»Ich habe das schreckliche Gefühl, daß wir es herausfinden werden«, sagte Owen. »Mond, versteht das richtig: Habt keine Hemmungen und schießt oder schneidet alles nieder, was euch nicht gefällt. Und versuchen wir mal, ein ordentliches Tempo vorzulegen, Leute. Mir gefällt die Vorstellung nicht, wie es hier im Dunkeln zugehen könnte. Und nur für den Fall, daß Ihr Euch fragt: Ja, alle Lampen sind im Schiff zurückgeblieben.«
»Irgendwie überrascht mich das nicht«, sagte Hazel. »Gott, ich hasse Regen!«
Sie folgten Oz’ gemurmelten Richtungsangaben in den regennassen Purpurwald hinein und wehrten sich dabei gegen den Impuls, zu dem Vegetationshaufen zurückzublicken, der ihr Schiff enthielt. Die Sonnenschreiter II war ihre letzte Verbindung zum zivilisierten, technisierten Imperium gewesen. Von jetzt an waren sie auf sich allein gestellt. Schutz war nur wenig zu finden, denn der Regen tropfte gnadenlos von jeder verfügbaren Oberfläche. Alle waren sie bald naß bis auf die Haut, und das Wasser quatschte mit jedem Schritt in ihren Stiefeln. Das Haar klebte allen im Gesicht, und sie mußten immer wieder blinzeln, um den Regen aus den Augen zu bekommen. Der Boden war überwiegend aus Schlamm, zwar an manchen Stellen flachgedrückt und komprimiert, daß er beinahe wie Fels wirkte, aber dann konnte er sich wieder ohne Vorwarnung in zentimetertiefen Brei verwandeln, in dem die Gruppe ausrutschte, wenn sie schon nicht über freiliegende Wurzeln oder diverse Arten kriechender Reben- oder Efeugewächse stolperte.
Es war ein ständiger Kampf, mehr Tempo vorzulegen als das eines langsamen Marsches, und der gnadenlose Regen prügelte auf sie ein wie ein schwacher, aber hartnäckiger Schläger.
Nach einer Weile zog Owen die Jacke aus und formte daraus eine improvisierte Kapuze. Das bedeutete, daß er nun nicht mehr nur naß war, sondern auch noch fror, aber es brachte doch eine Erleichterung mit sich, die es lohnend erscheinen ließ. Die übrigen folgten bald seinem Beispiel, von Mond abgesehen, dem der Regen überhaupt nichts ausmachte und der nicht verstehen konnte, warum die anderen verdrossen reagierten, wenn er das aussprach.
Der Dschungel breitete sich in allen Richtungen aus, soweit sie im peitschenden Regen sehen konnten. Dunkle Baumstämme ragten hunderte Fuß weit auf, und die Zweige waren schwer von gekräuselten Blättern, die die Farbe von Blut aufwiesen. Owen griff nach oben und berührte eines der Blätter, nur um laut zu fluchen, als die gezackte Kante seine Fingerkuppe aufschnitt wie mit einem Messer. Er packte das Blatt mit Nachdruck und stellte überrascht fest, daß es dick und breiig war und sich unangenehm warm anfühlte. Er ließ es los und saugte nachdenklich am verletzten Finger, wobei er Hazels beißende Bemerkungen mit der Leichtigkeit langer Übung ignorierte.
Owen war zunehmend überzeugt, daß der Dschungel ein gewisses Maß an Bewußtsein besaß, falls er nicht regelrecht intelligent war, und genau wußte, daß ihn Eindringlinge durchquerten. Blätter raschelten, wenn die Gruppe sich näherte, und wurden wieder still, wenn sie vorbeigegangen war. Reben schlängelten sich langsam um die Baumstämme wie träumende Schlangen, und hohe Stengel wandten sich der Gruppe zu, wenn sie vorbeiging, und zitterten erregt, bis wieder sichere Distanz bestand. Owen konnte auch nicht umhin festzustellen, daß mindestens die Hälfte der Vegetation den übrigen Teil langsam, aber entschlossen zu jagen schien.
Der erste Angriff kam für alle überraschend. Lange Ranken mit zentimeterlangen Dornen peitschten plötzlich von allen Seiten gleichzeitig heran, und das mit unerwarteter Kraft und Schnelligkeit. Die Dornen schlugen die Gestrandeten blutig, und die Ranken bemühten sich mit elastischer Beharrlichkeit, sich um ihre Beute zu wickeln. Scharfe Schwertschneiden teilten sie jedoch mühelos, und die tropfenden Reste zuckten wieder zurück. Weitere Ranken attackierten von oben, aber die Gruppe hielt stand und hackte um sich, bis sich die zerfetzten Überreste der Pflanzen zurückziehen mußten. Owen zog den Disruptor und pustete eine der Stellen weg, aus der die Ranken anscheinend gekommen waren. Die anderen folgten seinem Beispiel, und wenig später brannten ein halbes Dutzend kleine Feuer ringsherum. Ein Beben und Rascheln lief durch das Laubwerk der Umgebung, aber das, was von den Ranken übrig war, gab keine weitere Angriffslust zu erkennen.
Owen steckte die Waffe weg und betrachtete seine Gefährten. »Jemand schlimm verletzt?«
»Nur Kratzer«, antwortete Hazel. »Verdammt, waren diese Dinger schnell!«
»Sollten wir etwas gegen die Brände unternehmen?« fragte Mond. »Vielleicht breiten sie sich aus…«
»Sollen Sie«, sagte Mitternacht und wischte sich Blut von einem Schnitt im Gesicht, der einem Auge gefährlich nahe gekommen war. »Verfluchte verräterische Dinger! Sollen sie ruhig brennen.«
»Der Regen müßte sich um die Feuer kümmern«, sagte Owen. »Und das Laub ringsherum scheint zu naß, um Feuer zu fangen. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, daß es Siedlungen der Kolonisten in nicht allzu großer Entfernung geben könnte.
Falls Ihr also die Schußwaffen benutzen müßt, dann zielt sorgfältig.«
»Jawohl, Anführer«, sagte Bonnie. »Ich bin sicher, das wäre keinem von uns eingefallen. Wie sind wir nur je zurechtgekommen, ehe wir dir begegneten?«
Owen kümmerte sich nicht darum und gab Mond einen Wink, daß er weiter vorausgehen sollte.
Der langsame Marsch nahm seinen Fortgang, und sie schleppten sich durch immer tieferen Matsch, bis ihnen vor lauter Anstrengung die Beine weh taten. Mond behandelte alles weiterhin als kleinen Ausflug, blieb immer wieder stehen, hob irgendeine unbekannte Pflanze an, verglich sie mit dem Inhalt seiner Datenbänke und verkündete glücklich, da sie noch nicht offiziell identifiziert sei, sei er berechtigt, ihr einen Namen zu geben. Leider hatte das meist mit ausgewalzten lateinischen Wendungen zu tun, die niemand außer Mond zu verstehen oder zu würdigen vermochte, so daß er nach einigen gezielten Morddrohungen durch gewisse Mitglieder der Gruppe seine Begeisterung für sich behielt und schweigend alles studierte, was nicht schnell genug davonschrumpfte.
In Anbetracht der allgemeinen Dichte des Dschungels und der Art, wie alle Pflanzen hier um jeden Quadratzoll Licht und Regen kämpften, hatte Owen damit gerechnet, sich den ganzen weiteren Weg mit dem Schwert freihacken zu müssen. Seit dem Zwischenfall mit den Dornenranken schien sich der Wald jedoch richtig Mühe zu geben, um vor ihnen langsam einen Weg freizugeben. Owen dachte erneut darüber nach, welchen Grad an Bewußtsein der Dschungel womöglich hatte. Er diskutierte das Thema mit Oz, der mit einem anhaltenden Vortrag darüber reagierte, was über das pflanzliche Leben von Lachrymae Christi bekannt war. Das meiste war monumental langweilig, und Owen blendete es weitgehend aus, bis etwas Merkwürdiges seine Aufmerksamkeit weckte.
»Warte mal, Oz, spule ein Stück zurück. Hier gibt es überhaupt keine Insekten? Bist du sicher?«
»Völlig sicher. Wie sonstiges tierisches Leben fanden sie hier nie einen Anfang. Die Pflanzen sind auf allen Ebenen so aggressiv, daß keine anderen Lebensformen je eine ökologische Nische fanden.«
»Aber falls es keine Insekten gibt, und soweit ich sehe, auch keine Blumen… wie sind dann Befruchtung und Fortpflanzung möglich?«
»Nun, jedenfalls hat sie nichts mit den Blumen und den Bienen zu tun. Sieh mal nach rechts, etwa vier Uhr.«
Owen sah hin und entdeckte zwei große Massen Laub, die sich gemeinsam hin und her wiegten. »Warte mal! Tun sie das, was ich denke, daß sie tun?«
»Ich fürchte, ja. Du solltest dich glücklich schätzen, daß du nicht in der Brunftzeit eingetroffen bist. Möchtest du wissen, wie es die Bäume tun?«
»Nein!«
»Paßt zu dir. Du hast in gewisser Hinsicht ein wirklich behütetes Leben gehabt, Owen.«
Die KI fuhr mit Erläuterungen fort, wie der Regen durch den Boden sickerte und schließlich in riesigen unterirdischen Seen landete, die das gewaltige Wurzelwerk des Dschungels speisten. Owen fuhr damit fort, nicht richtig hinzuhören.