Wunde. Dann galoppierte Gionga los, der die Attentäter erspäht hatte.
Daß seine Mitverschwörer lebend gefangen würden, war das letzte, was der rigdomna wollte. Waren sie tot, konnte der Plan immer noch gelingen. Einem von ihnen hatte er das Kreuz der Goldenen Kette gegeben und gesagt, er solle es am Ort fallen lassen. Er wußte aber nicht, daß der andere, Baoill, immer noch das Kruzifix Ailbes bei sich trug, und davon ging die Spur aus, die zu den Verschwörern führte.«
»Willst du damit sagen, daß Gionga falsch handelte, als er die Attentäter erschlug?« warf Solam ein.
»Er tat das, was er für das Richtige hielt. Er tötete die Attentäter, weil er sich in Gefahr glaubte. Hätte er gezögert, hätte wahrscheinlich der Hauptverschwörer, der ihm gefolgt war, dafür gesorgt, daß die beiden unter irgendeinem Vorwand umgebracht wurden, damit sie nicht mehr reden konnten. Jedenfalls wurden sie getötet. Aber Gionga ist dafür nicht zu tadeln.«
Gionga stand mit zusammengezogenen Brauen da, als sei er in tiefes Nachdenken versunken. Der Vorfall wurde ihm durch ihre Worte nun klarer.
Fidelma blickte aufmunternd zu ihm hinüber.
»Ich biete dir eine Wette an, Gionga. Der Mann, der dir dicht auf den Fersen war und dafür sorgte, daß du die beiden Männer bei Samradans Lagerhaus erschlugst, war derselbe, der dir andeutete, ich wäre entschlossen, auf jeden Fall Beweismaterial gegen Fürst Donennach herbeizuschaffen. Ist es nicht so? Hat er nicht vorgeschlagen, deine Krieger sollten mir den Weg nach Imleach versperren? Du solltest eine Wache auf die Brücke stellen?«