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«Sie hätten doch sofort einen Zeugen beischaffen und den Draht fotografieren, ja ihn mitnehmen müssen. Ohne Beweismaterial können wir nichts unternehmen. Ich begreife auch nicht, warum Sie nicht schon früher etwas unternommen haben. Sie sind sehr unzuverlässig, Mr. York. «Und mit diesen Worten legte er auf.

Bedrückt fuhr ich nach Hause. Ich öffnete leise die Tür zu Scillas Zimmer und warf einen Blick hinein. Ihre Atemzüge gingen tief und gleichmäßig, sie schlief noch fest.

Unten saßen Joan und die Kinder vor dem heimeligen Kaminfeuer und spielten Poker. Ich hatte es ihnen an einem regnerischen Tag beigebracht, als die Kinder ihrer Spielsachen überdrüssig geworden waren, geschrieen und miteinander gestritten hatten, bis es uns zu bunt wurde. Poker, das die Cowboys in den Wildwestfilmen zu spielen pflegten, bewirkte ein Wunder.

Henry entwickelte sich im Verlauf weniger Wochen zu einem gewiegten Pokerspezialisten. Seine Begabung für Mathematik erlaubte ihm, mit großer Präzision abzuschätzen, welche Karten auftauchen mußten; sein Gedächtnis funktionierte ausgezeichnet, und seine harmlose Miene lockte manchen nichtsahnenden Erwachsenen in die Falle. Ich bewunderte Henry. Er konnte einen Engel bluffen.

Polly beherrschte das Spiel auch recht gut, und sogar William vermochte einen >Flush< von einem >Full house< zu unterscheiden.

Sie spielten schon eine ganze Weile. Henry besaß wie gewöhnlich dreimal soviel Spielmarken wie irgendein anderer.

Polly sagte:»Henry hat alles gewonnen, deswegen mußten wir neu aufteilen und von vorne anfangen.«

Henry grinste. Ich nahm ihm zehn Chips ab und setzte mich zu ihnen. Joan teilte aus. Sie gab mir zwei Fünfen, und ich zog mir eine dazu. Henry legte nur zwei Karten ab, ließ sich ein Paar dafür geben und machte ein zufriedenes Gesicht.

Die anderen gaben innerhalb der ersten beiden Runden auf. Dann erkühnte ich mich, zwei weitere Marken in die Mitte zu

Henry warf mir einen Blick zu, um sich zu vergewissern, daß ich ihn auch beobachtete, dann tat er sehr unentschlossen, trommelte mit den Fingern auf den Tisch und seufzte. Da ich wußte, wie gern er bluffte, nahm ich an, daß er hervorragende Karten hatte und mir nur möglichst viele Marken abnehmen wollte.

«Ich gehe mit und erhöhe um einen«, sagte er schließlich. Ich wollte noch zwei Marken hinzugeben, besann mich aber anders und sagte:»Nein, mein Lieber, mit mir nicht«, und ich warf meine Karten hin. Ich schob ihm die vier Marken zu.»Da, hier hast du; mehr bekommst du diesmal nicht.«

«Was hast du denn gehabt, Alan?«Polly drehte meine Karten um und zeigte die drei Fünfen. Henry grinste. Sanft legte er seine Karten mit dem Bild nach oben auf den Tisch. Er hatte zwei Könige. Nur zwei.

«Diesmal habe ich dich erwischt, Alan«, meinte er vergnügt.

William und Polly ächzten.

Wir spielten, bis ich meine Ehre gerettet und Henry eine hübsche Anzahl Marken abgenommen hatte. Dann war Schlafenszeit für die Kinder, und ich ging hinauf, um nach Scilla zu sehen.

Sie lag wach im Dunkeln.

«Komm ’rein, Alan.«

Ich trat ans Bett und knipste die Nachttischlampe an. Sie hatte den ersten Schock überwunden und wirkte ruhig und beherrscht.

«Hast du Hunger?«fragte ich.

«Stell dir vor, ich möchte wirklich etwas essen«, sagte sie überrascht.

Ich ging nach unten, und Joan machte etwas zu essen. Ich trug das Tablett hinauf. Später erzählte sie mir, wie sie Bill kennengelernt hatte, wie sie einander begegnet waren, wie schön

alles gewesen wäre. Ihre Augen glänzten. Sie sprach sehr lange von Bill, und ich unterbrach sie nicht, bis ihre Lippen zu zittern begannen. Dann erzählte ich ihr von Henry und seinen zwei Königen; sie lächelte und wurde wieder ruhiger.

Ich hätte sie gerne gefragt, ob Bill in letzter Zeit in Schwierigkeiten gewesen oder irgendwie bedroht worden wäre, aber das hatte noch Zeit. Ich wartete, bis sie ein Schlafmittel genommen hatte, knipste das Licht aus und sagte ihr gute Nacht. Als ich mich in meinem Zimmer auszog, spürte ich erst, wie müde ich war. Ich fiel buchstäblich ins Bett und schlief sofort ein.

Eine halbe Stunde später schüttelte mich Joan.»Mr. York, wachen Sie doch auf. Ich habe schon eine Ewigkeit an Ihre Tür geklopft.«

«Was ist denn los?«

«Sie werden am Telefon verlangt.«

«Das darf doch nicht wahr sein«, stöhnte ich. Ich schaute auf die Uhr. Elf.

Ich wankte die Treppe hinunter.

«Hallo?«

«Mr. Alan York?«

«Ja.«

«Bleiben Sie bitte am Apparat. «Es knackte ein paarmal. Ich gähnte.

«Mr. York? Ich soll Ihnen etwas von Inspektor Lodge ausrichten. Er möchte, daß Sie morgen nachmittag um vier Uhr ins Polizeirevier nach Maidenhead kommen.«

«Gut, ich werde da sein«, sagte ich. Ich legte auf, ging ins Bett zurück und schlief wie ein Murmeltier.

Lodge erwartete mich. Er stand auf, gab mir die Hand und deutete auf einen Stuhl. Bis auf einen Aktendeckel war die

Schreibtischplatte völlig leer. Hinter mir an einem kleinen Tisch in der Ecke saß ein uniformierter Wachtmeister mit Notizblock und Bleistift.

«Ich habe hier ein paar Vernehmungsniederschriften«, Lodge tippte auf die Akte,»über die ich mit Ihnen sprechen möchte. Danach muß ich Sie einiges fragen. «Er schlug die Akte auf und nahm zwei Blätter heraus.

«Das hier ist die Aussage von Mr. G. L. Dace, Rennleiter in Maidenhead. Er gibt an, daß neun Aufseher, also jene Männer, die neben den Hindernissen stehen, um sie während des Rennens notfalls wieder aufzubauen, fest angestellt sind. Bei dem bewußten Rennen waren nur drei Aufseher neu. «Lodge nahm das nächste Blatt zur Hand.»Das ist die Aussage George Watkins’, eines der fest angestellten Aufseher. Er erklärt, daß die Männer unter sich auslosen, wer welches Hindernis zu übernehmen hat. Am Freitag wurde wie üblich gelost, aber am Samstag erbot sich einer der Neulinge, das am weitesten entfernte Hindernis zu übernehmen. Niemand machte das gerne freiwillig, sagte Watkins, weil man zwischen den Rennen nicht zu den Buchmachern zurückgehen könne. Man war also froh, daß der Fremde das Hindernis übernahm, und loste nur die übrigen aus.«

«Wie sah denn dieser Aufseher aus?«erkundigte ich mich.

«Sie haben ihn doch selbst gesehen«, meinte Lodge.

«Nein, nicht richtig«, sagte ich.»Für mich war er nur irgendein Mann, ich habe ihn nicht angesehen. Bei jedem Hindernis steht mindestens eine Aufsichtsperson. Ich würde keine davon wiedererkennen.«

«Watkins denkt, daß er diesen Mann wiedererkennen würde, aber er vermag ihn nicht zu beschreiben. Unauffällig, sagte er. Nicht groß, nicht klein. In mittlerem Alter, glaubt er. Er trug eine Mütze, einen alten, grauen Anzug und einen weiten Mantel.«

«Er nannte sich Thomas Cook«, fuhr Lodge fort.»Im Augenblick habe er keine Arbeit, aber nächste Woche werde er eine Stellung annehmen; in der Zwischenzeit wolle er sich ein paar Shillinge verdienen. Sehr plausibel, nichts Ungewöhnliches an ihm, behauptet Watkins. Allerdings sprach er wie ein Londoner, nicht mit einem Berkshire-Akzent.«

Lodge nahm ein drittes Blatt aus der Akte.»Hier die Aussage von John Russell, einem der Sanitäter. Er erklärt, neben dem ersten Hindernis auf der Geraden gestanden zu haben. Wegen des Nebels konnte er nur drei Hindernisse sehen: das, neben dem er stand, das nächste auf der Geraden und das am weitesten entfernte, an dem Major Davidson stürzte.

Als Russell gesehen hatte, wie Major Davidson aus dem Sattel fiel, ging er auf das Hindernis zu; Sie ritten an ihm vorbei und schauten sich um. Er begann zu laufen. Er fand Major Davidson auf dem Boden liegend vor.«

«Hat er den Draht gesehen?«fragte ich schnell.

«Nein. Ich wollte von ihm wissen, ob er irgend etwas Ungewöhnliches bemerkt habe. Von Draht sprach ich nicht. Er verneinte.«

«Hat er nicht gesehen, daß der Aufseher den Draht zusammenrollte, während er auf ihn zu lief?«