Edward Gibb war nicht glücklich. Am Silvestertag geweckt und zur Arbeit abkommandiert zu werden, entsprach in keiner Weise seinen Vorstellungen von einem gemütlichen Feiertag. Ein Rechtsanwalt hatte am Morgen dieses Tages angerufen und gefragt, ob er sich mit dem neuen Eigentümer der Fabrik treffen und die Türen aufschließen könne. Gibb hätte beinahe schon abgelehnt — er hatte sich entschlossen, sich zur Ruhe zu setzen, und hatte die Absicht, dies dem Human Resources Department mitzuteilen, sobald sie alle wieder an ihre Arbeitsplätze zurückgekehrt wären. Doch der Gedanke, den geheimnisvollen Käufer der Maidenhead Mills kennen zu lernen, reizte ihn.
Nachdem er geduscht, sich angezogen und ein schnelles Frühstück aus Tee und Toast genommen hatte, fuhr er zur Fabrik rüber. Eine Limousine, aus deren Auspuff weiße Rauchwolken in die kalte Luft aufstiegen, stand vor dem Tor. Gibb näherte sich ihr und klopfte gegen des hintere Fenster. Es fuhr nach unten, und ein Mann lächelte ihn an.
»Mr. Gibb?«, fragte er.
Gibb nickte.
»Halifax Hickman«, stellte sich der Mann vor, stieg aus dem Wagen und blieb vor dem Fabriktor stehen. »Zuerst möchte ich mich bei Ihnen entschuldigen, dass ich Sie an einem Feiertag von Ihrer Familie weggeholt habe.«
Die Männer schüttelten sich die Hand.
»Kein Problem, Sir«, wehrte Gibb ab und trat zum Tor. »Ich kann gut verstehen, dass Sie so bald wie möglich sehen wollen, wofür Sie Ihr Geld ausgegeben haben.«
»Ich war unterwegs nach Europa«, log Hickman, »und meine Zeit ist ziemlich knapp bemessen.«
»Ich verstehe, Sir.« Gibb griff in die Tasche, holte einen Satz Schlüssel hervor und entriegelte die Tür.
»Vielen Dank«, sagte Hickman, während Gibb das Tor öffnete und zur Seite trat.
»Nehmen Sie sie«, sagte Gibb und reichte Hickman die Schlüssel. »Ich habe noch einen zweiten Satz.«
Hickman ließ sie in seine Tasche gleiten. Gibb ging durch eine Art Vorhalle und durch eine Doppeltür in eine weitläufige Fabrikhalle, wo die Maschinen standen und der Stoff gelagert wurde. Er streckte die Hand nach einem Haupttrennschalter an der Wand aus und legte ihn um. Die Beleuchtung strahlte. Gibb sah Hickman an. Der Mann betrachtete die verschiedenen Maschinen.
»Dies ist die Scher- und Absaugstation«, erklärte er und deutete auf eine Maschine, die aussah wie die zu groß geratene Version eines Brat- und Grillofens, wie er in den Burger-King-Restaurants benutzt wurde. »Das Material wird über ein Förderband in das Gerät transportiert, wo es bearbeitet wird, und am Ende kommt es auf diesen Rollen wieder heraus.«
Der Metallrahmen, in dem sich die Rollen befanden, war etwa tischhoch und führte zu einer Verpackungsstation. Dort bildeten mehrere Rahmen einen Halbkreis, an dessen Ende sich eine Laderampe befand. Stoffballen konnten auf den Rollen weitergeschoben werden, bis sie entweder in Kartons gestapelt oder in Plastikfolie eingeschweißt wurden. Danach landeten sie zum Transport in Lastwagen.
Hickmans Blick wanderte weiter. »Sind das dort die Gebetsteppiche für Saudi-Arabien?«, fragte er und deutete auf drei große stählerne Frachtcontainer in der Nähe der Spinnmaschine und unweit des Tors zu den Laderampen. »Darf ich sie mal sehen?«
»Natürlich, Sir«, sagte Gibb, schloss jeden der Container auf und öffnete die Türen, »und sie hätten schon längst geliefert werden müssen.«
Hickman warf einen Blick hinein. Jeder der Container war so groß wie der Aufleger eines Sattelschleppers. Ihre Größe war so bemessen, dass sie in den Laderaum einer 747 Frachtmaschine passten. Die Teppiche hingen, an Spannern befestigt, von der Decke der Container herab, so weit das Auge reichte. Jeder Container musste mehrere tausend Stück enthalten.
»Warum werden sie nicht aufgestapelt?«, fragte Hickman.
»Wir müssen sie mit Insektiziden und Desinfektionsmitteln besprühen, ehe sie in Saudi-Arabien eingeführt werden dürfen. Auf diese Weise wollen sie sich da unten vor Rinderwahnsinn oder irgendeinem anderen Krankheitserreger schützen — dieses Verfahren ist mittlerweile in jedem Land vorgeschrieben«, sagte Gibb.
»Lassen Sie die Container offen«, sagte Hickman, »und geben Sie mir die Schlüssel.«
Gibb nickte und reichte Hickman das Gewünschte.
»Wann kommen die Arbeiter aus dem Urlaub zurück?«, fragte Hickman.
»Am Montag, dem zweiten Januar«, antwortete Gibb und folgte Hickman, der an den Maschinen vorbeiging und in die Vorhalle zurückkehrte.
»Ich habe in den USA einige Helfer angeheuert. Die Erledigung dieses Auftrags hat für uns höchste Priorität«, sagte Hickman, als sie die Vorhalle mit den Büros betraten. »Zeigen Sie mir jetzt bitte ein Büro, von wo aus ich telefonieren kann?«
Gibb deutete auf eine Treppe, die zu einem rundum verglasten Büro führte, von dem aus die gesamte Fabrikhalle zu überblicken war. »Sie dürfen gern meines benutzen, Sir. Es ist offen.«
Hickman lächelte und schüttelte Gibb die Hand. »Mr. Gibb«, sagte er freundlich, »ich denke, Sie sollten jetzt schnellstens zu Ihrer Familie zurückkehren. Ich sehe Sie dann am Montag.«
Gibb nickte, machte ein paar Schritte in Richtung Tür und blieb dann stehen. »Mr. Hickman«, sagte er zögernd, »möchten Sie heute Abend nicht zu uns kommen und mit uns den Jahreswechsel feiern?«
Hickman war schon auf halbem Weg zur Treppe und wandte sich zu Gibb um. »Das ist ein überaus liebenswürdiges Angebot«, sagte er, »aber der Jahreswechsel ist für mich immer eine Zeit der stillen Einkehr.«
»Haben Sie keine Familie, Sir?«, fragte Gibb.
»Ich hatte einen Sohn«, antwortete Hickman leise, »er wurde ermordet.«
Damit machte er kehrt und ging weiter zur Treppe.
Gibb machte ebenfalls kehrt und ging durch die Tür hinaus. Hickman war überhaupt nicht so, wie die Zeitungen immer schrieben. Er war eigentlich nur ein einsamer alter Mann, völlig durchschnittlich. Vielleicht, dachte Gibb, sollte ich meinen Entschluss, mich zur Ruhe zu setzen, noch einmal überdenken — wenn Hickman mein neuer Chef ist, könnten sich interessante Möglichkeiten für mich ergeben.
Hickman betrat das Büro und griff nach dem Telefonhörer.
Cabrillo betrat die Lobby mit Eddie Seng und Bob Meadows im Schlepptau. Ein blonder Mann in einem schwarzen Anzug und mit auf Hochglanz polierten schwarzen Schuhen kam sofort auf sie zu.
»Mr. Fleming hat einen Teil des Speisesaals absperren lassen, damit Sie ungestört konferieren können«, sagte der Mann. Fleming war der Chef des MI5. »Kommen Sie bitte hier entlang.«
Seng und Meadows gingen zum Eingang. Wie auf ein geheimes Zeichen hin erhoben sich mehrere Männer, die in der Lobby gesessen und Zeitung gelesen hatten, und folgten ihnen. Also wären sie bei ihrem Rundgang nicht allein.
Cabrillo folgte dem blonden Mann in den Speisesaal. Sie bogen in einen Flur ein, der nach links führte und erreichten einen Raum, in dem ein Mann an einem Tisch saß. Auf dem Tisch wartete eine Teekanne und eine silberne Platte mit Gebäck.
»Juan«, sagte der Mann und erhob sich.
»John«, erwiderte Cabrillo und streckte die Hand aus.
»Das ist alles«, sagte Fleming zu dem blonden Mann, der daraufhin den Raum verließ und die Tür hinter sich schloss.
Fleming deutete einladend auf einen Stuhl, und Cabrillo setzte sich. Fleming schenkte Cabrillo eine Tasse Tee ein und schob den Teller mit dem Gebäck zu seinem Gast hinüber.
»Ich habe schon gegessen«, sagte Cabrillo und zog den Tee zu sich heran.
Fleming musterte Cabrillo einige Sekunden lang nachdenklich, dann gab er sich einen Ruck. »Also, Juan«, sagte er, »was zum Teufel ist hier eigentlich los?«
Im Konferenzraum der Oregonwaren alle Plätze besetzt. Max Hanley kam als Letzter herein, trat zu einem Rednerpult und legte einen Schnellhefter darauf ab.
»Die Lage stellt sich wie folgt dar«, begann Hanley. »Wir glauben, dass sich die Bombe irgendwo im West End von London befindet. Richard hat das Apartmenthaus, das unsere Hauptperson, Nebile Lababiti, verdeckt gemietet hat, überprüft und gestern Abend beobachten können, wie Lababiti und eine andere männliche Person nach Hause kamen. Nachdem sie das Apartment betreten haben, hat Richard den Bereich vor der Wohnungstür mit einem Geigerzähler überprüft, jedoch keinerlei verräterische Strahlung gefunden. Ihr sechs werdet Juan notfalls unterstützen. Er, Bob und Eddie sind bereits an Ort und Stelle. Richard hat überdies einen Peilsender an Lababitis Jaguar befestigen können, doch bisher hat es in dieser Richtung keinerlei Aktivitäten gegeben.«