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»Vielleicht«, räumte der Oberst ein. Er sah Owen an. »Ich vermute, du hast nicht zufällig Zigarren mitgebracht? Nein, natürlich nicht. Ist auch gut so, war sowieso eine schmutzige Angewohnheit. Aber sie gehört zu den wenigen Dingen, die ich wirklich vermisse… Ich habe die Rebellion versäumt, weißt du? Der größte verdammte Krieg in der Geschichte des Imperiums, und ich kam nie dazu, darin mitzukämpfen. Eine Schande. Ich hätte meine Fähigkeiten gern gegen den Todtsteltzer und seine Truppe auf die Probe gestellt. Das wären würdige Gegner gewesen. Trotzdem, ob Imperatorin oder Parlament, das macht letztlich keinen Unterschied. Keiner von beiden wird uns erlauben, diesen Planeten zu verlassen.«

»Niemand sorgt sich um uns«, fand Otto. »Sie schämen sich unser. Wir haben keinen Platz in ihrem hellen, neuen, glänzenden Imperium.« Er schniefte feucht und rieb sich die Nase mit dem Handrücken. »Für den Fall, daß du dich fragst: Ich bin von meinen Eltern gentechnisch so gestaltet worden. Sie betrieben einen fahrenden Zirkus, und da bucklige Zwerge in der Natur nicht mehr vorzukommen scheinen, haben sie sich selbst einen gemacht. Ich gehörte zu den Stars der Show. Das Publikum ist gern gekommen, um mich aus der Distanz zu bemitleiden. Aber niemand hat mich je nach meinen Wünschen gefragt.

Nach meinen Träumen. Also bin ich gleich in der ersten Minute meines sechzehnten Geburtstages ins nächste Rekrutierungsbüro marschiert und habe mich verpflichtet. Ich sollte eigentlich als Maskottchen dienen, aber ich demonstrierte rasch eine solche angeborene Begabung dafür, Menschen umzubringen, daß ich innerhalb eines Jahres in den vollen Kampfdienst übernommen wurde. Habe es nie bereut.«

»Wir haben in hundert Schlachten Seite an Seite gekämpft«, ergänzte der Oberst. »Ein scheußlicher kleiner Kerl. Sehr gut im Ausnehmen mit dem Messer. Und als ich herkam, hat er mich begleitet. Damals hatte er noch keine Lepra. Ein guter Freund, aber dumm wie Scheiße.«

»Stimmt«, sagte Otto. »Stimmt wirklich.«

»Gott sei für die Hadenmänner gedankt. Sie geben uns wieder eine Aufgabe. Wenigstens habe ich jetzt einen richtigen Feind, an dem ich meine Wut austoben kann. Und eine Chance, wie ein Krieger zu sterben, statt Tag für Tag mehr zu verfaulen.

Und am besten war: Nach Monaten offener Mißbilligung dessen, was ich früher getan habe, mußte sich Sankt Bea an mich wenden, damit ich ihren Leuten zeigte, wie man kämpft. Muß ihr fast im Hals steckengeblieben sein, aber sie hat es getan. Ist gekommen und hat uns vor allen Leuten darum gebeten.«

»Was haltet Ihr von unseren Chancen gegen die Hadenmänner?« fragte Owen.

Oberst Hand grinste brutal. »Darüber mach dir mal keine Sorgen, Junge! Hadenmänner sterben genauso wie alle anderen, wenn man an der richtigen Stelle mit dem Messer zustößt und es herumdreht. Und außerdem – falls uns eine beschissene Krankheit und ein vergammelter Planet wie dieser hier nicht besiegen konnten, dann schafft es ein Haufen wandelnder Elektrogeräte mit mieser Einstellung auch nicht.«

Owen nickte, verabschiedete sich, stand auf und setzte seinen Weg fort. Er fand, daß er die Gesellschaft des Obersten und Ottos in etwa so lange genossen hatte, wie er verkraftete. Aber bei all dem Gift, das der alte Soldat verspritzt hatte, konnte Owen doch nicht umhin zuzugeben, daß es etwas für sich hatte.

Die Leprakranken waren das düstere, verschwiegene Geheimnis des Imperiums. Keine Heilung, keine Hoffnung, also lud man die armen Teufel einfach außer Sichtweite der übrigen Menschheit ab. Owen hatte vage Vorstellungen von Lachrymae Christi gehabt, aber ihm war nie in den Sinn gekommen, etwas dagegen zu unternehmen. Lepra war etwas, was anderen Leuten widerfuhr. Aber jetzt, wo man ihn mit der Nase förmlich draufgestoßen hatte, schwor er sich, etwas zu tun. Irgendwas.

Mal vorausgesetzt, er und die Kranken überlebten.

Er kam um eine Ecke und sah Mond allein dasitzen. Die Schultern des Hadenmanns zuckten, während ihm Tränen übers Gesicht liefen. Niemand war in seiner Nähe, und keine unmittelbare Ursache für seinen Kummer war zu erkennen. Im Gegenteil taten die wenigen Leprakranken, die überhaupt in der Gegend waren, ihr Bestes, ihn zu ignorieren. Owen lief zu dem Aufgerüsteten hinüber und stand dann verlegen da, wußte nicht, was er tun sollte.

»Mond? Tobias? Was ist los? Hat jemand etwas gesagt oder getan? Verdammt, wenn jemand Euch attackiert hat, puste ich ihm die Lichter aus!«

Der Hadenmann hörte abrupt auf zu weinen und blickte auf.

»O hallo, Owen«, sagte er gelassen. »Es ist alles in Ordnung.

Niemand hat mir etwas getan. Ich habe nur die Emotion ausprobiert, wollte wissen, wie sich das anfühlt. Bitte setzt Euch und redet mit mir.«

Owen runzelte die Stirn, zuckte die Achseln und setzte sich neben seinen Freund. Mond wischte sich ganz unbefangen das Gesicht mit einem Tuch ab. Owen musterte ihn. »Also, Ihr seid wirklich in Ordnung?«

»Ich weiß nicht. Ich gestehe, daß ich in jüngster Zeit sehr verwirrt bin. Das ist mein zweites Leben, Owen, und vieles ist mir immer noch fremd. Immer wieder tauchen Erinnerungen an das erste Leben auf, aber ganz verworren, als betrachtete ich eine andere Person auf einem matten Holoschirm. Ich kann mich erinnern, wie ich das eine oder andere getan habe, aber nicht warum oder wie ich mich dabei fühlte. Den größten Teil des ersten Lebens habe ich unter Menschen verbracht, und ich habe dabei menschliche Wesenszüge entwickelt, die mir jetzt jedoch überwiegend abhanden gekommen sind. Ich habe Gefühle, aber… sie sind seltsam und verwirrend, weil ich keinen Bezugsrahmen für sie habe. Ich bin wie ein Blinder, der zum ersten Mal Farben sieht. Also lache ich und weine ich, koste den unvertrauten Geschmack dieser Empfindungen, versuche zu erkennen, was sie unterscheidet und was sie mit der Welt zu tun haben, in der ich lebe. Ich sehe die Leprakranken hier an, wie sie so tapfer leben und kämpfen und sterben, und ich denke, da sind Tränen die angemessene Reaktion, aber es fällt mir schwer, dessen gewiß zu sein. Es ist sehr schwierig, menschlich zu sein, Owen.

Ich weiß nicht, wie Ihr das so mühelos schafft.«

»Ihr werdet das schon herausfinden«, meinte Owen. »Das erfordert nur Übung. Auf diese Weise lernen alle. Und ja, Tränen sind hier angemessen. Falls ich noch welche übrig hätte, würde ich sie vergießen. Ich habe jedoch so viele Menschen sterben gesehen und an so vielen Schlachten teilgenommen, in denen es um die letzte Chance ging, daß es mir schwerfällt, noch solchen Gefühlen nachzuhängen. Ich muß stark und unerschütterlich sein und anderen auf diese Weise Halt geben. Nur zu gern würde ich den Luxus genießen, wieder schwach zu sein, Mond.

Jemand anderen zu haben, der stark ist und der den Helden spielt, damit ich mich auf ihn stützen kann. Es ist harte Arbeit, eine lebende Legende zu sein.«

»Ja«, sagte Mond, »ich erinnere mich an Euch als Held. Ihr habt Euer Leben riskiert, um die Gruft der Hadenmänner zu öffnen, als ich versagt hatte – nachdem ich Euch im Stich gelassen hatte, es Euch und den anderen überlassen hatte, gegen das Imperium zu kämpfen, während ich auf eigene Faust loszog, überzeugt davon, es wäre meine Bestimmung, mein Volk wiederzuerwecken. Ich war im Irrtum. Ich lasse Euch nicht noch mal im Stich, Owen.«

»Natürlich nicht«, sagte Owen. »Ich habe nie etwas anderes erwartet.«

»Noch mehr Dinge sind mir neu, abgesehen von den Gefühlen«, fuhr Mond fort. »Ich habe kürzlich versucht, eine Diagnose meiner Techimplantate durchzuführen, der inneren Mechanismen, die mich zu einem Aufgerüsteten machten. Zu meiner Verblüffung stellte ich fest, daß die meisten fehlten.

Der Körper hat sie absorbiert. Dabei bin ich weiter so stark und schnell wie zuvor, meine Sinne so klar, meine Gedanken so präzise. Es hat den Anschein, als brauchte ich keine Technik mehr, um übermenschlich zu sein.«

»Es liegt am Labyrinth«, nickte Owen. »Als Ihr mit uns anderen hindurchgegangen seid, hat es Euch geprägt.«