Mutter Beatrice lächelte. »Jede Legende findet ihr Ende, Sir Todtsteltzer, und jeder Held fällt schließlich, aber falls das alles ist, was uns bleibt, dann wollen wir wenigstens gut sterben.
Gott erwartet nichts Geringeres. So, falls Ihr mich jetzt entschuldigen wollt – ich muß auf die Krankenstation zurückkehren. Ich denke, man wird mich dort brauchen.«
Sie ging, völlig aufrecht, und die Leute gaben ihr den Weg frei und verneigten sich respektvoll.
»Sie wäre eine tolle Kriegerin geworden«, meinte Hazel.
»Sicher«, sagte Owen. »Auf ihre eigene Art war sie stets eine Kämpferin. Die sanften Persönlichkeiten überleben gar nicht lange genug, um zu lebenden Heiligen zu werden.«
»Grendels!« sagte Hazel bitter. »Warum nur müssen es Grendelkreaturen sein? Gegen die Hadenmänner hatten wir wenigstens eine Chance.«
»Solange die dicke Frau singt, ist die Oper nicht zu Ende«, gab Owen zu bedenken. »Und falls wir nicht mehr bewirken, dann wollen wir wenigstens möglichst viele von ihnen mitnehmen.«
Erschrockene Schreie stiegen vom Laufgang auf, und Owen und Hazel drehten sich um und sahen, wie sämtliche Grendels heranstürmten, von einem unerkannten Signal letztlich doch in Bewegung gesetzt. Sie kamen von allen Seiten gleichzeitig, drangen völlig lautlos vor und überwanden die ausgedehnte Lichtung in wenigen Sekunden. Sie warfen sich gegen die Palisade und hämmerten daran, bis sie auf ganzer Länge wie eine Riesentrommel dröhnte. Eine Disruptorsalve prasselte auf die Angreifer herab und stanzte Löcher durch dunkelrote Panzerungen, aber die Kreaturen fielen nicht. Mit den Fäusten, besetzt mit schweren Stacheln, rissen sie Brocken aus dem dicken schwarzen Holz, und die Wand erbebte unter der Gewalt. Einige Grendelkreaturen kletterten an der Palisade hinauf, hieben ihre stählernen Klauen tief ins Holz und knirschten gnadenlos mit den Stahlzähnen. Owen beugte sich über die Brüstung und schoß einem Grendel durch den breiten, herzförmigen Kopf.
Die Kreatur zuckte und stürzte hinunter, griff dabei mit Armen und Beinen ins Leere. Sie prallte heftig auf und blieb reglos liegen, und die übrigen Grendels schwärmten einfach über sie hinweg.
Jeder, der über eine Schußwaffe verfügte, war inzwischen auf dem Laufgang, und das Tosen so vieler abgefeuerter Strahlenwaffen war ohrenbetäubend. Der Regen zerkochte zu Dampfwolken, und überall fielen Grendels. Letztlich waren es jedoch einfach zuwenig Disruptoren und viel zu viele Grendels, und als sich der Dampf verzog und die Verteidiger die entladenen Waffen senkten, rannten die Angreifer nach wie vor gegen sie an und kletterten an der Palisade herauf. Die Disruptoren waren nutzlos, bis sich die Energiekristalle wiederaufgeladen hatten, und in zwei Minuten konnte viel passieren. Also waren Bogen und Pfeil der nächste Schritt. Die Bogenschützen traten vor, beugten sich gefährlich weit über die Brüstung und schossen.
Jeder Pfeil traf sein Ziel, wurde aber auch abgelenkt, ohne Schaden anzurichten. Damit blieb nur noch der blanke Stahl.
Die Verteidiger der Mission hoben Schwerter und Äxte und landwirtschaftliches Gerät mit frisch geschärften Schneiden und warteten, daß der Feind sie erreichte.
Die Grendels krabbelten in einer großen, brodelnden Flut über die Palisade hinweg, rot wie Blut, wild wie der Teufel, und stürzten sich auf die Verteidiger. Schwerter blitzten auf und Äxte hackten zu, nur um nutzlos an lebendiger dunkelroter Panzerung abzugleiten. Die Grendels zerfetzten anfälliges menschliches Fleisch und töteten jeden, der in ihre Reichweite kam. Manche sprangen lieber von der Palisade, als sich den Grendels zu stellen. Blut spritzte überall, und die Luft war voller Schreie.
Draußen im Regen zerschmetterten die Angreifer die Barrikaden und die geflickten Palisadenlöcher und strömten in einer unaufhaltsamen Flut durch den Schutzwall. Männer und Frauen ergriffen schreiend die Flucht, aber die Grendels waren schneller.
Owen Todtsteltzer schwang das Schwert beidhändig; manchmal durchdrang die Klinge die blutroten Panzerungen, manchmal nicht. Unter der schieren Wucht der Schläge stolperten die Grendels zurück, aber verletzen konnte Owen sie meist nicht. Hazel D’Ark kämpfte an seiner Seite, nutzte jeden verfügbaren Platz auf dem Laufgang, um auszuweichen, suchte nach Schwachstellen ihrer Gegner, rammte die Schwertspitze in verletzliche Gelenke und verdrehte sie darin, und all das nützte nichts. Wie Owen war auch Hazel stark genug, um die Grendels in Schach zu halten, aber mehr vollbrachte sie nicht.
Owen versuchte die Grendels mit ausholenden Armbewegungen von der Palisade zu fegen, aber selbst der lange Sturz auf den harten Boden darunter schien ihnen nichts auszumachen.
Und Schritt für Schritt wurden Owen und Hazel schließlich doch zurückgetrieben, während ihre nur menschlichen Mitkämpfer ringsherum starben. Beide konnten nichts tun, um sie zu retten. Bald war der Lauf gang mit Toten und Sterbenden übersät und rutschig von Blut. Und immer noch mehr Grendels schwärmten über die Palisade.
»Zieht euch zurück! Zieht euch zurück!« brüllte Oberst Wilhelm Hand unten auf der Freifläche hinterm Tor. »Zurück in die Kasematte, damit die Fallen ihre Arbeit tun können!«
Die Leprakranken auf dem Laufsteg, die noch lebten, drehten sich um und rannten, drängten sich auf die engen Treppen, die nach unten führten, und die Grendels fielen über die hintersten her. Owen und Hazel setzten den langsamen Rückzug fort und bemühten sich, den Leprakranken in ihrer Nähe ein wenig Zeit zu erkaufen. Ein Grendel duckte sich unter Owens Schwerthieb hindurch und ging auf seine Kehle los. Owen schlug instinktiv mit der Faust zu, und sie zerschmetterte die Panzerung der Kreatur und durchbohrte ihren herzförmigen Kopf. Der Grendel zuckte, als Owen ihm das Gehirn herausriß. Die Kreatur rotierte hilflos, bis ihre Gefährten sie niederstießen und über sie hinwegtrampelten.
»Nette Nummer«, fand Hazel, die doch ein klein wenig außer Atem war.
»Ja«, bestätigte Owen. »Ich denke, ich habe mir die verdammte Hand gebrochen.«
»Für den Fall, daß es dir noch nicht aufgefallen ist: Wir sind von der Treppe abgeschnitten.«
»Dann müssen wir springen.«
»Der Sturz bringt uns um!«
»Soviel Glück haben wir nicht. Springt!«
Sie schlugen die nächststehenden Grendels zur Seite, wichen den zuschnappenden Kiefern aus, liefen den Steg entlang und sprangen ins Leere. Es war ein weiter Weg nach unten, und ein paar wundervolle Augenblicke lang hatten sie fast das Gefühl zu fliegen. Und dann prallten sie auf dem Boden auf, daß es ihnen die Luft aus den Lungen rammte. Über ihnen war der Laufgang inzwischen völlig überrannt.
Owen zwang sich durch schiere Willenskraft wieder auf die Beine, packte Hazel an der Schulter und zog sie hoch. Überall liefen Menschen und Grendels durcheinander. Ein stählernes Lächeln ging auf Hazels Kehle los. Sie packte den Grendel mit beiden Händen und schleuderte ihn über ihren Kopf hinweg in die nächststehende Konzentration seiner Artgenossen. Sie gingen in einem Gewirr rudernder Gliedmaßen zu Boden. Owen und Hazel rannten zur Kasematte, der großen Kommunikationshalle, die als einzige Zuflucht zur Verfügung stand, wenn die äußere Abwehr überrannt war.
Leprakranke begleiteten sie auf der Flucht, wichen dabei den versteckten Fallen und Gruben aus oder sprangen darüber hinweg. Grendels rannten ihnen nach. Sie stürzten in die spießbewehrten Gruben, drückten die Spieße flach, standen unverletzt wieder auf und sprangen gleich wieder hinaus. Von Gewichten angetriebene Spieße und Schwertklingen schossen aus ihren Verstecken hervor, nur um harmlos an den Panzerungen abzuprallen. Die improvisierten Landminen detonierten überall auf dem Gelände, spuckten Rauch und Flammen, schleuderten Grendels in die Luft und verletzten sogar einige. Aber immer kamen noch mehr, immer noch neue.