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Sie schleppten sich circa eine weitere Stunde lang dahin, wurden immer nasser und fühlten sich immer elender, ehe der Dschungel sich wieder gegen sie wandte. Sie waren in eine richtige Zockelroutine verfallen und folgten dabei dem Weg, der sich ständig vor ihnen öffnete, bis Oz darauf hinwies, daß sie dieser Weg langsam, aber sicher vom Kurs abbrachte.

Owen schrie, daß sie stehenbleiben sollten, und alle fuhren aus der Benommenheit hoch und hielten die Disruptoren schußbereit. Owen beruhigte sie und erläuterte die Lage. Er übernahm die Führung, damit er den Direktiven, die er von Oz erhielt, möglichst präzise folgen konnte. Als er jedoch versuchte, vom Weg abzuweichen, verklumpte sich das rote Laub hartnäckig vor ihm und bildete eine dicke, zerfranste Wand. Owen zog das Schwert und hieb mit aller Kraft in diese Wand, aber wie zuvor blieb die Klinge an den Blättern kleben und begrenzte damit den Schaden, den er anrichten konnte. Er riß das Schwert heraus, trat zurück und eröffnete das Feuer mit dem Disruptor. Der Energiestrahl brannte einen schmalen Tunnel durch die Pflanzenwand, der gesäumt war von geschwärzten und brennenden Rändern. Aber sobald Owen wieder vortrat, schlossen sich die versengten Seiten wieder wie eine bedächtig zuschnappende Fußangel.

»Hartnäckig, was?« fragte Hazel. »Der Dschungel möchte wirklich nicht, daß wir von dem Weg abweichen, den er für uns öffnet.«

»Vielleicht verbirgt er etwas«, überlegte Mitternacht. »Irgendeine Stelle, wo er verwundbar ist.«

»Kleine Babydschungelwesen?« fragte Bonnie. »Sind wir vielleicht unerlaubt in ein Kinderheim eingedrungen?«

»Wie lange brauchten wir, um es zu umgehen, was immer es ist?« fragte Mond und sah Owen an.

Owen konsultierte Oz und schüttelte den Kopf. »Das hängt davon ab, eine wie große Fläche der Dschungel schützt. Testen wir mal aus, wo die Umgrenzung verläuft. Falls wir das Gefühl haben, daß es zu lange dauert, dann sehen wir mal, wie weit wir mit Sprengstoffen kommen. Ihr habt doch welche dabei, nicht wahr, Hazel?«

»Ich gehe nie ohne welche aus dem Haus«, erklärte Hazel munter.

Owen führte die Gruppe vorsichtig um die blockierte Zone, die Schußwaffe in der Hand, und hielt sorgfältig nach Fallen oder Hinterhalten Ausschau. Jetzt mußte er wirklich über die Möglichkeit nachdenken, daß Teile des Dschungels nicht nur Bewußtsein besaßen, sondern richtig intelligent waren. Er versuchte sich vorzustellen, was für schläfrige, träge Gedanken eine Pflanze wohl haben mochte, und war nicht erstaunt, als er feststellte, daß seine Phantasie hier versagte.

Eine gute halbe Stunde ging es so weiter, bis ihm klar wurde, daß etwas nicht stimmte. Von dem Laub abgesehen, das vor ihm zurückwich und einen Weg freigab, bewegte sich nichts im Dschungel. Keine Rebe, kein Zweig, kein Blatt. Er blickte angestrengt in das endlose Dämmerlicht, bemüht, den dichten Wald und den unaufhörlichen Regen zu durchdringen, aber alles blieb reglos und lautlos. Die einzigen Geräusch erzeugten die Mitglieder der Gruppe, wenn sie mit den Stiefeln durch den Matsch liefen, sowie der stetig prasselnde Regen. Owen packte den Disruptor fester. Seine Instinkte brüllten, er würde in eine Falle tappen, aber er sah einfach nichts Gefährliches oder gar Bedrohliches. Falls überhaupt etwas, dann schien der Weg vor ihm breiter als sonst. Trotzdem setzte ihm ein Gefühl unmittelbar bevorstehenden Unheils zu. Hazel trat neben ihn.

»Du spürst es auch, nicht wahr?« fragte sie leise.

Er nickte. »Der Dschungel behält uns im Auge. Er plant etwas.«

»Intelligente Pflanzen«, sagte Hazel. »Unheimlich. Würde es helfen, wenn ich mich für all die Salate entschuldigte, die ich im Leben verspeist habe?«

Owen lächelte kurz. »Ich bezweifle es. Seht Ihr irgendwas?«

»Überhaupt nichts. Was tun wir jetzt?«

»Wir gehen weiter und halten uns bereit zu reagieren, wann immer und womit auch immer er losschlägt. Wir haben gegen Hadenmänner und Grendels gekämpft. Ich glaube nicht, daß ein Haufen Pflanzen etwas auf uns schleudern kann, womit wir nicht fertig würden.«

»Du wirst wieder großspurig, Todtsteltzer«, fand Hazel.

Während sie noch redeten, gab der Boden unter ihnen nach.

Owen stieg der Magen hoch, als er im Schlamm versackte und dabei keinen, Grund mehr fand. Er tastete nach irgendwas, woran er sich festhalten konnte, aber die umgebende Vegetation hatte sich außer Reichweite zurückgezogen. Da war nur noch der Schlamm, dick und beengend, der ihn nach unten saugte. Seine Gefährten schrien ringsherum, und soweit er erkennen konnte, waren sie so schlimm dran wie er. Der Matsch setzte sich in Bewegung, rotierte wie ein in Zeitlupe tätiger Strudel. Owen steckte bereits bis zur Taille darin und sank weiter. Er kämpfte darum, aufrecht zu bleiben, und versuchte sich zu erinnern, wie man sich in Treibsand verhalten mußte. Angeblich konnte man darin schwimmen, wenn man die Nerven behielt, aber als Owen die Beine bewegen wollte, reagierten sie kaum. Der Schlamm erstickte seine Bewegungen mühelos, war dickflüssig und zäh und bitterkalt.

Die Geschwindigkeit des Schlammwirbels nahm fortlaufend zu – ein Strudel aus Schlamm und Gras und loser Vegetation von fast sieben Metern Durchmesser, der gnadenlos gegen den Uhrzeigersinn rotierte und alles in der Umgebung mit hereinzog, wie ein langsamer, entschlossener Fleischwolf. Owen versuchte sich zu orientieren, was den Gefährten widerfuhr, aber der Schlamm hielt ihn fest, kroch jetzt den Bauch hinauf zur Brust. Er streckte die Arme hoch, fand aber nichts, woran er sich hätte festhalten können. Ein großer, saugender Abfluß öffnete sich jetzt im Zentrum des Wirbels und zog alle heran.

Owen hörte die anderen rufen, aber die Worte ergaben für ihn keinen Sinn. Sein ständiger Kampf um die aufrechte Haltung und darum, das Gesicht über dem Matsch zu halten, erschöpfte ihn allmählich und erwies sich als völlig zwecklos. Das Herz klopfte heftig, und Panik drohte ihn zu überwältigen. Im Schlamm zu versinken galt als wirklich grausige Todesart.

Er spürte beinahe schon die dicke, weiche Masse, wie sie sich in seine Lunge vorarbeitete, als er nach Luft schnappte, ohne welche zu bekommen…

Er holte tief Luft und zwang sich, wieder ruhiger zu werden.

Er mußte alle Möglichkeiten durchgehen, auf einen Ausweg kommen, oder er war ein toter Mann. Er reckte den Hals und sah, wie Hazel mit aller Kraft gegen den Matsch ankämpfte. Er war ihr schon über die Brust gestiegen. Mond hatte aufgehört, sich zu wehren, und sein Gesicht war ruhig. Owen konnte Bonnie und Mitternacht nicht sehen. Er hoffte, daß sie nicht schon verschluckt worden waren. Entscheidend war, daß keiner der anderen ihm helfen konnte. Er mußte es selbst tun. Der Schlamm wurde ständig kälter und entzog ihm die Körperwärme. Inzwischen klapperte Owen mit den Zähnen. Er wurde unerbittlich weiter zum Abfluß gesaugt, und Schlamm und Gräser wirbelten immer schneller. Owen wußte nicht, wo der Schlamm landete, sobald er durch den Abfluß gesaugt war, aber er glaubte nicht, daß es ihm viel Freude bereiten würde, es aus erster Hand zu erfahren.

Er versuchte, seine Labyrinthkräfte wachzurufen, konnte aber die Gedanken nicht ausreichend beruhigen. Er versuchte, nach dem umgebenden Laubwerk zu packen, hielt Ausschau nach etwas, wonach er greifen konnte, aber alles war ein gutes Stück außer Reichweite. Denk nach, denk nach! Falls er das Laub nicht erreichte, schaffte er es jedoch vielleicht, es heranzuholen… Er hatte immer noch den Disruptor in der Hand und hielt ihn hoch, um ihn vor dem Schlamm zu schützen. Er zielte sorgfältig und schoß einem nahestehenden Baum ganz unten mitten in den Stamm.

Der Energiestrahl durchschlug den Stamm glatt, und der Baum kippte langsam über den Strudel, da die Reste des zersplitterten Stamms und die Wurzeln den Sturz bremsten. Der rotierende Matsch führte Owen im Kreis herum, so daß er heftig an den Baum krachte. Der Aufprall preßte ihm die Luft aus den Lungen, aber er klammerte sich mit beiden Händen an den Stamm und hielt sich so an Ort und Stelle fest, sogar gegen den stetigen Zug und Druck des Schlamms. Die Gefährten wurden ebenfalls an den Baum herangetrieben und hielten sich daran und aneinander fest. Danach war es nur noch eine Frage der Kraft und Entschlossenheit, sich am Stamm entlang auf festeren Boden zu schleppen. Sie krochen bis auf sichere Distanz zum Strudel, warfen sich auf den Rücken und überließen es dem Regen, den Schlamm von ihnen zu spülen. Eine Zeitlang blieben sie liegen, um wieder zu Atem zu kommen. Schließlich überwand sich Owen und stand auf. Er schlug sich Schlammreste von Beinen und Taille herunter und bedachte den langsamer werdenden Strudel mit finsterem Blick.