»Das war kein Zufall«, behauptete er kategorisch. »Man hat uns hierhiergeführt. Der Dschungel wollte uns loswerden. Er muß eine Art Bewußtsein haben, das die Pflanzen koordiniert gegen alles einsetzen kann, was es als bedrohlich einstuft.«
Hazel setzte sich langsam auf. »Und wie sollen wir Sankt Beas Missionsstation erreichen, wenn der ganze verdammte Dschungel entschlossen ist, uns aufzuhalten?«
»Wir müssen einfach noch entschlossener sein als er«, erklärte Owen. Er besprach sich mit Oz, überzeugte sich von der korrekten Himmelsrichtung und schoß mit dem Disruptor einen Weg ins Laub. Er wartete, bis die Purpurvegetation den Weg wieder zugewuchert hatte, borgte sich Hazels Disruptor und schoß erneut an dieselbe Stelle. »Von jetzt an schießen wir uns abwechselnd den Weg frei, so daß sich die Disruptoren nacheinander immer wieder aufladen können, und helfen notfalls noch mit Sprengstoff nach, bis der Dschungel uns zu respektieren gelernt hat und uns gestattet, unser Ziel selbst zu bestimmen.«
Letztlich erwies es sich als genau so einfach. Der Dschungel hatte es schließlich satt, immer wieder angezündet zu werden, und ging von neuem dazu über, einen Weg für die Gruppe freizugeben – in die gewünschte Richtung. Die scharlachrote und purpurrote Vegetation zitterte eine Zeitlang wütend, wenn die Gefährten vorbeikamen, zeigte aber kein bedrohliches Verhalten mehr, Owen ging weiter vorn, die Waffen einsatzbereit, und überprüfte den Weg auf Fallen. Es regnete weiter, und alle zitterten vor Kälte. Jeder normale Menschen hätte inzwischen ernste Schwierigkeiten gehabt, wäre durch die sinkende Körpertemperatur vom Schock bedroht gewesen, aber alle fünf hatten das Labyrinth des Wahnsinns durchschritten. Mond war obendrein Hadenmann.
Unterwegs informierte Owen, nicht zuletzt zur eigenen Ablenkung, Bonnie und Mitternacht über die Geschichte Sankt Beas und ihrer Mission. Als die Rebellen schließlich den Krieg auf Technos III gewonnen und den Kämpfen ein Ende bereitet hatten, fand die Oberste Mutter Beatrice, daß sie dort nicht mehr gebraucht wurde. Sie kehrte nach Golgatha zurück und machte sich daran, die etablierte Kirche neu aufzubauen, indem sie alle politischen und korrupten Elemente hinauswarf. Es war keine leichte Aufgabe, die quasimilitärische Organisation der Kirche von Christus dem Krieger in die pazifistische Kirche von Christus dem Erlöser zu verwandeln, aber der Heiligen von Technos III half dabei, daß sie eine Unmenge Anhänger in der Öffentlichkeit hatte, nicht zuletzt aufgrund der Dokusendungen, die Toby Shreck von ihrer Arbeit im Schlachthaus-Feldhospital von Technos III angefertigt hatte. Außerdem wünschte die Mehrheit in der Kirche den Wechsel. Die meisten, die gern Einwände erhoben hätten, waren bei der Rebellion umgekommen oder standen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht.
Nachdem Mutter Beatrice dieses Wunder vollbracht hatte, mußte sie feststellen, daß sie von aller Welt als Heilige gefeiert wurde, besonders von den Medien, was sie sehr verstörte. Sobald die neue Kirche auf festem Fundament stand, legte sie daher die Leitung nieder und ging nach Lachrymae Christi, um die Leprakranken zu betreuen, die sie mehr brauchten als irgend jemand sonst… und vielleicht auch, weil es möglicherweise der einzige Ort war, wohin ihr die Medien nicht folgen würden.
Vor ihrem Engagement hatte man die Leprakranken einfach dort abgesetzt, wo das Schiff jeweils landete, und sie ihrem Schicksal überlassen. Versorgungsschiffe kamen nur selten.
Sankt Bea veränderte das alles. Sie nutzte ihren Einfluß und ihre Verbindungen, um auf regelmäßiger Basis Lebensmittel und Technik und Medikamente zu erhalten, und entwickelte ihre Missionsstation zu einem geistigen und gesellschaftlichen Zentrum für die gesamte Bevölkerung aus Leprakranken. Und alles ging gut. Bis die Hadenmänner kamen. Aufgerüstete Schlangen im Paradies.
»Ich will verdammt sein, wenn ich das hier als Paradies bezeichnen würde«, warf Hazel ein. »Warum hat sie sich an dich gewandt, Owen, und nicht an mich? Oder an Jakob und Ruby?«
»Anscheinend sind Jakob und Ruby irgendwo auf einem eigenen Einsatz. Und sie dachte wahrscheinlich, ich wäre leichter… ansprechbar.«
»Doch sicher eher eine weiche Stelle.«
Owen lächelte und zuckte die Achseln. »Mein Leben ist schon hart genug, ohne auch noch Gott gegen mich aufzubringen.«
»Ich hatte dich nie wirklich als religiös betrachtet«, sagte Hazel. »Du hast deinerzeit gegen ausreichend Gebote verstoßen.«
»Ich bin das, was das Imperium aus mir gemacht hat«, erklärte Owen. »Ich wurde dazu erzogen, zuvörderst an die Familien zu glauben, als zweites an den Eisernen Thron, und falls ich mal Zeit fand, auch an Gott. Von all dem ist mir allerdings nur der Glaube an Gott geblieben. Ich denke mir gern, daß Jemand dort draußen über alles wacht und sich um alles sorgt.« Er blickte Hazel an. »Wie ist es bei Euch?«
»Ich glaube an hartes Geld und eine geladene Schußwaffe«, antwortete Hazel forsch, und Bonnie und Mitternacht nickten mehr oder weniger einträchtig. Hazel hätte es gern dabei belassen, aber sie bemerkte, daß Owen mehr hören wollte. »Ich führe mein Leben nach eigenen Regeln und hatte immer Probleme mit Gestalten, die für Autorität stehen. Falls etwas auf dieses Leben folgt, dann setze ich mich damit auseinander, wenn es soweit ist. Was Sankt Bea angeht – in Ordnung, sie hat viel Gutes getan. Das haben wir jedoch auch. Sie hat Menschenleben in ihrem Krankenhaus gerettet, und wir haben ganze Planeten gerettet, indem wir die richtigen Leute umgebracht haben.
Wer hat letztlich mehr bewirkt?«
»Sankt Bea ist eine echte Heldin«, erklärte Owen entschieden. »Sie tut das alles freiwillig. Eine Aristo, die auf alles verzichtet hat, um für die Bedürftigen zu sorgen. Wir hingegen wurden in die Rebellion hineingezogen, und das mit äußerstem Widerwillen. Als sie mich dann um Hilfe bat, konnte ich einfach nicht nein sagen. Und wie lohnt es mir Gott? Indem mein Schiff abstürzt und ich in einer Leprakolonie gestrandet bin.
Vielen Dank auch, Großer.«
Hazel musterte Bonnie und Mitternacht. »Habt ihr in euren Universen auch jemanden wie Sankt Bea?«
»Nee«, antwortete Bonnie. »Die Kirche ist nach der Rebellion auseinandergefallen, und im Grunde hat sich nichts anderes an ihre Stelle setzen können. Wir leben in den Tag hinein und überlassen es der Ewigkeit, für sich selbst zu sorgen.«
Mitternacht rümpfte abschätzig die Nase. »In meinem Imperium hat die Kirche nach der Rebellion eine neue Rolle gefunden. Jeder ist heute Mitglied in der Kirche von Christus dem Krieger, aber es ist mehr ein mystischer Orden als eine Religion. Jeder wird von Kindesbeinen an zum Krieger erzogen. Die Menschen werden nie wieder schwach sein. Wir haben keinen Platz für Heilige, für Schwächlinge oder Duckmäuser – für alle, die nicht genug Glauben haben, um für das Richtige zu kämpfen.«
»Ich sehe schon, daß Ihr und die Oberste Mutter eine Menge zu besprechen haben werdet«, sagte Owen, und Hazel nickte ernst. »Wie steht Ihr zu all dem, Mond?«
»Die Hadenmänner glauben an die Kirche des Genetischen Kreuzzugs. An die Möglichkeit, den Menschen zu vervollkommnen. Daran, daß der Mensch schließlich zum Gott wird.