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Als ich hinter Scilla den Sanitätsraum betreten wollte, hielt mich der Arzt zurück.

«Sie sind doch Mr. York, nicht wahr?«fragte er. Er hatte mich tags zuvor nach einem leichten Sturz untersucht.

«Ja.«

«Kennen Sie die Davidsons gut?«

«Ja. Ich wohne bei ihnen.«

Der Arzt preßte die Lippen zusammen, dann sagte er:»Er macht mir Sorgen. Die Gehirnerschütterung ist nicht weiter tragisch, aber er blutet innerlich, wahrscheinlich aus einem Milzriß. Ich habe im Krankenhaus angerufen, damit alles für eine Notoperation vorbereitet wird.«

Einer der Ambulanzwagen kam rückwärts herangefahren. Die Männer sprangen heraus, öffneten die Hecktüren, holten eine große Tragbahre aus dem Wagen und transportierten sie in den Sanitätsraum. Der Arzt folgte ihnen. Kurze Zeit später erschienen sie alle wieder. Bill lag auf der Tragbahre. Scilla folgte ihnen angstvoll.

Bills markantes, sonst braungebranntes Gesicht war jetzt bläulich-weiß und mit zahllosen, kleinen Schweißtröpfchen übersät. Er atmete keuchend durch den offenen Mund, und seine Hände zerrten ruhelos an der Decke, die man über ihn gebreitet hatte. Er trug immer noch seinen rotgrün gemusterten Jockeydress, ein schlechtes Zeichen.

Scilla sagte zu mir:»Ich fahre mit ihm in der Ambulanz. Kannst du mitkommen?«

«Ich bin im letzten Rennen noch einmal gemeldet«, sagte ich.»Anschließend komme ich sofort ins Krankenhaus. Mach dir keine Sorgen, er wird es schon schaffen. «Aber ich glaubte nicht daran. Sie wohl auch nicht.

Als sie fort waren, schlenderte ich an dem Gebäude entlang, dann durch den Parkplatz, bis ich das Flußufer erreichte. Durch den kürzlich geschmolzenen Schnee war die Themse zum reißenden Strom geworden; sandbraun und grau mit weißen Wellenkämmen. Hundert Meter zu meiner Rechten schoß das Wasser aus dem Nebel, schäumte an mir vorbei und verschwand wieder im Dunst. Konfus, ohne klaren Kurs vor sich, genau wie ich.

Denn irgend etwas an Bills Sturz stimmte nicht.

>Admiral<, ein großartiges Sprungpferd, war ohne ersichtlichen Grund gestürzt. Der Rennbahnaufseher hatte die Bahn hinter dem Hindernis überquert, als Bill und ich darauf zu ritten, aber das war durchaus nicht ungebräuchlich. Und als ich das Hindernis übersprungen hatte, während ich auf Bill herabsah, hatte ich etwas stumpf Schimmerndes bemerkt. Ich dachte lange Zeit darüber nach.

Die Schlußfolgerung ergab sich von selbst, aber sie schien unfaßbar. Ich mußte herausfinden, ob sie zutraf.

Ich ging zurück in den Wiegeraum, um mein Sattelzeug zu holen und mich für das letzte Rennen wiegen zu lassen, aber als ich die flachen Bleiplatten anbrachte, um das vorgeschriebene

Gewicht zu erreichen, erklärte die Rennleitung über die Lautsprecher, daß das letzte Rennen wegen des dichten Nebels nicht stattfinde.

Im Umkleideraum begannen sich die Jockeys zu drängen; die Teekannen und Gebäckplatten leerten sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit. Seit dem Frühstück war eine lange Zeit vergangen, und während ich mich umzog, verdrückte ich ein paar belegte Brote. Ich vereinbarte mit Clem, daß meine Sachen nach Plumpton gebracht würden, wo ich vier Tage später zu reiten hatte, dann machte ich mich auf den Weg. Ich wollte mir die Stelle, an der Bill gestürzt war, genau ansehen.

Zu Fuß ist es ein weiter Weg von den Tribünen bis zum anderen Ende der Rennbahn von Maidenhead, und bis ich dort ankam, waren meine Schuhe, Socken und Hosenbeine von dem langen, feuchten Gras völlig durchnäßt. Es war sehr kalt und sehr neblig. Kein Mensch war zu sehen.

Ich erreichte die Hecke, die harmlose, weiche, leicht zu überspringende Hecke aus aufrechtstehenden Birkenzweigen. Neunzig Zentimeter dick am Boden, halb so dick an der obersten Stelle, einen Meter fünfunddreißig hoch, etwa zehn Meter breit. Durchaus üblich, alles andere als schwierig.

Ich sah mir die Aufsprungseite der Hecke genau an. Nichts Außergewöhnliches. Ich ging hinüber zur Absprungseite. Nichts. Ich suchte in der Heckenkulisse herum, die das Pferd zum Hindernis leitet, in derjenigen an der Innenseite der Bahn, wo sich Bill vor seinem Sturz befunden hatte. Immer noch nichts.

Ich fand das Gesuchte auf der anderen Seite der Hecke, am Außenrand der Bahn. Es lag im langen Gras, halb versteckt, mit Tautropfen übersät, zusammengerollt, tödlich.

Draht.

Es war sehr viel Draht, silbernblaßgrau, zu einer Rolle von dreißig Zentimetern Durchmesser zusammengewunden und mit einem Stück Holz beschwert. Das eine Ende führte am Seitenpfosten des Geländers hinauf und war daran sechzig Zentimeter über dem oberen Niveau der Hecke befestigt. Ich konnte es mit den Händen nicht losmachen. Ich ging zum inneren Seitengeländer hinüber und sah mir dort den Pfosten an. Sechzig Zentimeter über dem Hindernis entdeckte ich im Holz eine schmale Rinne. Dieser Pfosten war früher einmal weiß lackiert gewesen, und ich konnte das Mal deutlich erkennen.

Es war mir klar, daß eine einzige Person den Draht hatte dort anbringen können. Der Aufseher. Der Mann, den ich gesehen hatte, als er die Rennbahn überquerte. Der Mann, dachte ich bitter, dem ich es überlassen hatte, Bill zu helfen.

Bei einem Dreimeilenrennen in Maidenhead mußte die Strecke zweimal zurückgelegt werden. Beim ersten Mal hatte es an diesem Hindernis keine Schwierigkeiten gegeben. Neun Pferde waren sicher darübergekommen, während >Admiral< noch die dritte Stelle einnahm, auf seine Chance wartend, während ich neben Bill herritt und ihm erklärte, daß mir das englische Klima nicht behagte.

Beim zweiten Mal war >Admiral< um Längen voraus. Als ihn der Aufseher das Hindernis vorher hatte überwinden sehen, mußte er mit dem losen Ende des Drahtes hinübergegangen sein und es um den anderen Pfosten gewunden haben, so daß sich der Draht straff in der Luft spannte, beinahe unsichtbar, sechzig Zentimeter über der Hecke. In dieser Höhe mußte >Admiral< mit der Schulter dagegenprallen.

Ob das Pferd den Draht abgerissen oder vom Pfosten gezogen hatte, wußte ich nicht genau. Da ich aber keine losen Stücke fand, hielt ich es für wahrscheinlich, daß das stürzende Pferd den nicht so stark befestigten Teil des Drahtes herabgerissen hatte. Keines der nachfolgenden sieben Pferde war gestürzt. Gleich mir hatten auch die anderen Reiter das Überbleibsel dieser Falle übersprungen.

Wenn es sich bei dem Aufseher nicht um einen Wahnsinnigen handelte, was man nicht ausschließen konnte, war das ein genau geplanter Angriff auf ein bestimmtes Pferd, auf einen bestimmten Reiter gewesen. Bill auf seinem >Admiral< hatte in diesem Stadium des Rennens fast immer die Führung übernommen, häufig sogar einen Vorsprung von zwanzig Längen herausgeholt, und sein rotgrüner Dress war sogar an einem nebligen Tag nicht zu übersehen.

Schweren Herzens trat ich den Rückweg an. Es begann dunkel zu werden. Ich hatte mich länger an der Hecke aufgehalten, als mir klargeworden war, und als ich schließlich den Wiegeraum erreichte und der Rennleitung von dem Draht berichten wollte, mußte ich feststellen, daß bis auf den Hausmeister alle gegangen waren. Der Hausmeister, ein alter, mürrischer Mann, erklärte mir, daß er nicht wisse, wo man den für die Bahn verantwortlichen Mann finden könne. Der Geschäftsführer sei jedenfalls vor fünf Minuten in die Stadt gefahren. Er wisse nicht, wann er zurück sein werde; mit der unfreundlichen Bemerkung, daß er sich nun endlich um die Heizung kümmern müsse und der Nebel im übrigen für seine Bronchitis nicht gut sei, schlurfte er schließlich davon.

Unentschlossen sah ich ihm nach. Ich wußte, daß ich den verantwortlichen Leuten von dem Draht berichten sollte, aber wem? Die gesamte Rennleitung war auf dem Weg nach Hause; ihre Autos verbargen sich irgendwo im Nebel, unerreichbar. Der Geschäftsführer hatte sich entfernt. Das Büro des Rennleiters war abgeschlossen. Es würde viel Zeit in Anspruch nehmen, einen dieser Männer zu finden, ihn zu überreden, daß er zur Rennbahn zurückkehren und im Dunkeln die Bahn hinunterfahren sollte; danach würde es Diskussionen, Wiederholungen, schriftlich fixierte Aussagen geben. Das mochte Stunden dauern.