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Mitternacht stand still hinter Bonnie und bemühte sich angestrengt darum, über den erkennbaren Enthusiasmus der Leprakranken schockiert zu sein. Ihnen war nie zuvor in den Sinn gekommen, daß ihre Entstellungen gar nicht häßlich zu sein brauchten. Die Kranken zeigten sich zunehmend offener, während sie sich in Bonnies Gesellschaft entspannten. Mitternacht war entsetzt über das, was die Krankheit aus einigen ihrer Opfer gemacht hatte, gab sich aber Mühe, es nicht zu verraten.

Fehlende Finger und Zehen waren häufig, und einigen Kranken waren auch Nasen und Ohren abgefallen. Die Gliedmaßen waren immer zuerst an der Reihe. Viele Kranke hatten wunde Stellen und offene Verletzungen, die nicht heilten, teils verbunden, teils nicht. Bestimmte Medikamente halfen, die Entwicklung der Symptome zu bremsen, aber seit einiger Zeit war keine Lieferung mehr eingetroffen. Das Imperium benötigte alle Frachtschiffe für den Krieg, und selbst die Bitten einer Heiligen mußten hinter denen des Militärs zurückstehen.

Die wieder mal im Stich gelassenen Leprakranken weigerten sich aufzugeben. Sie gaben auf sich und aufeinander acht und bemühten sich um ein Leben, das so normal war wie möglich, während sie darum kämpften, zu einer Kolonie zu werden, die sich selbst versorgte. Zum ersten Mal wurden Kinder geboren, die meisten davon bislang frei von der Krankheit. Und zum ersten Mal bestand Hoffnung. Für die Zukunft, wenn schon nicht für den einzelnen.

Die Krankenstation der Mission nahm diejenigen auf, bei denen die Krankheit zu schlimm geworden war. Es war weniger ein Krankenhaus als eine Ruhestätte vor dem Ende für Menschen, die nicht mehr für sich selbst sorgen konnten. Die Oberste Mutter Beatrice leitete die Krankenstation. Die Opfer der Lepra konnten sie gar nicht genug preisen. Sie gab ihnen Hoffnung und Glauben und einen Grund zum Leben, wenn es doch so leicht gefallen wäre, sich einfach hinzulegen und zu sterben.

Die Kranken verehrten sie, sehr zu Beatrice’ Unbehagen. Sie hatten sie zur Schutzheiligen der Leprakranken ernannt.

Schließlich setzte Bonnie ihren Weg fort. Die Nachricht lief ihr voraus, so daß sie überall von Menschen erwartet wurde.

Viele der Kolonisten waren mitleiderregend dankbar, daß jemand gekommen war, um an ihrer Seite zu kämpfen. Man hatte ihnen so lange erklärt, daß sie an letzter Stelle kamen, daß viele von ihnen es inzwischen glaubten. Bonnie blies diese Vorstellung mit einem Ausbruch heiseren Gelächters hinweg. Mitternacht flocht jetzt die eine oder andere trockene Bemerkung ein, nur der Ausgewogenheit halber, und fand ein Publikum, das für ihren geistreichen Witz empfänglich war. Es war lange her, seit die Leprakranken zuletzt Anlaß gehabt hatten, über etwas zu lachen. Bonnie und Mitternacht spazierten durch das kleine Dorf aus niedrigen Häusern, lächelten und plauderten und stellten sich vor, bis sie schließlich darum bitten mußten, etwas Zeit für sich selbst zu erhalten. Die Kranken zogen sich auf respektvolle Distanz zurück, während Bonnie und Mitternacht die Kapuzen zuklappten und die Stimmen dämpften, damit niemand mithören konnte.

»O Jesus!« sagte Mitternacht leise. »Diese armen Schweine!

Wie kannst du nur weiterhin so lächeln? Sie sterben und sie wissen es und haben doch nicht aufgegeben. Ich überlege mir, welchen Mumm man dafür benötigt, und komme mir daneben ganz klein vor.«

»Ich lächle und lache, um sie damit anzustecken, denn das letzte, was sie gebrauchen können, wären Außenstehende, die ihretwegen ganze Eimer vollheulen.«

»Sie brechen mir das Herz. Es ist alles so… unfair! Sie hatten mal ein Leben, eine Zukunft, Träume… Freunde und Familie und Geliebte. Und jetzt haben sie nur noch die Krankheit, die sie umbringt. Und sie glauben noch an Gott. Wäre ich an ihrer Stelle, würde ich täglich Ihren Namen verfluchen. Sie beschämen mich.«

»Solltest du auch nur leise schniefen, haue ich dir kräftig eine runter!« drohte ihr Bonnie heftig. »Wir müssen stark sein – ihnen zuliebe.«

»Stärke durch Piercing«, sagte Mitternacht. »Ein ganz neuer Ansatz in der Psychotherapie.«

»Was auch immer funktioniert. Der Körper beherrscht das Leben dieser Menschen schon so lange, daß es nur fair ist, wenn sie wieder etwas Macht über ihr Fleisch bekommen.«

»Sie sind stark«, fand die Kriegerin. »Sie werden sich gut schlagen, wenn die Hadenmänner zurückkehren.«

»Und ob sie das werden. Aber können wir diesen Ort endlos verteidigen?«

Mitternacht zuckte die Achseln. »Kommt darauf an, wie viele Hadenmänner wir abwehren müssen. Was wiederum davon abhängt, wie scharf sie auf diesen Planeten sind. Die Palisade der Missionsstation ist robust, die Angreifer müssen über offenes Gelände anrücken, und wir brauchen uns anscheinend keine Gedanken über Artillerie zu machen. Und dann sind da noch die Ruhmreichen Schwestern, von denen Hazel so beeindruckt war. Die Lage könnte viel schlimmer sein. Die Frage ist ohnehin überflüssig. Wir werden standhalten, weil wir keine andere Wahl haben. Weil wir keinen Ort kennen, zu dem wir flüchten und an dem wir uns verbergen könnten, und kein Raumschiff, das uns von diesem Planeten bringt.«

»Und keine Verstärkerungen«, ergänzte Bonnie. »Nur uns selbst.«

»Wir haben überhaupt keine Chance, was?« fragte Mitternachtsblau.

»Keine Spur davon«, bekräftigte Bonnie Chaos.

Zunächst mußten Owen und Hazel Mond flankieren und sich bereithalten, die Waffen zu ziehen, denn sobald die Leprakranken den Hadenmann erkannten, flüchteten sie entweder oder versuchten ihn anzugreifen. Die Atmosphäre verschlechterte sich rapide, bis Owen sich vorstellte, und Knall auf Fall änderte sich die Stimmung wieder. Von überallher kamen Menschen herbeigelaufen, um den legendären Todtsteltzer zu sehen, und sobald er sich für den Hadenmann verbürgt hatte, änderte sich die Situation grundlegend. Alle wollten den großen Helden der Rebellion begrüßen, und im Schein der Anerkennung erwärmte sich Owen und zeigte sich bald von der charmantesten und liebenswürdigsten Seite. Hazel lächelte entschlossen in seinem Schatten und gab sich größte Mühe, höflich aufzutreten. Owen wahrte das Lächeln, während er Hände schüttelte, die nicht immer vollständig waren, und hatte für jeden ein freundliches Wort übrig. Allerdings wollte niemand Hazel nahe genug kommen, um ihr die Hand zu geben. Bald drängten sich so viele Menschen ringsherum, daß sich kaum noch jemand bewegen konnte, also führte Owen die Menschen auf den Platz hinter dem Haupttor, und die Menge setzte sich ihm dort in geordneten Reihen gegenüber und füllte den Platz völlig aus.

Owen hatte sich vor großem Publikum noch nie wohl gefühlt, aber die Heldenverehrung setzte ihm noch stärker zu. Dadurch überwand er seinen Hang, Reden zu schwingen, und entschied sich lieber für eine Sitzung mit Fragen und Antworten. Nach ein paar Anstößen fingen die Leute an, sich vorzustellen und Fragen zu stellen, die Owen meist so vertraut waren, daß er sie im Schlaf hätte beantworten können. Bald empfand er die Leprakranken nur noch als ein Publikum unter vielen, das sich sogar etwas besser benahm als die meisten. Er legte los und erzählte von seiner Zeit in der Rebellion, zumindest die Abschnitte, die für die Öffentlichkeit geeignet waren, und Hazel schaltete sich zuzeiten ein und steuerte Dinge bei, die sie selbst aufschlußreich fand. Die Leprakranken begegneten ihnen beidem mit großem Respekt, und Owen und Hazel konnten nicht umhin, sich für sie zu erwärmen. Ihnen war vorher nie in den Sinn gekommen, daß die Kranken ihre Fans sein könnten wie alle anderen auch.