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Der Jubel über den Sieg hatte sie nicht blind gemacht für die reale Lage. Sie wußten, daß sie nur auf den nächsten Akt warteten. Und so redeten und lachten und sangen sie, priesen Sankt Bea und die Ruhmreichen Schwestern und unterhielten sich

über die lebenden Legenden, die gekommen waren, um sie zu führen und zu beschützen.

»Es heißt, der Todtsteltzer wäre gestorben und hätte sich selbst wieder zum Leben erweckt«, erzählte ein Leprakranker, dem das halbe Gesicht weggefressen war.

»Nee«, widersprach ein anderer Mann, das Gesicht im Schatten eines breitkrempigen Hutes versteckt. »Wenn man tot ist, ist man tot, wie die selige Schwester Kathleen. Wenn man gegangen ist, kehrt man nicht zurück.«

»Das gilt für Leute wie uns«, meinte der dritte Mann am Feuer, einer von der großen und schlaksigen Sorte, der die knochigen Knie bis an die Brust hochgezogen hatte. »Wir sind Menschen. Er nicht. Nicht mehr.«

»Natürlich ist er ein Mensch«, behauptete der erste. »Er wurde unter uns geboren, um zu mehr zu werden, als wir sind – um uns zum Sieg zu führen. Wie er die Rebellen gegen die Imperatorin geführt hat.«

»Das war Jakob Ohnesorg«, sagte der zweite. »Der Berufsrebell. Obwohl man sich erzählt, er wäre inzwischen ebenfalls unsterblich. Wie Ruby Reise und Hazel D’Ark und dieser verdammte Hadenmann Mond. Jeder Saftsack außer uns, hat es den Anschein.«

»Jawohl«, bekräftigte der dritte. »Aber es sind trotzdem weiter Menschen. Die alte blöde Sally hat Hazel D’Ark gebeten, ihr die Hand aufzulegen und sie zu heilen. Hat nicht geklappt.«

»Vielleicht war Sallys Glauben nicht stark genug«, überlegte der erste.

Owen entschied, daß ihm die Richtung nicht gefiel, die das Gespräch nahm. Er trat vor in den Schein des Feuers. »Darf ich mich dazugesellen, meine Freunde?«

»Sicher«, sagte der erste. »Laß dich nieder. Ich bin Heinrich.

Der mit dem blöden Hut ist Sigurd, und der langweilige Kerl heißt Glum.«

»Ich bin Giles«, stellte sich Owen vor. »Ich bin… neu hier.

Ich habe den Todtsteltzer kennengelernt. Er ist mir gar nicht so besonders vorgekommen. War nur ein Mann, der versucht hat, das Richtige zu tun.«

»Dann mußt du mit geschlossenen Augen herumgelaufen sein«, behauptete Heinrich und stocherte an einem Stück Schorf auf der Gesichtshälfte herum, die ihm noch verblieben war. »Er wurde von Gott berührt. Muß so sein, um all das zu leisten, was er getan hat. Es heißt, Engel hätten in der großen Rebellion an seiner Seite gekämpft und über all den großen Schlachten am Himmel geschwebt.«

»Er ist kein Heiliger«, behauptete Sigurd. »Hier gibt es nur eine Heilige, und sie kramt immer noch bis zu den Ellbogen in den Eingeweiden herum, da drüben auf der Krankenstation.

Und ich habe den Todtsteltzer im Holo gesehen, wie er auf den Straßen von Golgatha gekämpft hat, und man konnte da nirgendwo irgendwelche verdammten Engel sehen. Nur Hazel D’Ark, und die ist kein Engel, das ist mal verflucht sicher. Es sei denn einer von der gefallenen Sorte. Hat allerdings nette Titten.«

»Engel dürfte man auf einem Film auch nicht sehen«, erklärte ihm Heinrich geduldig. »Es sind geistige Wesen.«

»Falls er ein Heiliger wäre, würde er uns heilen«, behauptete Glum, den Blick immer noch auf die Knie gerichtet. »Würde uns alle retten und die Hadenmänner mit einer Handbewegung auslöschen. Aber er hat es nicht getan, weil er es nicht kann.

Nein, er ist mächtig, in Ordnung, aber trotzdem immer noch einer von uns.«

»Manche Leute behaupten, er wäre ein Monster«, sagte Owen ruhig. »Daß niemand solche Fähigkeiten haben dürfte, wie er sie hat. Daß alle Macht verderblich…«

»Blödsinn!« warf Heinrich verärgert ein. »Er ist als Aristo geboren worden und hat all das aufgegeben, um zum Helden der Unterdrückten zu werden! Er hat Reichtum und Stellung aus freien Stücken aufgegeben und sich geweigert, im Luxus zu schwelgen, solange das Volk in Sklaverei lebte! Er ist ein Held. Eine Legende.«

»Das war Jakob Ohnesorg«, hielt ihm Sigurd hartnäckig entgegen.

»Ohnesorg ist gescheitert, solange er auf sich allein gestellt war. Jeder weiß das. Der Todtsteltzer hat für uns gekämpft, als es niemand sonst tat. Hat Jakob Ohnesorg aus dem Gefängnis befreit und ihm neues Leben eingehaucht. Er hätte Imperator werden können, falls das sein Wunsch gewesen wäre, aber er lehnte ab.« Heinrich schüttelte verwundert den Kopf. »Jemanden wie ihn trifft man nur einmal in tausend Jahren an.«

»Er gab den Hadenmännern die Chance zur Wiedergutmachung«, sagte Glum und blickte zum ersten Mal auf. »Wer außer ihm hätte das getan? In Ordnung, sie haben ihn letztlich verraten, aber so sind nun mal die Hadenmänner.«

»Es heißt, er hätte einen Grendel mit bloßen Händen umgebracht«, erzählte Heinrich voller Verehrung. »Einen Grendel, denkt nur! Niemand hätte das geschafft, der nicht von Gott berührt ist.«

»Aber macht Euch manches von dem, was er tun kann, nicht Angst?« fragte Owen.

»Ach verdammt«, antwortete Sigurd. »Natürlich kann er einen ganz schön erschrecken. Das ist bei Helden immer so. Sie sind ganz schön unheimlich, diese Leute, die das Labyrinth des Wahnsinns durchschritten haben. Wenn sie sich dem Bösen verschreiben würden, wer könnte sie aufhalten? Sie könnten uns alle umbringen, ganze Planeten verwüsten, das verdammte Imperium vernichten, falls es ihnen in den Sinn käme. Sie könnten Monster sein. Aber der Punkt ist: Sie sind es nicht.

Der Todtsteltzer ist hergekommen, um uns zu retten, als niemand sonst dazu bereit war. Er könnte hier an unserer Seite sterben, und niemand würde es je erfahren. Trotzdem ist er gekommen, weil es richtig war. Letztlich kommt es nur darauf an.«

»Von Gott berührt«, sagte Glum. »Vom Schicksal getrieben.

Zum Helden erkoren. Armes Schwein.«

»Jawohl«, bekräftigte Heinrich. »Er hätte sich die Krone aufs Haupt setzen können. Ich hätte es getan. Statt dessen ist er hier bei uns. In der Hölle.«

»Ach, ich weiß nicht«, sagte Owen. »Nach dem, was ich gehört habe, geht es im Parlament gefährlicher zu als hier. Hier weiß man wenigstens, wer der Feind ist.« Er stand auf. »Ich muß gehen. Danke für Eure Gesellschaft, Freunde.«

Er ließ sie am Feuer sitzen und ging über den Platz zurück, ohne ein besonders Ziel zu haben. Er hatte gehört, wie sie über Owen Todtsteltzer als einen Helden und eine Legende redeten, und auch als ein armes Schwein, das von Gott berührt worden war, erkannte sich aber in beiden Vorstellungen nicht wieder.

Als Historiker hatte er stets gewußt, daß solche Umdeutungen und Neuerfindungen einer Biographie unvermeidlich waren, aber es setzte ihm doch zu, so mitzuerleben, wie er selbst schon hinter der alten Maske aus Mythen und Heldensagen verschwand. Als nächstes würde man noch behaupten, er wäre in einer Krippe geboren worden und hätte dort den Besuch von drei weisen Herrschern empfangen.

Die Füße führten ihn zur Krankenstation, wo er Hazel antraf.

Wenn er Zweifel hatte, suchte er stets Hazel auf. Sie war vielleicht der einzige Mensch, der ihn von Anfang an kannte, der alle Veränderungen zusammen mit ihm durchgemacht hatte.

Womöglich gar der einzige Mensch, der noch sein wahres Ich kannte. Er sah sie auf der Treppe vor der Krankenstation sitzen, wo sie müde den Kopf hängen ließ. Er nahm neben ihr Platz, und sie nahm es mit einem Brummen zur Kenntnis.

»Ihr solltet etwas schlafen«, schlug er ihr sanft vor. »Es war ein langer Tag.«