Ich hatte die Hand immer noch auf die Wange gepreßt. Ich ließ sie sinken, aber die Geste hatte eine klare Sprache gesprochen. Mir war wieder eingefallen, was am Hindernis in Bristol geschehen war.
Ich stand auf. Der Starter fragte mich verärgert, ob alles in Ordnung sei; ich bejahte und entschuldigte mich für die Verzögerung des Rennens. Jemand hatte >Forlorn Hope< eingefangen, und man führte ihn zurück.
Sandy, der es nicht eilig zu haben schien, blieb vor mir stehen.
«Du kannst nichts beweisen«, sagte er.»Niemand wird mich mit Penn in Verbindung bringen.«
«Das werden wir ja sehen«, meinte ich.»Warum hast du es getan?«
«Um Geld zu verdienen, was dachtest du denn?«sagte er verächtlich.
«Warum hast du die Pferde nicht selbst abgewürgt? Warum durfte denn Joe das viele Geld verdienen?«
«Ich ließ ein paar Pferde stehen. Die Rennkommission lud mich nach dem zweiten Fall vor, und ich kam gerade noch davon. Ich schlug dem Boss vor, Joe einzusetzen. Sollte der doch seine Lizenz verlieren, sagte ich ihm. Aber ich war jedesmal am Gewinn beteiligt.«
«Deswegen warst du so wütend, als er auf >Bolingbroke< gewann.«
«Richtig.«
«Dann hat dir Joe also nicht im Waschraum erzählt, daß er >Bolingbroke< stehenlassen würde. Du wußtest es schon vorher.«
«Sehr schlau von dir«, höhnte Sandy.
«Und du hast ihn wohl auch in Plumpton vom Pferd gestoßen?«
«Na und? Ich verlor fünfzig Pfund Wetteinsatz und die Prämie vom Boss.«
«Und warum mußte er sterben?«fragte ich bitter.
Der Mann, der >Forlorn Hope< zurückbrachte, war nur noch hundert Meter entfernt.
«Der Idiot konnte ja seinen Mund nicht halten«, fauchte Sandy.»Er wedelte mit dem Packpapier herum und wollte dich unbedingt sprechen. Ich sah, was darauf geschrieben stand, und erzählte es Fielder, das ist alles.«
«Und hernach hast du Fielder angerufen und ihm gesagt, daß der Job verpfuscht worden sei und Joe vor seinem Tod mit mir gesprochen habe?«
«Ja«, meinte Sandy mürrisch.»Ich habe ja gehört, wie du es bei allen Leuten im Wiegeraum herumerzählt hast.«
«Das war eine Lüge«, erwiderte ich.»Joe starb, ohne ein Wort zusagen.«
Er starrte mich mit aufgerissenen Augen an, drehte sich um und bestieg sein Pferd. Ich bedankte mich bei dem Mann, der >Forlorn Hope< zurückgebracht hatte, und stieg ebenfalls auf.
Die Geduld des Starters war nun zu Ende.
«Aufstellen«, sagte er, und die Pferde wurden ausgerichtet. Ich trieb >Forlorn Hope< an den Platz neben Sandy. Ich hatte noch eine Frage zu stellen.
«Warum um Himmels willen hast du Penn vorgeschlagen, es bei Major Davidson zu versuchen? Du mußt doch gewußt haben, daß er niemals mittun würde.«
«Auf diese Idee kam der Boss, nicht ich«, knurrte Sandy.»Ich ließ ihn durch Fielder warnen, aber es war nichts zu machen. Auch das mit dem Draht war sein Einfall. Und ich wäre besser dran, wenn du bei dem Sturz draufgegangen wärst«, meinte er giftig.
Das Startband schnellte hoch, und das Rennen begann.
Ich weiß nicht genau, wann Sandy beschloß, mich aus dem Sattel zu stoßen. Vielleicht dachte er an das viele Geld, vielleicht war es nur aus Wut.
Als wir uns der zweiten Hürde näherten, trieb er sein Pferd jedenfalls zu mir herüber. Wir befanden uns in der Gruppe hinter den Spitzenreitern, und ich ritt ganz innen, neben dem Geländer.
Ich warf einen Blick auf Sandys Gesicht. Er konzentrierte sich auf den nächsten Sprung, aber sein Pferd kam immer näher heran. Er läßt mir nicht viel Platz, dachte ich.
Im letzten Moment erkannte ich, daß er mich so weit hinüberdrängen wollte, daß ich ins Hindernis stürzen mußte. Eine gefährlichere Stelle gab es kaum.
Ich zerrte am Zügel. >Forlorn Hope< fiel zurück, und ich trieb ihn nach rechts. Ich schaffte es gerade noch. Die Hürden tauchten plötzlich vor uns auf, und >Forlorn Hope< stürzte die erste davon mit den Vorderbeinen um. Das Pferd dahinter prallte mit ihm zusammen, und der Jockey rief mir ein Schimpfwort zu.
>Forlorn Hope< war zu grün für solche Sachen, und ich mußte außer Sandys Reichweite bleiben, wenn ich das Pferd nicht für immer verängstigen wollte.
Aber Sandy gab sich nicht zufrieden. Auf der Geraden vor den Tribünen ließ er sich langsam zurückfallen. Er war ein besserer Jockey als ich und hatte ein erfahreneres Pferd. Wenn ich schneller ritt, holte er auf, und wenn ich das Tempo verlangsamte, fiel er ebenfalls zurück. Ich konnte ihn nicht abschütteln. Vor den Zuschauern blieb er fair, aber hinter der nächsten Kurve waren wir praktisch unter uns.
Ich überlegte, ob ich überhaupt aus dem Rennen ausscheiden sollte, aber diesen Sieg wollte ich ihm nicht zugestehen. Als wir geschlossen um die Kurve gingen, versuchte es Sandy von neuem. Er trieb sein Pferd nahe an >Forlorn Hope< heran. Ich wurde gegen Dane gepreßt, der zu meiner Linken ritt. Er warf einen Blick hinüber und brüllte:»Geh weg, Sandy. Laß uns ein bißchen Platz.«
Sandy gab keine Antwort. Ich fühlte, wie sein Knie unter meinem Schenkel entlangrutschte, bis es in meiner Kniekehle ruhte. Dann riß er sein Bein nach oben.
Mein Fuß glitt aus dem Steigbügel, und ich verlor das Gleichgewicht. Ich fiel nach links und klammerte mich krampfhaft an die Mähne meines Pferdes. Ich wußte, daß ich mich nur noch wenige Sekunden lang halten konnte.
Dane rettete mich. Er stemmte die Hand gegen meine linke Seite und hob mich buchstäblich in den Sattel zurück.
«Danke«, keuchte ich und tastete mit dem rechten Fuß nach dem Steigbügel.
Nicht weit nach der Kurve kamen die nächsten Hindernisse, und ich bemühte mich, das Pferd zu versammeln. Ich wandte den Kopf nach rechts, aber die Sonne schien mir direkt in die Augen. Eine Sekunde lang war ich geblendet. Dann sah ich, daß Sandy noch neben mir ritt.
Mir fiel ein, daß an so schönen Tagen auf dieser Bahn die Zuschauer genau in die Sonne sahen, so daß sie nicht genau zu erkennen vermochten, was hier geschah. Was Sandy auch tat, er durfte damit rechnen, daß man ihm nichts anzukreiden vermochte.
Beim nächsten Hindernis gewann ich ein paar Meter gegenüber Sandy und Dane, aber wenige Augenblicke später hatte mich Sandy wieder eingeholt.
Plötzlich holte er aus. Er hatte die Reitpeitsche in der Hand und zielte auf mein Gesicht. Ich duckte mich. Der Schlag landete auf meinem Helm und fetzte ihn mir vom Kopf. Der Helm rollte über die ganze Bahn.
Sandy holte wieder aus. Ich nahm Peitsche und Zügel in die linke Hand und riß den rechten Arm hoch, als er zuschlug. Mehr durch Zufall bekam ich seine Peitsche zu fassen. Verzweifelt zerrte ich daran. Ich riß ihn halb aus dem Sattel und freute mich schon meines Sieges, aber im letzten Augenblick ließ er die Peitsche los und gewann sein Gleichgewicht wieder. Sein Pferd wurde etwas abgetrieben, und ich sah hoffnungsvoll über die Schulter, aber kein anderes Pferd war in der Nähe. Ich warf Sandys Peitsche auf den Boden.
Wir näherten uns der nächsten Hürde. Ich hielt Abstand vom Geländer und versuchte, >Forlorn Hope< auszurichten, aber ich spürte, daß Sandy wieder herankam. Mein Pferd übersprang das Hindernis. Sandy setzte mit gewaltigem Schwung über die Hürde und zog unmittelbar vor mir sein Pferd vorbei.
>Forlorn Hope< krachte ins Geländer.
Wie durch ein Wunder stürzte er nicht. Er prallte zurück, tau melte, zögerte, und galoppierte weiter. Mein Bein, das unterhalb des Knies zwischen seinem Leib und dem Geländer eingequetscht worden war, schien völlig gefühllos zu sein. Meine Seidenhose war am Knie aufgerissen, und an meinem teuren, handgefertigten Reitstiefel klaffte ein großer Triangel. Ohne es logisch begründen zu können, wurde ich erst jetzt richtig wütend.