Ich durchsuchte seine Taschen. Als einzige Waffe führte er einen Schlagring mit Zacken bei sich, den ich an mich nahm. Er kam zum Bewußtsein, sah von mir zu >Admiral<, dann wieder zu mir und fuhr erschreckt zusammen, als er begriff, wer ich war. Mit seinem Mut schien es nicht weit her zu sein. Der Anblick des Pferdes unmittelbar über ihm schien ihm mehr Angst einzujagen als alles andere.
«Er wird mich zertreten«, schrie er.
«Na und?«sagte ich.
«Führen Sie ihn weg, führen Sie ihn weg!«brüllte er.
>Admiral< wurde unruhig.
«Wenn Sie leise sind, tut er Ihnen nichts«, sagte ich zu dem Fahrer, aber er schrie wieder. Ich stopfte ihm das Taschentuch in den Mund, bis seine Augen aus den Höhlen traten.
«Jetzt halt den Mund«, sagte ich.»Wenn du still bist, tut er dir nichts. Wenn du schreist, schlägt er aus. Hast du begriffen?«
Er nickte. Ich nahm ihm den Knebel ab, und er begann vor sich hin zu fluchen, wenn auch mit leiser Stimme.
Ich beruhigte >Admiral< und verlängerte die Zügel ein wenig, damit er Gras abrupfen konnte.
«Wie heißt du?«fragte ich den Taxichauffeur.
Er spuckte aus und schwieg.
Ich fragte ihn noch einmal, und er erwiderte:»Was zum Teufel geht Sie das an?«
Ohne Gewissensbisse drehte ich >Admiral< herum, damit der Fahrer die kräftigen Hinterbeine sehen konnte. Sein Mut verließ ihn schnell wieder. Er öffnete den Mund, um zu schreien.
«Vorsicht«, sagte ich,»er schlägt aus, wenn du laut bist. Also, wie heißt du?«
«John Smith.«
«Versuchen wir es noch einmal«, sagte ich und holte
>Admiral< näher heran. Der Taxichauffeur begann zu schwitzen. Seine Lippen zitterten.
«Blake«, stieß er hervor.
«Vorname?«
«Corny. Das ist ein Spitzname.«
Ich stellte ihm noch ein paar Fragen über die Bedienung des Funkgerätes. Als ich Bescheid wußte, band ich >Admiral< an einen anderen Baum, damit er nicht in der Dunkelheit zufällig auf den Taxi chauffeur trat. Bevor ich ging, warnte ich Blake noch einmal.»Schrei ja nicht um Hilfe. Erstens hört dich hier sowieso keiner, und zweitens machst du das Pferd rebellisch. Das ist ein Vollblut, also sehr nervös. Wenn du ihn erschreckst, reißt er sich los und schlägt zu. Solange du den Mund hältst, hast du nichts zu befürchten. Verstanden?«
Ich wußte, daß >Admiral< nicht angreifen würde, wenn er sich losgerissen hatte, aber Gott sei Dank wußte es Blake nicht. Er nickte erschöpft.
«Ich vergesse schon nicht, daß du hier bist«, sagte ich.»Du brauchst hier nicht zu übernachten. Es geht nicht um dich, aber das Pferd muß in seinen Stall. «Ich tätschelte >Admiral<, überzeugte mich, daß die Fesseln an dem demoralisierten Fahrer fest verknotet waren, und eilte durch das Gebüsch zum Taxi.
Der Wegweiser war sehr wichtig, denn ich mußte ihn im Dunkeln wiederfinden. Ich schrieb mir alle Namen und Kilometerangaben von sämtlichen Hinweistafeln auf. Dann setzte ich mich ans Steuer.
Im Innern des Taxis hörte man anstelle des Quakens eine Stimme aus dem Funkgerät. Der Empfänger war so eingestellt, daß jeder Fahrer den gesamten Sprechverkehr zwischen der Zentrale und allen Taxis verfolgen konnte.
Eine Stimme im Lautsprecher sagte:»Hier ist Sid. Er läßt sich nicht blicken. Von hier aus kann ich die Straße auf eineinhalb
Meilen übersehen. Ich möchte schwören, daß er es hier nicht geschafft hat. Der Verkehr ist immerhin so stark, daß er es nicht in einem Zug fertigbringt. Ich sehe ihn auf jeden Fall, wenn er es versucht.«
Ich ließ den Motor an und fuhr in südlicher Richtung. Es begann schon zu dämmern. Ich gab Gas.
Eine Weile blieb das Funkgerät still. Dann sagte jemand:»Er muß gefunden werden, bevor es dunkel ist.«
Obwohl ich es halb erhofft, halb erwartet hatte, ließ mich das heisere, tonlose Flüstern doch zusammenzucken. Ich umkrampfte das Steuerrad. Die Stimme war so nah, daß es mir plötzlich vorkam, als sei auch die Gefahr nähergekommen, und ich mußte erst zum Fenster hinaussehen, bevor ich mich beruhigte.
«Wir tun unser Bestes, Sir«, sagte eine andere Stimme respektvoll.»Ich fahre jetzt seit einer Stunde hier auf und ab. Zwei Meilen hinauf und zwei Meilen zurück. Alle geparkten Wagen in meinem Gebiet haben ihre Position nicht verlassen.«
«Wie viele von euch sind bewaffnet?«fragte die Flüsterstimme.
«Vier im ganzen, Sir. Wir könnten noch mehr Pistolen brauchen.«
Nach einer Pause sagte die heisere Stimme:»Ich habe noch eine Waffe hier, aber wir dürfen keine Zeit verlieren. Ihr müßt mit dem auskommen, was ihr habt.«
«Jawohl, Sir.«
«Achtung, an alle Fahrer. Zielt auf das Pferd. Schießt das Pferd nieder. Der Mann darf nicht mit Kugeln im Leib aufgefunden werden. Habt ihr verstanden?«
Eine Anzahl von Stimmen bejahte.
«Fletcher, wiederholen Sie Ihre Anweisungen.«
Der höfliche Taxifahrer sagte:»Sobald wir ihn entdeckt haben, schießen wir auf das Pferd. Dann werden die anderen Fahrer herbeigerufen, damit wir den Mann verfolgen und einfangen können. Wir sollen ihn — äh — überwältigen, in eines der Taxis setzen und Ihre weiteren Befehle abwarten.«
Ich erkannte seine Stimme. Es war der Fahrer des Pferdetransportwagens. Fletcher.
Plötzlich kehrte meine Erinnerung an das Rennen in Bristol zurück. Ich spürte den Regen auf meinem Gesicht, und jetzt konnte ich mich ganz genau an den Fahrer entsinnen, wie er den Draht vom Pfosten geschnitten, aufgerollt und über den Arm gehängt hatte.
Da war noch etwas anderes. Aber bevor ich es festhalten konnte, erreichte ich ein Stop-Signal vor einer Hauptstraße. Ich bog nach links ein und hielt Ausschau nach einer Hinweistafel, der ich zu entnehmen vermochte, wie weit ich noch von Brighton entfernt war. Nach einer halben Meile fand ich sie. Elf Meilen. Also noch etwa zwanzig Minuten bis zum Ziel.
Ich dachte wieder an das Hindernis in Bristol, aber mir fiel dazu nichts mehr ein.
Während der Fahrt nach Brighton lauschte ich ständig der flüsternden Stimme. Sie klang immer drängender, immer wütender. Zuerst fand ich es beinahe unheimlich, Leute zu belauschen, die mich jagten, aber nach ein paar Minuten gewöhnte ich mich daran, achtete immer weniger darauf. Und hätte um ein Haar einen kapitalen Fehler begangen.
«Haben Sie etwas zu melden, 23?«fragte die Stimme. Niemand antwortete. Ich achtete kaum darauf. Die Stimme wurde schärfer:»23. Blake, haben Sie etwas zu melden?«
Ich erwachte aus meiner Versunkenheit, nahm das Mikrophon zur Hand, drückte auf eine Taste und sagte gelangweilt und näselnd:»Nein.«
«Antworten Sie beim nächstenmal ein bißchen schneller«, sagte die heisere Stimme streng. Anscheinend wurden die einzeln stationierten Taxis überprüft, weil die Stimme noch drei weitere Fahrer fragte, ob sie etwas zu melden hätten. Ich dankte dem Himmel, als ich das Mikrophon abschaltete, daß ich Blakes Stimme nicht für mehr als einen Augenblick hatte imitieren müssen; jedes längere Gespräch hätte mich überführt. Trotzdem folgte ich jetzt den Fragen und Antworten mit mehr Aufmerksamkeit.
Die flüsternde Stimme wurde mir immer vertrauter, bis ich Tonfall und Abstufungen unterscheiden konnte. Die Art der Satzbildung und Betonung kam mir bekannt vor, aber ich strengte mein Gehirn immer noch vergeblich an.
Und mit einemmal wußte ich Bescheid. Endlich war ich meiner Sache sicher.
Kapitel 16
Ein Taxifahrer, der sich nach dem Weg zum Polizeirevier erkundigt, wird selbst einem Geistesschwachen verdächtig erscheinen. Ich parkte den Wagen in einer Seitenstraße und hastete um die Ecke. Im nächsten Laden stellte ich dann meine Frage.