Er trat wütend nach einer Rebenmatte, blieb mit dem Fuß darin hängen und fiel hin. Niemand war dumm genug, um zu lachen. Er sprang wieder auf, das Gesicht so dunkelrot wie die umgebende Vegetation. Mond blickte Hazel an.
»Hat sich Owen in meiner Abwesenheit verändert? Er hat sich früher nie so verhalten.«
»Nein«, sagte Hazel, »hat er nicht. Alle bleiben, wo sie sind, während ich mal ruhig mit ihm rede.«
»Mein Owen hat sich nie so aufgeführt«, warf Mitternacht ein. »Er hatte viel zu feine Manieren.«
»Mein Owen hat alle möglichen Sachen angestellt«, bemerkte Bonnie und zupfte nachdenklich an ihrem Piercing-Schmuck.
»Da wette ich«, sagte Mitternacht.
Hazel ließ Mond zurück, der mit dem Versuch befaßt war, die Untertöne dieser letzten Bemerkungen zu deuten, und näherte sich vorsichtig Owen. Dieser lehnte mit dem Kopf an der kohlschwarzen Rinde eines Baums. Sein Atem ging inzwischen etwas langsamer, aber er hielt immer noch das Schwert in der Hand. Hazel hatte den Ausbruch von eben überhaupt nicht komisch gefunden. In all der Zeit, die sie ihn jetzt kannte, hatte er noch nie dermaßen die Beherrschung verloren. Wenn man an seine Fähigkeiten dachte und sich vorstellte, daß er entsprechend wütend wurde, dann machte Hazel dieser Verlust der Selbstbeherrschung Sorgen. Sie blieb in respektvoller Entfernung stehen und räusperte sich höflich. Owen drehte sich nicht um.
»Geht weg, Hazel.«
»Was ist los, Owen?« fragte sie leise. »Alles in allem war es gar keine so schlechte Landung. Ich meine, wir sind noch am Leben.«
»Es ist nicht die Landung«, sagte Owen und starrte in den Scharlachdschungel. Der Regen lief ihm übers Gesicht und tropfte von Nase und Kinn. »Es ist… einfach alles. Ich bin es einfach so verdammt satt, daß alles schiefgeht. Es sollte ein leichter Einsatz werden: Sich zeigen, seine Kräfte demonstrieren, ein paar Hadenmännern in den Hintern treten und zu wichtigeren Dingen übergehen. Jetzt seht uns mal an. Gestrandet in der Wildnis eines Höllenplaneten, den Leprakranke kolonisiert haben, und derweil ist im Imperium der Teufel los. Ich dürfte gar nicht hier sein. Ich sollte irgendwo dort draußen sein und gegen die Fremdwesen oder die Hadenmänner kämpfen oder gegen irgendwen, den uns Shub in der laufenden Woche auf den Hals hetzt. Ich habe eine Pflicht – die Pflicht, meine Kräfte in den Dienst der Menschheit zu stellen. Aber nein, ich stecke hier im Nirgendwo fest, während ich woanders gebraucht werde.«
»Du wirst auch hier gebraucht«, gab Hazel zu bedenken.
»Sankt Bea hätte nicht um unser Erscheinen gebeten, wenn die Lage hier nicht verzweifelt wäre.«
»Es sind Leprakranke«, entgegnete Owen brutal. »Sie sterben ohnehin. Das Imperium braucht uns mehr.«
»Jeder Planet und jedes Volk ist so wichtig wie alle anderen«, sagte Hazel. »Hast du von deiner Zeit als Gesetzloser nichts gelernt? Es kommt nicht nur auf die großen, wichtigen Planeten wie Golgatha an. Es kommt auf alle an. Ich weiß, worum es bei dir geht. Es ist verletzter Stolz. Du dachtest, du könntest hier einfach kurz hereinschneien, für Sankt Bea den Helden spielen und dann zu etwas weiterziehen, was dir mehr Ansehen einbringt. Statt dessen hast du es verpfuscht. Du, der Todtsteltzer, die lebende Legende. Du denkst, du bist der einzige, der das Imperium vor seinen Feinden retten kann. Na, da irrst du dich. Das Imperium ist vollkommen in der Lage, sich auch ohne dich zu verteidigen. Nicht einmal der mächtige Todtsteltzer kann überall zugleich sein. Die Menschheit hat perfekt allein überleben können, auch ehe wir Überlebenden aus dem Labyrinth des Wahnsinns daherkamen, und sie wird es wieder so gut schaffen, wenn es uns nicht mehr gibt. Das Labyrinth hat uns vielleicht zu Übermenschen gemacht, aber nicht zu Göttern. Hör jetzt auf mit dem Mist und reiß dich zusammen, oder ich haue dir ordentlich eine runter!«
Owen drehte schließlich den Kopf und sah sie an, und etwas war in seinen kalten Augen, wobei sich Hazel die Frage stellte, ob sie nicht zu weit gegangen war. Aber sie blieb standhaft, und einen Augenblick später entspannte er sich ein wenig und probierte ein Lächeln.
»Ihr würdet mich doch nicht wirklich schlagen, oder?«
»Doch, würde ich.«
»Okay, ich gebe auf. Keine Anfälle mehr. Gehen wir und sehen wir mal nach, in was für Probleme sich Sankt Bea hineingeritten hat.«
Hazel zögerte. »Bist du… wieder in Ordnung, Owen?«
»Nein, aber ich habe mich wieder unter Kontrolle. Ich bin einfach… müde. Bin es müde, daß es für mich nie richtig läuft. Nur einmal möchte ich gern auf einem Schiff fahren, das nicht abstürzt oder angegriffen wird, oder möchte mal landen, ohne gleich in Schwierigkeiten zu stecken. Ihr habt es selbst gesagt: Ich bin angeblich der große Held, der Retter der Menschheit, und komme nicht mal mit dem eigenen Leben richtig klar.«
Hazel mußte lachen. »Owen, alle Menschen haben diese Probleme. Gehen wir jetzt lieber zu den anderen zurück und überlegen uns, was wir jetzt tun, ehe wir alle in diesem verdammten Regen ertrinken. Läßt er denn nie nach?«
»Nicht in den letzten paar Millionen Jahren. Vielleicht könnten wir uns aus einheimischen Pflanzen Schirme fertigen.«
»Ich denke nicht, daß es ihnen gefallen würde«, sagte Hazel und sah sich in der Vegetation um, die sich ständig langsam fortzubewegen schien. »Dieses Zeug ist mir wirklich unheimlich. Pflanzen sollten eigentlich wissen, wohin sie gehören.«
Sie kehrten zu den anderen zurück. Bonnie und Mitternacht sprachen ostentativ nicht miteinander. Mond hatte es aufgegeben, aus der Situation schlau zu werden, und tat so, als hätte er Interesse an einem zitternden Purpurbusch vom Format eines kleinen Hauses. Owen warf einen letzten Blick auf sein abgestürztes Schiff. Es lag schon so tief unter dunkelroter Vegetation vergraben, daß man glatt den Eindruck hatte, es wäre nie vorhanden gewesen.
»In Ordnung«, sagte er laut. »Schluß mit dem Geschwätz. Es sind mindestens fünfzehn Kilometer bis zu Sankt Beas Mission. Je früher wir aufbrechen, desto schneller sind wir dort und können uns vor dem Regen schützen. Oz, gib mir die Richtung zur Station.«
»Natürlich, Owen. Verlaßt die Lichtung in Richtung auf diese drei Bäume, die sich aneinanderlehnen, und ich übernehme von dort aus die Führung. Ich habe auch das Gefühl, daß ich dich über einen Teil der eindrucksvolleren Pflanzen hier informieren sollte. Sie können ziemlich gefährlich sein.«
»Du meinst, sie sind giftig?«
»Treffender wäre mörderisch. Für tierisches Leben wurde hier nie der Grundstein gelegt, also fallen die Pflanzen übereinander her, damit sie im Rennen um Raum, Licht, Wasser, Platz für Wurzeln usw. die Nase vorn behalten. Im Verlauf der Jahrtausende haben sie ein paar sehr scheußliche Taktiken entwickelt, dazu jede Menge Möglichkeiten, ihr Mißfallen auszudrücken, wenn ihre Absichten vereitelt werden. Ich schlage vor, daß ihr alle dicht beisammen bleibt und euch zur Abwehr bereithaltet.«
Owen gab die Informationen weiter, und die anderen nahmen sie mit unterschiedlichen Graden des Widerwillens auf.
»Als wäre dieser Planet nicht schon unerfreulich genug«, meinte Bonnie. »Schlimm genug, daß mein Piercing-Schmuck in diesem Regen wahrscheinlich anfängt zu rosten, aber jetzt müssen wir uns auch noch den Weg kilometerweit durch Killerpflanzen freihacken. Ich spüre schon, daß eine meiner Krisen im Anzug ist.«
»Betrachte es als echte Aufgabe«, schlug Mitternacht vor.
»Ein Krieger fürchtet sich nie vor Widerständen.«
»Betrachte du es als echte Aufgabe«, erwiderte Bonnie, »und ich halte mich im Hintergrund und sehe dir dabei zu.«
»Beruhigt euch«, mischte sich Hazel ein. »Ich meine, wie gefährlich sollen ein paar herumlaufende Büsche schon sein?«