Выбрать главу

Natürlich hatte er nie erwartet, hier mal selbst einbrechen zu müssen. Als er und Hazel also schließlich in Sichtweite seiner alten Burg waren, mußten sie anhalten und gründlich nachdenken. Eine frontale oder seitliche Annäherung kam nicht in Frage; durch ihre besondere Beschaffenheit waren Owen und Hazel vielleicht nicht für die Sensoren der Burg erkennbar, wohl aber uneingeschränkt für das bloße Auge. Und Owen teilte nicht Hazels Überzeugung von ihrer beider Unverwundbarkeit.

Nach dem Austausch einiger Argumente entschieden sie schließlich, daß der einzige praktische Weg zur Rückmauer führte. Dazu mußten sie erst ein Stück des Weges zurückgehen, den sie gerade gekommen waren, um dann langsam zum wellengepeitschten Fuß des großen Vorgebirges hinabzusteigen.

Endlich standen sie gemeinsam inmitten der hochgewirbelten Gischt und blickten mehrere hundert Fuß einer nackten Granitwand hinauf.

»Früher sah man hier Vögel«, erzählte Owen leise. »Oder Dinge, die Vögeln sehr ähnlich waren. Sie stiegen mit dem Wind auf, zogen ihre Kreise und schrien mit den traurigsten Stimmen, die man je gehört hatte. Und jetzt sind sie alle dahin.

Sie haben sogar die verdammten Vögel getötet!«

»Nur ein weiterer Grund, um Rache zu nehmen«, sagte Hazel. »Nichts geht über ein bißchen geschürte Wut, um den Körper auf einer langen, kalten Kletterpartie zu wärmen.«

»Es ist sehr kalt hier«, sagte Owen. »Ich denke nicht, daß mir je wieder warm wird.«

Er machte sich auf den Weg die dunkle Granitwand hinauf.

Er kletterte langsam und vorsichtig, und einen Moment später folgte ihm Hazel. Der Wind umrauschte sie, mühte sich, sie von der jähen Felswand zu pflücken, konnte sie aber nicht von der Stelle bewegen. So begnügte er sich damit, ihnen Tränen aus den Augen zu wehen. Owen konzentrierte sich auf die Wand vor ihm und bewegte sich selbstbewußt von einem Fußhalt und einem Handgriff zum nächsten.

Nach den ersten dreißig Metern entschied er sich definitiv, er würde keinen Blick nach unten riskieren, bis er sicher innerhalb der Burg war. Tolle Aussichten mal außer acht, hatte er sich in großer Höhe noch nie wohl gefühlt. Trotzdem fiel es ihm immer leichter, die nackte Felswand zu erklimmen, und er fand mit Händen und Füßen instinktiv Vorsprünge und Absätze, von denen er geschworen hätte, daß sie gar nicht vorhanden waren, bis er sie brauchte. Nicht zum ersten Mal hatte er das Gefühl, als wüßte der Körper selbst, was er zu tun hatte, ohne daß er es ihm hätte erklären müssen. Owen dachte darüber nach, während er kletterte. Er vollbrachte heute allerlei Dinge, zu denen er früher nie fähig gewesen war, ehe er das Labyrinth des Wahnsinns durchquerte und als jemand wieder daraus hervorkam, der sein altes Selbst so sehr übertraf. Die Talente kamen und gingen, und er konnte sich nicht immer darauf verlassen, daß sie vorhanden waren, wenn er sie brauchte. Und selbst nach all dieser Zeit war er kein bißchen schlauer geworden, welcher Art sie waren. Er blickte zu Hazel hinüber, die gelassen an der glatten Granitfläche emporkletterte wie ein Insekt an einer Glasscheibe, und mußte sich wieder abwenden. Er hoffte wirklich, daß er keinen vergleichbaren Eindruck machte. Er zwang sich, wieder hinüberzublicken, und stellte fest, daß Hazel den Blick erwiderte.

»Ich weiß, was du denkst«, sagte sie gelassen.

»Wäre nicht das erste Mal«, sagte Owen. »Ich vermute, Ihr hattet vor dem heutigen Tag auch keine Ahnung vom Bergsteigen?«

»Präzise umrissen. Es scheint, als wüßten Hände und Füße genau, wohin sie sich bewegen müßten, ohne daß ich erst hinsehe – als hätten sie es schon immer gewußt. Gruselig. Ich frage mich, was wir sonst noch alles schaffen würden, wenn wir es uns nur vornähmen. Ich habe schon immer davon geträumt, mal zu fliegen…«

»Das würde ich in diesem Moment nicht gerade probieren«, erwiderte Owen. »Die Klippen dort unten wirken besonders unnachgiebig.«

»Guter Punkt.«

Sie kletterten schweigend ein Stück weiter. Owen konnte nicht umhin festzustellen, daß sie beide nicht einmal schwer atmeten.

»Denkt Ihr je über das nach, was wir alles tun können?« fragte er schließlich. »Und zu wem wir uns entwickeln? Wir sind keine Esper. Ich habe etliche führende Leute der Esper-Bewegung gebeten, mich zu sondieren. Sie haben keine Ahnung, wie ich es schaffe, all das zu tun, was mir heute möglich ist.«

»Ich bemühe mich, nicht zu viel darüber nachzudenken«, sagte Hazel. »Wir haben Gaben erhalten. Gaben, die uns in Situationen das Leben gerettet haben, in denen jeder andere eines entsetzlichen Todes gestorben wäre. Sie haben uns dabei geholfen, das Imperium zu stürzen. Warum einem solchen geschenkten Gaul ins Maul schauen?«

»Die Tatsache allein, daß etwas an jeder Ecke ein Bein hat und Heu frißt, heißt noch nicht, daß es ein Pferd ist. Esper sind trotz all ihrer Kräfte immer noch Menschen. Das ist einer der Gründe, warum wir die Rebellion ausgefochten haben. Uns hat jedoch eine extraterrestrische Anlage verändert. Wer weiß schon, welchem Zweck sie eigentlich diente, was sie hervorbringen sollte?«

»Eine Verwandlung«, sagte Hazel langsam. »Sie hat uns… besser gemacht, als wir vorher waren. Das war ihre Funktion.

Daran kann ich mich noch erinnern.«

»Aber was meinen wir mit besser? Eine menschliche Definition oder eine extraterrestrische?«

»Warum zum Teufel fragst du mich? Du bist das Hirn in dieser Partnerschaft. Ich schieße nur auf Dinge.«

Owen seufzte. »Weil ich es leid bin, mir Fragen zu stellen, auf die ich keine Antwort finde. Oder auf die ich Antworten finde, die mich einfach zu stark beunruhigen. Unsere einzige Hoffnung auf Antwort war das Labyrinth selbst, und es existiert nicht mehr. Vernichtet. Und damit waren all unsere Hoffnungen dahin, genau zu erfahren, was mit uns gemacht wurde und warum.«

»Warum quälst du dich dann?« fragte Hazel. Sie stoppte und sah ihn an, weil sie feststellte, daß er ebenfalls nicht mehr weiterkletterte.

»Weil ich Angst vor dem habe, was vielleicht aus mir wird«, antwortete Owen. »Ich habe Angst, daß ich womöglich aufhöre, ein Mensch zu sein. Daß ich die menschliche Natur hinter mir lasse. Habt Ihr je daran gedacht, daß wir uns vielleicht so weit vom normalen Menschen entfernen wie die Hadenmänner oder die Wampyre oder die KIs von Shub? Daß wir… fremdartig genug werden könnten, um zu vergessen, wer und was wir einmal waren?«

»Hör auf damit, Owen!« versetzte Hazel scharf. »Du machst dir nur selbst Angst. Ich fühle mich nicht anders als früher. Ich glaube nach wie vor an dieselben Dinge, wünsche mir dieselben Dinge, verabscheue dieselben Dinge. Ich bin immer noch ich selbst. Meine Fähigkeiten erleichtern es mir nur so sehr, das zu erreichen, was ich möchte.«

Sie kletterte weiter, und einen Augenblick später folgte ihr Owen. »Ich denke, es ist ein subtilerer Vorgang«, sagte er schließlich. »Eine kleine Veränderung bedeutet vielleicht nicht viel, aber wenn man genug davon aneinanderreiht… Ich meine, wir haben nicht mal die leiseste Idee, wie unsere Kräfte funktionieren. Warum sie kommen und gehen, wie sie es nun mal tun. Manchmal sind wir einfach Kämpfer mit mehr Biß, und zu anderen Zeiten sind wir nahezu Götter. Wir lenken unsere Kräfte nicht selbst. Sie lenken uns.«

»Sieh mal«, sagte Hazel. »Falls du versuchst, mir Angst einzujagen, hast du Erfolg, also laß es lieber. Für unseren Zustand haben wir nun mal kein Handbuch erhalten, und wir können nur darauf hoffen, durch die Praxis zu lernen.«