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Endlich erreichte er die andere Seite und stieß mit den Händen an unnachgiebiges Metall. Die Kälte hatte sein Denken verlangsamt, und er dachte eine Zeitlang träge über die Situation nach, ehe ihm klar wurde, daß er am Ziel war. Er schrie Oz an, er solle die Geheimtür öffnen, und eine Platte öffnete sich in der Wand und glitt lautlos zur Seite. Helles Licht fiel heraus und blendete Owens froststarr offenstehende Augen. Er stieß vor Schmerz und Triumph einen heiseren Schrei aus, den Laut einer heiseren Aaskrähe, die man beim Festschmaus auf dem Schlachtfeld gestört hatte. Er zog sich aus dem Leichenberg hinaus in den Gang hinter der Öffnung und brach dort zusammen; Dampf stieg ihm in dicken Schwaden aus dem Leib.

Kalte Luft strömte durch die Öffnung und verdickte sich in der warmen Luft des Korridors zu Nebel. Owen lag hilflos auf dem Boden, und die entsetzliche Kälte spannte und lockerte sich in ihm wie herumratschende Rasierklingen. Die geschürte Hitze des Zorns gloste jedoch immer noch tief in ihm und brannte die Kälte Zentimeter um Zentimeter weg, bis das Leben in den Körper zurückkehrte und er sich wieder bewegen konnte. Die Finger rührten sich als erste, beugten und streckten sich und erzeugten dabei Knacklaute wie Zweige, die zertreten wurden. Der Körper zog sich mehrfach zusammen und entspannte sich wieder in langsamer Folge, während Wärme in kältetote Muskeln zurückfloß. Die Schmerzen waren schlimm, aber Owen begrüßte sie. Sie bedeuteten, daß er wieder zum Leben erwachte, nachdem er so lange zwischen den Toten geweilt hatte.

Nach einer Weile zwang er sich, sich aufzurappeln und zu Hazel umzudrehen, und erst in diesem Augenblick wurde ihm klar, daß sie ihm nicht aus dem Ort der Toten heraus gefolgt war. Sie war nach wie vor dort drin. Er humpelte mit laut knackenden Knien zur Öffnung und rief Hazels Namen. Sie antwortete nicht. Owen schlug mit den Händen nach dem gefrierenden Nebel und bemühte sich, in die darunterliegende Dunkelheit zu blicken, aber selbst seine Augen hatten ihre Grenzen. Er rief erneut nach Hazel, aber Kälte und Dunkelheit verschluckten seine Stimme sofort. Er blickte ins eigene Innere, suchte nach der geistigen Verbindung zu Hazel, aber sie entzog sich ihm, geschwächt durch lange Vernachlässigung. Er hatte sie in der Kälte und der Dunkelheit zurückgelassen, im Reich der Toten. Er mußte dorthin zurückkehren und sie retten.

Etwas in ihm protestierte augenblicklich. Er konnte nicht wieder in die Kälte. Er brachte es einfach nicht fertig. Die Kälte und die Dunkelheit und das Grauen all dessen hatten ihn beinahe vernichtet. Es wäre Wahnsinn, ihnen eine zweite Chance zu geben. Aber noch während er diesen Gedanken nachhing, wurde ihm klar, daß er wieder hineingehen würde.

Er mußte einfach. Hazel brauchte ihn. Ihm tat von Kopf bis Fuß immer noch alles weh, aber es würde vorübergehen. Er fürchtete sich, aber das spielte keine Rolle. Er hatte sich schon früher gefürchtet. Seit langem war Hazel D’Ark das einzige, was ihm noch etwas bedeutete.

Und so atmete er in der eisigen Luft tief ein und schob Kopf und Schultern zurück in die Dunkelheit. Die bittere Kälte schloß sich um ihn wie die Umarmung eines altvertrauten Feindes, aber er zwang sich, sie zu ignorieren, und dachte nur an Hazel. Er überwand sich, in die Dunkelheit zurückzukehren, und auf einmal blieb ihm das Herz stehen, als sich eine kalte Hand um sein Handgelenk schloß. Die Luft entrang sich ihm in einem schmerzhaften Keuchen, und die Vorstellungskraft beschwor für ihn das Bild herauf, wie die Toten ringsherum allmählich lebendig wurden, ihn festhielten, ihn zwangen, in ihrer Eishölle zu bleiben, bis er tot war wie sie. Und dann setzten Herzschlag und Atem wieder ein, als er feststellte, daß es Hazels Hand war, die ihn gepackt hatte.

Er packte sie seinerseits ums Handgelenk, versuchte mit krächzender Stimme etwas Beruhigendes zu sagen, und kämpfte wie rasend darum, sie aus der Kälte zu ziehen. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis er wieder den Korridor erreichte und Hazel ins Licht und die Wärme hereinzog. Sie kam in einer Folge abrupter Bewegungen zum Vorschein, ohne ihm helfen zu können. Sie war steifgefroren, und als sie endlich auf den Korridorboden fiel, klang es wie der Sturz eines Baumstamms.

Ihre Augen waren zugefroren, das Gesicht zu einem trotzigen Knurren erstarrt, die Zähne zusammengebissen. Ihre Haut war blau.

Owen kniete sich neben sie und rieb kräftig ihre Hände, vor allem, um überhaupt etwas zu tun. Hazels Körper würde die Kälte abwerfen, wie seiner es getan hatte, aber Owen brauchte trotzdem das Gefühl, etwas Hilfreiches zu tun. Dichter Dampf stieg von ihren starren Kleidern auf. Ihr Haar war dick mit Rauhreif überzogen, aber der schmolz rasch dahin und floß in der warmen Luft das Korridors davon. Und langsam, Zentimeter für Zentimeter, entspannte sich Hazel, kuschelte sich schließlich in Owens Arme und murmelte seinen Namen.

Endlich setzte sie sich auf und schob ihn weg, und er wußte, daß sie wieder die alte war. Sie schüttelte langsam den Kopf, als versuchte sie, ihre Gedanken von Spinnweben zu befreien.

»Ich habe mich verirrt. Der Tunnel verlief geradlinig, aber ich… habe mich verirrt, allein in der Dunkelheit. Bei den Toten.

Und du bist gekommen und hast mich geholt.« Sie schlang die Arme um sich und zitterte auf einmal. »Ich habe das Gefühl, als würde mir nie wieder warm werden. Als bliebe mir die Grabeskälte für immer treu.«

»Sie wird vergehen«, sagte Owen.

»Natürlich wird sie das«, sagte Hazel. »Wir sind mehr als nur Menschen, erinnerst du dich? Nicht länger die Opfer menschlicher Ängste und… Schwächen.«

»Hazel…«

»Ich bin wieder okay. Mir geht es gut.«

»Natürlich«, bestätigte Owen.

Sie halfen einander, auf die Beine zu kommen. Owen wies Oz lautlos an, die Wandplatte zu schließen, und die gefrorene Luft war ausgesperrt. Der Nebel im Gang verzog sich allmählich. Owen blickte sich um, suchte nach etwas, das er wiedererkannte. Es war lange her, seit er zuletzt… daheim gewesen war.

»In Ordnung«, sagte Hazel. »In welche Richtung gehen wir, Todtsteltzer?«

»Gebt mir eine Minute«, sagte Owen. »Ich weiß nicht recht…«

»Komm schon, das ist deine Burg…«

»Nun, ja, aber ich denke nicht, daß ich jemals so weit in die Tiefe gestiegen bin. Ich meine, es ist ein großes Anwesen.

Meist habe ich mich in meinem persönlichen Quartier aufgehalten. Bestimmt habe ich mir nie die Mühe gemacht, die haushälterischen Bereiche aufzusuchen. Ich hatte Leute, die das für mich besorgten.«

»Der Lebensstil der Reichen und Nutzlosen. Kein Wunder, daß deine eigenen Leute dich so leicht hinauswerfen konnten.«

»Sie haben mich nicht hinausgeworfen! Ich bin vor einer Übermacht zurückgewichen. Eine völlig vernünftige militärische Strategie.«

»Aber sicher. Sieh mal – möchtest du mir damit sagen, daß du den Weg nicht mehr weißt?«

»Den Gang hinunter und dann nach rechts«, flüsterte Oz ihm ins Ohr. »Dort erreicht ihr Valentins neue Labors.«

»Natürlich weiß ich den Weg«, erwiderte Owen. »Wir müssen einfach dort entlang gehen und dann rechts abbiegen, und wir gelangen direkt zu Valentins neuen Labors. Dort finden wir bestimmt jemanden, den Ihr so erschrecken könnt, daß er uns erzählt, was wir erfahren müssen.«

»Du würdigst einfach nicht, was ich für dich tue«, meinte Oz, als Owen und Hazel sich auf den Weg durch den Korridor machten. »Wirklich nicht.«

»Woher weißt du, wo Valentin seine Labors hat?« fragte Owen ihn lautlos, damit Hazel es nicht hörte.

»Eine treffsichere Vermutung«, antwortete Oz. »Die Zahl der freien Räume ist begrenzt, um die ganze neue Tech unterzubringen, die er angeblich hat.«

»Was täte ich nur ohne dich, Oz?«

»Mir schaudert bei der Vorstellung. Setz jetzt deinen Hintern in Bewegung, ehe irgendwelche Wachleute vorbeikommen.«