»Wir brauchen mindestens eine Stunde«, sagte der Mann.
»Je schneller, desto besser.«
Die Schlinge zog sich allmählich zu, aber noch spürte Hickman sie nicht um seinen Hals.
Judy Michaels lenkte das Wasserflugzeug neben die Oregon, dann schaltete sie den Motor aus und ging zur Frachtraumtür. Während das Flugzeug langsam weitertrieb, wartete sie, bis sie jemanden auf dem Schiffsdeck sah, und warf dann ein Seil zu ihm hinauf. Der Matrose machte das Flugzeug fest, und Cliff Hornsby stieg die Leiter hinunter.
»’n Abend, Judy«, begrüßte er die Pilotin, während er das Material annahm, das zu ihm heruntergereicht wurde, »wie ist das Wetter da oben?«
»Schnee und Matsch«, antwortete Judy, während auch sie sich mehrere Kartons und Säcke reichen ließ.
Rick Barrett kletterte über die Reling. Er hatte eine Reisetasche in der Hand. Auf dem Deck wandte er sich an Judy.
»Darin findest du etwas zu essen und Kaffee«, sagte er. »Alles von mir selbst zubereitet.«
»Danke«, sagte Judy Michaels und verstaute das letzte Paket.
Michael Halpert und Tom Reyes kamen vom Schiff herunter.
»Ist von euch schon mal jemand geflogen?«, fragte Judy Michaels, ehe sie nach vorn zum Cockpit ging.
»Ich nehme zur Zeit Flugstunden«, meldete sich Barrett.
»Koch und Pilot.« Judy Michaels schüttelte den Kopf. »Eine seltsame Kombination. Komm nach vorn — du kannst das Funkgerät bedienen und bei der Navigation helfen.«
»Was sollen wir tun?«, fragte Halpert.
»Sobald der Matrose das Seil herunterwirft, müsst ihr uns mit diesem Bootshaken vom Schiff abstoßen. Dann schließt die Tür, verriegelt sie und sucht eure Plätze auf. Ich lasse den Motor an, sobald ihr meldet, dass wir freie Bahn haben.«
Sie schlängelte sich in den Pilotensitz, wartete, bis Barrett neben ihr Platz genommen hatte, dann drehte sie sich zum Frachtraum um. »Wir sind bereit«, meldete sie.
Hornsby fing das Seil auf, das heruntergeworfen wurde, Halpert schob sie von der Schiffswand weg, und Reyes schloss die Tür. »Du kannst starten«, sagte Halpert anschließend.
Judy Michaels drehte den Zündschlüssel, die Motoren sprangen brüllend an. Sie lenkte die Maschine von der Oregon weg, wartete, bis die Distanz ungefähr fünfzig Meter betrug, und gab dann Vollgas. Das Wasserflugzeug jagte über die Wellen und stieg auf.
Judy Michaels gewann an Höhe und flog eine scharfe Linkskurve.
Sie befand sich noch immer im Steigflug, als die Außenbezirke von London unter ihnen auftauchten.
Hanley verfolgte über die Außenkameras, wie sich das Wasserflugzeug vom Schiff entfernte, und wandte sich dann an Eric Stone.
»Wie läuft es bei dir?«, fragte er.
Halpert hatte seine Notizen im Kontrollraum zurückgelassen. Stone ging die verschiedenen Hinweise durch.
»Ich überprüfe gerade Hickmans Firmen«, sagte Stone.
»Und ich versuche mal rauszukriegen, ob Hickmans Pilot irgendwelche anderen Flugpläne abgegeben hat«, sagte Hanley.
Im Frachtbereich des Heathrow Airport saßen zwei Piloten im Aufenthaltsraum des riesigen Hangars der Global Air Cargo vor dem Fernseher und tranken Tee.
»Hast du schon den letzten Wetterbericht besorgt?«, fragte der Pilot seinen Kopiloten.
»Vor einer Viertelstunde«, antwortete der Kopilot. »Die Schlechtwetterfront über Frankreich löst sich auf. Der Himmel über dem Mittelmeer ist klar und bleibt so bis Riad.«
»Starterlaubnis und Zollpapiere sind in Ordnung?«, fragte der Pilot.
»Wir können sofort los.«
»Ich habe eine Strecke von dreitausendeinhundert Meilen ausgerechnet.«
»Das dürfte eine Flugzeit von gut fünfeinhalb Stunden ausmachen«, meinte der Kopilot.
»Wenn wir nur endlich unsere Fracht hätten.«
»Wenn der Eigentümer verlangt, dass wir warten sollen«, sagte der Kopilot, »dann warten wir.«
Der Pilot nickte. »Was sagt das Fernsehprogramm?«
»Eine Wiederholung des Elton-John-Konzerts im Hyde Park«, antwortete der Kopilot. »Müsste gleich anfangen.«
Der Pilot stand auf und ging zur Küche. »Ich mach uns Popcorn in der Mikrowelle.«
»Für mich bitte mit reichlich Butter.«
Judy Michaels schwebte über dem Fluss ein und landete. Nachdem sie die Maschine zum Ufer gesteuert hatte, banden die Männer das Flugzeug an ein paar Bäumen in der Nähe fest, dann entluden sie die Maschine und sahen sich um.
Der MI5 hatte sämtliche Agenten in London im Einsatz, daher war niemand gekommen, um sie zu begrüßen.
»Weiß jemand, wie man die Zündung eines Wagens kurzschließt?«, erkundigte sich Halpert.
»Ich kann das«, sagte Reyes.
»Cliff«, wandte sich Halpert an Hornsby, »schnapp dir Tom und macht euch auf die Suche nach etwas, das groß genug ist, um uns und die Ausrüstung zu transportieren.«
»Bin schon weg«, sagte Hornsby, kletterte mit Reyes die Uferböschung hinauf und machte sich auf den Weg zur Stadt.
Halpert vertrieb sich die Wartezeit, indem er die Landkarte studierte. Er hatte Judy Michaels gebeten, auf dem Weg hierher die Maidenhead Mills zu überfliegen — jetzt brauchte er auf der Karte nur noch die Straße zu finden. Sobald er sich orientiert hatte, wandte er sich an Judy, die immer noch auf einem Schwimmer ihrer Maschine stand.
»Hast du einen Becher Kaffee für mich übrig?«, fragte er.
Judy Michaels kletterte in das Cockpit, schenkte einen Becher voll und reichte ihn Halpert ans Ufer. »Wie lautet der Plan?«
»Zuerst beobachten wir«, antwortete Halpert, »dann schlagen wir zu.«
In diesem Moment fuhr Reyes mit einem alten englischen Ford-Pritschenwagen vor. Mehrere Hühnerkörbe standen auf der Ladefläche hinter dem Führerhaus. Daneben lagen ein paar verrostete Werkzeuge und ein längeres Stück Kette.
»Tut mir Leid, dass ich nichts Besseres gefunden habe«, entschuldigte er sich, während er ausstieg, »aber in unserer Situation dürfen wir nicht wählerisch sein.«
»Los, laden wir ein«, sagte Halpert und reichte Reyes die Landkarte, auf der er ihr Ziel markiert hatte.
»Ich halte am Funkgerät Wache«, sagte Judy, während die Männer die Kisten und Taschen auf die Ladefläche hievten.
»Viel Glück.«
Halpert lächelte nur und sagte nichts. Sobald alle einen Platz gefunden hatten, schlug er mit der Faust auf die Ladefläche. »Auf geht’s.«
Von hochwirbelnden Schneeflocken begleitet, entfernte sich der Lastwagen vom Ufer und schlug die Richtung zur Spinnerei ein.
43
Es war kurz nach ein Uhr morgens am 1. Januar 2006, als Cabrillo die Oregon anrief, um Bericht zu erstatten.
»Wir haben die Waffe geborgen«, sagte Cabrillo.
»Was sagt der MI5?«, fragte Hanley.
»Er ist völlig aus dem Häuschen«, antwortete Cabrillo, »es heißt, dass sie mich zum Ritter des British Empire schlagen wollen.«
»Ihr habt das Ding tatsächlich in euren Besitz gebracht?«, fragte Hanley ungläubig.
»Ich erzähl dir alles ausführlich, wenn wir wieder auf dem Schiff sind. Was ist sonst passiert?«
»Während ihr euch um die Bombe gekümmert habt, hat Michael weitere Informationen ausgegraben, die den Meteoriten mit Halifax Hickman in Verbindung bringen. Wir gehen jetzt davon aus, dass er einen Schlag gegen den gesamten Islam plant, weil sein Sohn von den Taliban in Afghanistan getötet wurde. Er hat kürzlich eine Spinnerei im Londoner Westen erworben, die einen Auftrag für Gebetsteppiche, die während des Haddsch gebraucht werden, angenommen hatte«, sagte Hanley.
»Hilf mir mal auf die Sprünge«, bat Cabrillo, »der Haddsch ist doch die Pilgerreise nach Mekka — und für alle Moslems obligatorisch, nicht wahr?«