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»Wenn sie so kalt ist, wie ich denke, könntest du eine Erfrierung bekommen, nur indem du sie anfaßt«, sagte Hazel.

»Kein Grund zur Sorge«, sagte Owen. »Bei Hofe habe ich eine Menge Frauen dieser Art gekannt.« Er schüttelte langsam den Kopf. »Ich dachte, ich hätte schon alles erlebt. Habe geglaubt, ich hätte soviel Tod und Leid gesehen, daß mir dies hier nichts mehr ausmachen würde. Aber ich habe mich wohl geirrt.«

»Sobald du aufhörst, etwas zu fühlen«, sagte Hazel, »stirbt auch ein Teil von dir. Der menschliche Teil. Aber so schlecht du dich auch fühlst, du hast trotzdem vor, diese Aktion durchziehen, oder?«

»Natürlich. Sie ist notwendig. Er hat meine Welt gemordet.«

Owen zog den Disruptor, zielte damit auf die gestapelten Leichen vor sich und feuerte. Der Energiestrahl riß einen Pfad durch die froststarren Toten und erzeugte einen Tunnel von einem knappen Meter Durchmesser. Es sah aus, als hätte sich ein riesiger Wurm oder eine gigantische Made auf dem Weg zu einer unbekannten, scheußlichen Bestimmung einen Weg durch den Leichenberg gefressen. Owen steckte den Disruptor weg und wandte sich an Hazel.

»Wir kriechen durch den Tunnel, so weit er reicht. Ihr müßt Leichen hinter uns hereinziehen, um unsere Spur zu verwischen. Was ich uns an zusätzlichem Raum verschafft habe, ermöglicht es uns, am Ende des Tunnels zu manövrieren.«

Hazel sah ihn für einen Moment an. »Nichts wird dich aufhalten, was, Todtsteltzer?«

»Nein. Ich weiß, daß das schwierig für Euch wird, Hazel, aber… Ich brauche Euch. Tut es für mich.«

»In Ordnung. Für dich. Dafür schuldest du mir dann jedoch einen verdammt großen Gefallen.« Finster musterte sie den Tunnel. »Es wird dunkel sein, sobald wir… innerhalb des Leichenbergs. Wie sollen wir unseren Weg erkennen?«

»Ich weiß, wo ich die Geheimtür finde«, sagte Owen. »Ich spüre sie in meinen Gedanken. Ihr braucht mir nur zu folgen.

Sorgt Euch nicht. Ihr schwebt ja nicht in Gefahr, Euch darin zu verirren. Gehen wir.«

Und er wandte sich von ihr ab und betrat die Kammer der Toten. Die bittere Kälte schnitt ihn förmlich auf, und er zitterte so heftig, daß ihm die Zähne klapperten. Die gefrorene Luft brannte in Hals und Lungen, als hätte er Rasierklingen geschluckt. Sofort bildete sich Rauhreif auf Haar und Augenlidern, und die Augen taten ihm weh, als die Flüssigkeit darin zu frieren begann. Owen blinzelte kräftig, knirschte mit den Zähnen und kniete nieder, um in den Tunnel zu kriechen, den er eben erzeugt hatte. Nicht einmal mit dem auf volle Kraft und breite Streuung eingestellten Disruptor hatte er einen besonders breiten Tunnel schießen können. Er würde auf allen vieren hindurchkriechen müssen. Er stieß sich die Knie an den Leichen, die so hart wie Beton gefroren waren. Der Energiestrahl hatte einige von ihnen so sauber aufgeschnitten wie mit dem Skalpell eines Chirurgen und dabei festgefrorene Innereien freigelegt. Sie waren überwiegend grau, mit ein paar blassen Schattierungen von Rosa und Purpur; die schreckliche Kälte hatte ihnen sogar die Lebendigkeit der Farben entzogen.

Owen rutschte weiter vor, streckte die Hände aus, packte die Leichen vor sich und zerrte sich hinein. Das tote Fleisch war so kalt, daß es ihm die nackten Hände verbrannte. Alle Instinkte schrien ihn an, er solle augenblicklich loslassen, aber er hörte nicht hin. Er griff fester zu und zog sich voran. Als er dabei doch den Griff lösen mußte, blieb sein warmes Fleisch am kalten hängen, und er mußte alle Kraft aufwenden, um es loszureißen. Er ließ Hautfetzen zurück, hatte aber keine Schmerzen.

Er weigerte sich, Beunruhigung aufkommen zu lassen. Die Haut würde nachwachsen, und immer weniger würde überhaupt abreißen, da die Hände allmählich abkühlten. Der Körper adaptierte sich schon an die scheußliche Kälte; die Körpertemperatur sackte mit einer Geschwindigkeit ab, die jeden anderen Menschen umgebracht hätte. Nirgendwo fühlte er mehr etwas, und die Augen waren in geöffnetem Zustand festgefroren, aber er zitterte nicht mehr. Arme und Beine fühlten sich an, als gehörten sie jemand anderem. Der Atem dampfte nicht mehr vor ihm in der Luft. Er zog sich weiter durch den Tunnel, tiefer hinein ins Reich der Toten, und die Dunkelheit schloß sich langsam um ihn. Er hörte, daß ihm Hazel dicht auf den Fersen war, vernahm ihren rauhen Atem, und sie war sein einziger Trost.

Der Tunnel war früher zu Ende, als er erwartet hatte. Er packte die Leichen vor sich, zerrte sie auseinander, legte einen Pfad frei. Oft gerieten ihm Gliedmaßen als Hindernisse in den Weg, und er mußte daran ziehen und zerren, sie abbrechen und zur Seite legen, sie aus dem Weg schaffen. Die Arme und Beine brachen sauber ab, Holzstücken gleich. Er versuchte, sie sich als genau das vorzustellen, aber es gelang ihm nicht. Es waren Menschen, sein Volk. Manchmal mußte er mit seiner übermenschlichen Kraft Brustkörbe einschlagen, um den nötigen Platz zu schaffen. Die reglosen Toten widersetzten sich ihm störrisch, und er entwickelte Widerwillen gegen sie. Wußten sie nicht, daß er es für sie tat? Er schlug mit den Fäusten zu und freute sich aus mehr als einem Grund, daß die Hände taub waren.

Er spürte Hazel hinter sich und hörte die abgehackten, brechenden Geräusche ihres langsamen Vorrückens, aber als er ihren Namen krächzte, antwortete sie nicht. Vermutlich setzte die Kälte ihrer Stimme ebenso zu wie seiner. Ohnehin konnte er sich nicht umdrehen und nachsehen, ob irgendwas nicht stimmte. Der Platz reichte nicht. Also machte er weiter, näherte sich der Tür.

Es war inzwischen sehr dunkel. Der letzte Rest des Lichtes, das die Haupthöhle und das neu eingeschaltete Kraftfeld spendeten, war schon lange zurückgeblieben. Überall ringsherum vernahm Owen Geräusche von Bewegung, knarrende Geräusche, während sich die Gewichte im Leichenberg aufgrund seiner Aktionen verlagerten. Es schien fast, als rührten sich die Toten, aufgestört von der Anwesenheit Lebender mitten unter ihnen. Owen war dankbar für die Dunkelheit. Er hegte die lautlose Schreckensvorstellung, eines der toten Gesichter könnte die Augen öffnen und sich zu ihm umwenden, wenn er vorüberkroch, und er glaubte, er könnte recht wohl den Verstand verlieren, falls dergleichen wirklich geschah. Dinge existierten, die anzublicken kein Mensch ertragen konnte, ohne den Verstand zu verlieren. Und so kämpfte sich Owen voran; das Herz hämmerte ihm in der Brust, der Atem ging rauh und ungleichmäßig, und er rechnete fast damit, daß jeden Augenblick eine tote Hand aus der Dunkelheit heraus nach ihm griff und ihn an Arm oder Bein packte.

Angst vor der Enge machte sich langsam in ihm breit, während das Gewicht all der Leichen immer schwerer auf ihm lastete. Erste Zweifel über die eingeschlagene Richtung und die Lage der Geheimtür kamen ihm. In der völligen Dunkelheit konnte er eine Richtung nicht von der anderen unterscheiden.

Soweit er wußte, konnten sie sich genausogut in einem weiten Kreis bewegen, sich hoffnungslos im Totenreich verirrt haben.

Allmählich fand er, daß er schon viel zu lange kroch, ohne irgendwohin zu gelangen. Daß er schon längst an der Tür hätte sein müssen. Daß er hier drin für immer in der Falle saß, in seiner ganz persönlichen Hölle. Aber er war nicht allein. Hazel begleitete ihn. Und allein dieses Wissen gab ihm die nötige Kraft, den Weg fortzusetzen.

Gelegentlich verhakten sich gekrümmte Finger in seiner Kleidung, so daß er abrupt anhalten, blind hinter sich herumtasten und die metallharten Finger abbrechen mußte, ehe er seinen Weg fortsetzen konnte. Obwohl er es nicht sehen konnte, verrieten ihm die Finger, daß die Leichen vor ihm nicht immer vollständig waren. Sein Volk war im Kampf gegen die Invasoren gestorben, in den meisten Fällen eines grausamen Todes.

Die Invasion und die Zerstörung von Virimonde waren den Bewohnern des Planeten ins nachgiebige Fleisch geschnitten worden, und hier lagen die Zeichen aufbewahrt, für jedermann lesbar. Wut brannte in Owen für das, was man diesen Menschen angetan hatte, und diese Wut half ihm, sich zu wärmen, während er sich weiter vorankämpfte.