»Ist schon in Ordnung«, sagte Mond großzügig. »Ich bin noch nie einer Heiligen begegnet.«
Mutter Beatrice lachte kurz und schüttelte den Kopf. »Das seid Ihr immer noch nicht. Noch niemand hat einen Heiligen zu dessen Lebzeiten kennengelernt. Der Titel ist eher eine posthume Auszeichnung, verliehen von Menschen, die der tatsächlichen Person nie begegnet sind.« Sie musterte Hazel. »Wo wir von Reputation sprechen – ich habe viel über Euch gehört, Hazel D’Ark.«
»Man sollte nicht alles glauben, was man in den Holos sieht«, sagte Hazel unbehaglich.
»Oh, das tue ich auch nicht«, entgegnete Mutter Beatrice.
»Ihr solltet mal einige Dinge hören, die über mich gesagt wurden. Zuletzt vernahm ich, ich würde die gesamte Kolonie mit fünf Proteinwürfeln und fünf halben Litern destilliertem Wasser speisen. Schön wäre es! Ich bin keine Heilige, nur eine Nonne, die dorthin geht, wo man sie braucht. Vielleicht seid Ihr jetzt so freundlich und stellt mir Eure beiden Freundinnen vor, die mir, wie ich gestehen muß, nicht bekannt sind.«
»Oh, sicher«, sagte Hazel. »Die große Steroidsüchtige mit dem Metzgerbeil an der Hüfte ist Mitternachtsblau. Der SM-Freak ist Bonnie Chaos. Es sind… Kusinen von mir. Gute Kämpferinnen. Vielleicht bist du jetzt so freundlich und bringst uns über die aktuelle Lage auf den neuesten Stand. Man hat mir gesagt, sie wäre verzweifelt, aber wir sind kilometerweit durch den Dschungel gelaufen und haben keinen einzigen Hadenmann zu Gesicht bekommen.«
»Sie kommen und gehen«, berichtete Mutter Beatrice. »Die Gründe kennen wir nicht. Sie begannen mit Angriffen auf die äußeren Siedlungen, konzentrierten sich dann aber rasch auf diese Station. Wir sind die Kommunikationszentrale, der einzige Raumhafen und die Hauptverteilungsstelle. Wer immer die Missionsstation in der Hand hat, diktiert das Schicksal der Kolonie.
Dschungel und Wetter gestalten jedoch Angriffe aus der Luft und Verkehr am Boden schwierig, so daß die Hadenmänner zu Fuß anrücken müssen. Und obwohl zu jedem Angriff mehr von ihnen aufmarschieren, konnten wir sie bislang abwehren. Hochtechnologische Waffen halten hier nicht lange durch; der Regen sickert einfach überall hinein. Somit werden die meisten Kämpfe Hand gegen Hand, Stahl gegen Stahl ausgetragen.«
»Aber selbst unter diesen Bedingungen«, warf Owen ein, »stellt sich die Frage, wie eine einfache Palisadenfestung wie diese einer Armee von Hadenmännern standhalten konnte.«
»Mit wachsender Schwierigkeit. Der Dschungel schützt uns.
Die Hadenmänner müssen ihn durchqueren, wenn sie an uns heranmöchten, und das pflanzliche Leben hier war zwar schon immer ein wenig aggressiv, aber auf die Aufgerüsteten empfindet es einen regelrechten Haß. Jedesmal, wenn sie hier eintreffen, wurden sie erschöpft und zahlenmäßig ausgedünnt durch das, was der Dschungel ihnen in den Weg geworfen hat.
Und wir haben hier eine Anzahl richtiger Kämpfer. Einige gehörten der Marineinfanterie an, bis man bei ihnen Lepra diagnostizierte. Sie haben sich als gute Ausbilder erwiesen. Und zu uns gehören zwei Ruhmreiche Schwestern.«
»Verdammt!« sagte Hazel tief beeindruckt. »Ich würde auf zwei Ruhmreiche Schwestern wetten, selbst wenn sie einer Armee von Hadenmännern gegenüberstehen. Wie kommt es, daß sie hier sind?«
»Was denkt Ihr?« fragte Mutter Beatrice, und Hazel hatte immerhin den Anstand, ein wenig verlegen zu wirken.
Owen sah, wie Mond verdutzt die Stirn runzelte. »Sie sind eine neue Erscheinung aus der Zeit, in der Ihr tot wart. Die Ruhmreichen Schwestern sind Nonnen, die der Bruderschaft des Stahls der alten Kirche angehörten – ein halbmystischer Orden innerhalb eines Ordens, in allen Kampfkünsten ausgebildet. Die alte Kirche benutzte ihn als interne Polizei, als Geldeintreiber und um den Gottlosen eine höllische Furcht einzuflößen. Nachdem Mutter Beatrice die Kirche reformiert hatte, sahen sich die meisten Mitglieder der Bruderschaft mit Anklagen wegen Greueltaten, Massenmordes und massiver politischer Unkorrektheit konfrontiert. Und so formte die Oberste Mutter aus den wenigen Überlebenden die Ruhmreichen Schwestern und erteilte ihnen einen neuen Auftrag: Den Kämpfen ein Ende zu bereiten. Die Schwachen und die Bedürftigen zu schützen. Im Kampf zu sterben, damit andere leben können.
Die letzten Krieger einer pazifistischen Kirche, und als solche zieht der Orden… extremere Charaktere an.«
»Sehr diplomatisch ausgedrückt«, fand Mutter Beatrice.
»Tatsächlich handelt es sich meist um mörderische Bekloppte mit starken selbstmörderischen Tendenzen, und ich habe einen Ort gesucht, wo ich sie alle unterbringen und im Auge behalten kann. Zu meiner Überraschung erwiesen sie sich alle als sehr gut in dem, was sie tun. Ein bißchen zu sehr darauf erpicht, ihrer Sache als Märtyrer zu dienen, aber ich schätze, das bringt ihre Berufung nun mal mit sich. Ihr lernt sie ohnehin später noch kennen.«
»Oh, toll«, sagte Owen. »Zwei weitere Killerfrauen in meinem Leben. Genau das, was mir noch gefehlt hat.«
»Was war das?« fragte Mutter Beatrice. »Ihr solltet nicht nuscheln, Sir Todtsteltzer; das ist eine sehr ärgerliche Angewohnheit. Also, wir scheinen im Moment eine ruhige Phase zu erleben; warum macht Ihr alle dann nicht einen Spaziergang durch unsere kleine Gemeinde? Das wird die Moral der Leute fördern, und Ihr erhaltet einen Eindruck von den Menschen, die an Eurer Seite kämpfen werden. Und seid nicht zu nervös in ihrer Gesellschaft. Sie verlieren keine Teile, nur weil Ihr zu laut sprecht, und Ihr könnt Euch nicht anstecken, nur indem Ihr ihnen die Hände schüttelt. Es sind einfach nur Menschen. Ich schlage vor, Ihr trennt Euch und geht einzeln oder in Zweiergruppen; so wirkt Ihr weniger… einschüchternd. Es passiert nicht jeden Tag, daß lebende Legenden unter uns wandeln.
Seid in einer Stunde zurück, dann erwartet Euch hier eine warme Mahlzeit. Geht jetzt; ich muß meine Runde durch die Krankenstation drehen.«
Sanft, aber bestimmt scheuchte sie sie aus dem Gemeinschaftsraum und schloß die Tür hinter ihnen. Owen schüttelte langsam den Kopf.
»Das ist also Sankt Bea. Ich hatte eine von diesen Nonnen erwartet, wie sie mich in meiner Kindheit unterrichtet haben.
Ganz laute Stimme und steifer Hals und eine Teufelin mit dem stählernen Lineal.«
»Aus denen sind wahrscheinlich inzwischen Ruhmreiche Schwestern geworden«, meinte Hazel.
»Würde mich überhaupt nicht überraschen. Jetzt paßt mal auf, Leute: Vergeßt, was sie gesagt hat. Niemand zieht auf eigene Faust los. Wir wissen nicht genug über die hiesige Lage.
Ich denke zwar nicht, daß Sankt Bea uns anlügen würde, aber es könnte alle möglichen verdeckten Strömungen geben, von denen sie nichts ahnt. Also, Hazel und Mond, Ihr begleitet mich. Bonnie und Mitternacht, bleibt dich zusammen und achtet auf das, was hinter Eurem Rücken geschieht. Wir treffen uns in einer Stunde hier.«
»Er liebt es einfach, das Kommando zu führen«, erklärte Hazel Bonnie und Mitternacht, und sie nickten wissend.
»Gehen wir lieber, ehe er eine von seinen Ansprachen hält«, sagte Mitternacht, und sie und Bonnie zogen los, um sich mit einigen Leprakranken zu treffen.
Owen bedachte Hazel mit hochmütigem Blick. »Ich habe keine Ahnung, worüber Ihr geredet habt.«
Hazel grinste Mond an. »Das Problem ist, er weiß es wahrscheinlich wirklich nicht. Geht voraus, Sir Todtsteltzer, o Retter der Menschheit!«
Owen schniefte laut und ging los. Hazel folgte ihm lächelnd, und ein ziemlich verwirrter Mond bildete die Nachhut.
Bei Bonnie Chaos flippten die Leprakranken aus. Nur zu gern lüftete sie ihre Kleidung, um die Leute zu blenden, um ihre zahlreichen Piercings und anderen Körpermodifikationen zu zeigen, und rasch sammelte sich eine kleine, aber faszinierte Menge um sie. Nach einer Weile machten sich Bonnie und einige der kühneren Leprösen daran, Verstümmelungen zu vergleichen und sich damit gegenseitig zu übertrumpfen. Es wurde gekreischt und schockiertes Luftholen gemimt, und bald schwatzten alle miteinander, als würden sie sich schon seit Jahren kennen. Die Idee, daß sich jemand freiwillig schnitt und durchbohrte und modifizierte, faszinierte die Kolonisten. Sie fanden es einfach umwerfend, daß Bonnie auch noch stolz auf ihre Abweichungen von der Norm war. Nicht lange, und einige hingebungsvolle Schüler lagen ihr zu Füßen und überlegten sich, wo sie eigene Piercings anbringen sollten. Alles Fleisch ist schön, erklärte Bonnie entschieden. Alles kann man sexy aufmachen. Eine lebhafte Diskussion entbrannte über die Frage, ob man lieber totes Fleisch durchbohren sollte oder solches, in dem man noch Empfindung hatte. Bonnie empfahl nachdrücklich das zweite, um auch die volle Erfahrung zu machen.