»Tun Sie mir einen Gefallen«, sagte er, »steigern Sie Ihre Erfolgsbilanz heute auf mindestens hundertzehn Prozent.«
Truitt nickte.
John war schon an der Tür, blieb aber stehen. »Sagen Sie dem Kameramann, er soll keine Nahaufnahmen von Prince Charles machen — es wäre immerhin möglich, dass uns die bösen Jungs zuschauen.«
»Wollen Sie wirklich da rausgehen?«, fragte der MI5-Agent ungläubig.
»Na klar«, sagte John. »Das dort sind alles meine Landsleute, und sie sind hergekommen, um sich ein Konzert anzuhören. Entweder haben diese Männer« — er beschrieb eine ausholende Geste, die Truitt und den MI5-Agenten einschloss — »das Problem im Griff, oder ich gehe singend unter.«
Truitt lächelte und folgte John durch die Tür hinaus.
Es gibt sechs Möglichkeiten, in einen Raum einzudringen. Vier Wände, den Fußboden oder die Decke. Amad wählte die letztere. Am Flurende des ersten Stocks in Lababitis Apartmenthaus befand sich ein Wandschrank für Putzutensilien. Zwei Monate zuvor hatte Lababiti den quadratischen Holzfußboden des Schranks vorsichtig ausgesägt und entfernt, so dass der Unterboden darunter zum Vorschein kam. Dann hatte er mit einer Rundsäge eine etwa einen halben Meter große Öffnung zum unten liegenden Laden ausgeschnitten. In dem Raum zwischen der Decke des Ladens und dem Fußboden des ersten Stocks hatte er anschließend eine Strickleiter versteckt. Nach Entfernen des Sägestaubs im Laden hatte er den runden Deckenausschnitt wieder eingesetzt und mit zwei Platten befestigt. Als Nächstes hatte er die Spalte zwischen Wand und Bodenplatte im Schrank mit Holzkitt aufgefüllt, damit von seiner Bastelarbeit nichts mehr zu sehen war. Bis zu diesem Augenblick war die Klappe nicht benutzt worden.
Amad öffnete den Wandschrank mit einem Schlüssel, den Lababiti nachgemacht hatte.
Bei offener Tür und verlassenem Flur hebelte er die Bodenplatte mit einem Schraubenzieher auf. Nachdem er das Fußbodenbrett gegen die Wand gelehnt hatte, betrat Amad den Schrank und schloss hinter sich die Tür. Er holte zwei stabile Haken aus der Tasche, schraubte sie in die Innenwand des Schranks und befestigte anschließend die Strickleiter daran. Nachdem er die Platten entfernt hatte, die den runden Deckenausschnitt fixiert hatten, legte er sie in den Wandschrank. Er ließ die Leiter durch die Öffnung nach unten fallen und kletterte hinab.
Jeder MI5-Agent auf den Dächern in der Nähe beobachtete den ersten Stock.
»Nichts«, meldeten sie sich nacheinander.
Der MI5-Agent, der einen Rundgang durch die Lobby gemacht hatte und gleich wieder herausgekommen war, ging ins Gebäude zurück. Er kontrollierte den Fahrstuhl und stellte fest, dass noch immer die Nummer zwei der Stockwerksanzeige beleuchtet war.
»Der Fahrstuhl befindet sich weiterhin im ersten Stock«, gab er Fleming über Funk durch.
Im Hotel auf der anderen Straßenseite schaute Fleming auf die Uhr. Vier Minuten waren verstrichen, seit ihr Zielobjekt mit dem Lift in den ersten Stock hochgefahren war.
»Gehen Sie über die Treppe rauf«, befahl er dem Agenten.
Amad las die Bedienungsanleitung in arabischer Sprache, dann klappte er die Abdeckung über dem Aktivierungsmechanismus auf. Die Beschriftungen bestanden aus kyrillischen Buchstaben, doch die schematische Zeichnung war eindeutig, er konnte ihr ohne Schwierigkeiten folgen. Amad legte einen Schalter um, eine Leuchtdiode begann zu blinken. Mit einem Drehknopf stellte er eine Zeitspanne von fünf Minuten ein.
Dann schwang er sich auf die Ural und betätigte den Kickstarter. Sobald der Motor lief, legte er eine Hand auf eine Fernbedienung für das Garagentor, die mit Klebeband an der Lenkstange des Motorrads befestigt war, und drückte auf den Knopf. Er schaltete in den ersten Gang und rollte bereits mit etwa fünfzehn Stundenkilometern durch die Lagerhalle, während das Tor langsam in die Höhe stieg.
Danach geschah alles gleichzeitig.
Der Agent erreichte den ersten Stock und meldete, dass er leer war, während sich gleichzeitig das Garagentor öffnete.
»Hier geht eine Einfahrt auf«, sagte Fleming in sein Funkgerät und sprintete durch die Lobby zur Tür.
Er hatte soeben eine der inneren Glastüren geöffnet, als das Motorrad erschien und auf die Straße fuhr. Amad war blitzschnell an der Ecke und bog in die Straße zum Strand ein.
»Unser Freund sitzt auf einem Motorrad!«, brüllte der Agent ins Mikrofon seines Funkgeräts.
Die Scharfschützen folgten Amad und nahmen ihn aufs Korn, doch er verschwand um die Ecke, ehe sie den Befehl zum Feuern erhielten.
Auf dem Strand drang diese Nachricht in drei Taxis, die von MI5-Agenten gelenkt wurden, aus den Lautsprechern der Funkradios. Sie verließen ihre Parkplätze am Bordstein und versuchten, die Straße zu blockieren und die Ural aufzuhalten. Amad wich zur Seite aus und jagte auf dem Bürgersteig an ihnen vorbei, dann schwenkte er auf die Fahrbahn zurück und gab Vollgas. Stetig schneller werdend, schlängelte er sich wie ein Wahnsinniger durch den Verkehr.
Weit voraus versuchte ein von einem MI5-Agenten gelenkter Lastwagen, die Straße zu blockieren, doch Amad zwängte sich auch an ihm vorbei.
Jetzt brauchte er nur noch die Bombe an den vorgesehenen Ort zu bringen oder bei dem Versuch auf der Strecke zu bleiben. So oder so wäre er ein Märtyrer. So oder so würde London brennen.
Cabrillo blickte die Straße hinunter und sah, wie die Fahrzeuge des MI5 ausgetrickst wurden. Sie hatten nicht damit gerechnet, dass das Zielobjekt ein Motorrad benutzen würde, und das war wie ein Schraubenschlüssel im Getriebe der ganzen Operation. Es gab nur eins, was in diesem Moment getan werden konnte — und Cabrillo zögerte keine Sekunde.
Er hievte einen Zeitungsautomaten vom Bürgersteig hoch und wuchtete ihn durch die Schaufensterscheibe des Motorradladens im Parterre des Gebäudes. Der Alarm heulte los. Cabrillo kletterte durch die geborstene Scheibe. Im Zündschloss der schwarzen 1952er Vincent Black Shadow steckte der Schlüssel. Nachdem er mit dem Fuß die Scherben vom Rahmen der Maschine gewischt hatte, trat er auf den Kickstarter, und der Motor sprang an. Er hob das Vorderrad der Vincent über den Fensterrahmen, legte den Gang ein und setzte über die Fensterbank hinaus auf den Bürgersteig.
Die Ural jagte an dem Motorradladen vorbei und schoss den Strand hinunter.
Cabrillo gab Gas und folgte ihr. Die Ural war zwar schnell, doch es gab kein besseres Motorrad als die Black Shadow. Hätte die Ural nicht einen Vorsprung von einem Block gehabt, die Shadow hätte sie innerhalb von Sekunden eingeholt.
»Die Zielperson sitzt auf einem grünen Motorrad mit Beiwagen und fährt den Strand hinunter«, brüllte Fleming über Funk. »Der Kerl hat die Bombe bei sich. Ich wiederhole, die Bombe befindet sich im Beiwagen.«
Der Robinson mit Adams und King stieg auf. In der Nähe des Trafalgar Square brachten Pete Jones und Julia Huxley — als Ärztin der Corporation eher für lebenserhaltende Maßnahmen zuständig — ihre Gewehre in Anschlag und visierten die Straße an. Hunderte von Menschen drängten sich dort, und sie suchte eine Position für einen sauberen Schuss, hatte damit aber keinen Erfolg. Vor dem War Cabinet Room wandten sich Mark Murphy und Franklin Lincoln vom Victoria Embankment ab und zielten in Richtung Hyde Park und Green Park. In der Piccadilly Street trennten sich Hali Kasim und Ross und nahmen beide Enden der Straße ins Visier.
Truitt hielt sich von den anderen Leuten hinter der Bühne fern, bis es Zeit wurde, hinauszugehen und sich vors Mikrofon zu stellen. Ungeduldig von einem Fuß auf den anderen tretend wartete er auf seinen Auftritt.
»Es ist so weit«, sagte der Agent Elton Johns.
Truitt schaute zu dem MI5-Agenten hinüber, doch dieser sprach soeben in sein Funkgerät, daher gab sich Truitt einen Ruck, ging auf die Bühne und näherte sich dem Mikrofon.
»Ladies und Gentlemen«, begann er, »begrüßen Sie mit mir aus Anlass des Jahresbeginns den Lieblingsmusiker unserer Nation — Sir Elton John!«
Die Bühne war dunkel — bis auf den Spotscheinwerfer, der auf Truitt gerichtet war. Dann flammte ein weiterer Scheinwerfer auf und tauchte Elton John in gleißendes Licht. Er saß an einem erhöhten Flügel, trug immer noch den gelben Overall, sein Kopf war mit einem Kevlarhelm der englischen Armee bedeckt.