Eine Armee des Todes, dazu geschaffen, unaufhaltsam zu sein.
Die Verteidiger strömten in die Kasematte und füllten sie gänzlich. Stählerne Läden sicherten die Fenster, stählerne Riegel die Türen. Owen und Hazel bezogen vor der großen Halle Position und nahmen es mit den ersten Grendels auf, die sie dort erreichten, versuchten dabei, so viele der Fremdwesen zu beschäftigen, wie sie nur konnten, um den eintreffenden Leprakranken ein paar kostbare Augenblicke mehr zu erkaufen.
Bonnie Chaos und Mitternachtsblau waren ebenfalls zur Stelle. Bonnie lachte in schierem Überschwang, als sich die Grendels um sie drängten, und sonnte sich in einer Schlacht, die sie stärker auf die Probe stellte als jede andere zuvor. Sie schwang das Schwert mit aller Kraft, spaltete Grendelpanzerungen und streckte die Kreaturen nieder. Sie selbst blutete ständig aus Wunden, die nie Zeit fanden, richtig zu verheilen, ehe sie erneut aufgerissen wurden, aber sie verbannte einfach das Gefühl der erlahmenden Kraft in den Armen und schwelgte im niemals endenden Rausch des Schmerzes und der Regeneration.
Mitternachtsblau teleportierte auf einer Kreisbahn um ihre Waffengefährtin hin und her und materialisierte jeweils lange genug, um einen wirkungsvollen Hieb mit der Axt zu landen.
Sie intonierte Schlachtgesänge ihres Ordens im Rhythmus ihrer Axthiebe, aber die Kraft verließ sie allmählich. Das ständige Teleportieren setzte ihr zu, und es fiel ihr zunehmend schwer, sich zu konzentrieren. Sie spürte, wie sie langsamer wurde, und den Grendels gelang es allmählich, ihre Schläge abzuwehren.
Alle Überlebenden des Labyrinths wurden langsamer, während sie die Energie verbrauchten, die sie antrieb. Der menschliche Körper war nicht dazu gebaut, lange unter solchen Extrembedingungen zu funktionieren.
Oberst Wilhelm Hand und Otto bezogen ihre Positionen am Eingang zum Irrgarten der schmalen Gassen zwischen den Hütten. Viele Leprakranke hatten dort Zuflucht gesucht, sich in vertrauter Umgebung verbarrikadiert. Hand gab ihnen keine große Chance, tat aber sein Bestes, ihnen soviel Zeit zu verschaffen, wie es nur ging. Er kämpfte wütend und mobilisierte alte Fertigkeiten, während seine Kraft langsam schwand. Otto schützte wie stets die Flanke des Obersten. Hand hatte den Höhepunkt seiner Form jedoch schon lange überschritten und war geschwächt durch eine fürchterliche Krankheit, und nach wenigen verzweifelten Minuten hieben ihn die Grendels zu Boden und schwärmten über ihn hinweg. Er lag auf dem Rücken, blutete stark aus einem Dutzend bösartiger Wunden und tastete nach dem Schwert, das er verloren hatte. Rotgepanzerte Beine stampften rings um ihn herum. Ein Grendel ragte über ihm auf, und Stahlklauen zuckten herab. Hand schrie unwillkürlich auf, und dann war erneut Otto da, ein letztes Mal, und warf sich über seinen Oberst. Die Stahlklauen gruben sich tief in seinen Rücken und rissen ihm den Buckel und das halbe Rückgrat weg. Otto erschauerte einmal und starb. Der Grendel setzte seinen Weg fort.
Hand wollte den toten Zwerg herunterschieben, schaffte es aber nicht. Er hatte weder Gefühl in den Händen noch Kraft in den Armen. Die Kehle schmerzte, und er hörte, wie sein Atem seltsam pfeifend klang. Er zwang sich, eine Hand an den Hals zu heben, und als er sie wegnahm, war sie naß von Blut. Einer der Grendels hatte ihm einen schlimmen Schnitt versetzt, und er hatte es nicht mal bemerkt. Der Oberst ließ die Hand auf den harten Boden zurückfallen. Er hatte immer gedacht, daß er lieber den Tod eines Kriegers starb, als zu erleben, wie ihn die Lepra zentimeterweise auffraß, aber jetzt war der Zeitpunkt gekommen, und er stellte fest, daß er alles für ein paar weitere Tage gegeben hätte oder sogar nur ein paar weitere Stunden.
Aber Gott schloß keine Verträge.
Er hätte gern Gelegenheit gefunden, seine Sachen in Ordnung zu bringen, ein paar Briefe zu schreiben… Für einen Moment zerliefen seine Gedanken, ehe er sich plötzlich wieder konzentrieren konnte. Er konnte noch nicht sterben! Nicht, solange er noch eine letzte Pflicht erfüllen mußte, einen letzten Befehl ausführen mußte. Er kämpfte darum, die Fernbedienung zu fassen zu kriegen, die ihm Sankt Bea gegeben hatte. Die Oberste Mutter vertraute darauf, daß er den richtigen Zeitpunkt erkannte, um sie zu betätigen, und daß er den Mumm hatte, den Schalter zu drücken, egal was es ihn kostete.
Der Oberst lächelte grimmig, und Blut floß ihm aus dem Mund. »Lebwohl, Otto«, sagte er oder glaubte, es gesagt zu haben. Und er drückte den Schalter.
Die Sprengsätze unter dem Platz gingen alle gleichzeitig hoch, ein gewaltiger Donnerschlag, der den Boden ans Dach rammte und die dichtgedrängten Grendels zerfetzte. Der gesamte Platz verschwand in einer Rauchwolke. Die gerichteten und gezielt plazierten Sprengsätze jagten die Wand nach draußen weg. während die Dorfhütten unversehrt blieben. Die Eingeweide der Fremdwesen und Splitter dunkelroter Panzerungen regneten prasselnd auf den kraterübersäten Boden zurück. Nirgendwo war mehr ein Spur von Oberst Wilhelm Hand und Otto zu sehen.
Owen und Hazel kämpften vor der Kommunikationszentrale unermüdlich weiter, waren müde über jeden Schmerz und jede Hoffnung hinaus, angetrieben nur noch von der Entschlossenheit, nicht zu fallen, solange sie noch gebraucht wurden. Beide bluteten stark aus einem Dutzend übler Wunden, und ihren Schlägen mangelte es zunehmend an Kraft. Owen sah sich um.
Fast alle Leprakranken waren inzwischen in der Zentrale. Jemand schrie ihm zu, sich auch dorthin zurückzuziehen, damit die Türen geschlossen und verriegelt werden konnten. Owen überlegte. Die Zeit schien langsamer zu werden, so daß er alle Zeit der Welt hatte, um seine Entscheidung zu treffen. Er blickte nach links, sah Bonnie und Mitternacht Rücken an Rücken kämpfen, die Gesichter schlaff vor Schmerz und Erschöpfung, umzingelt von Grendels. Sie konnten es unmöglich rechtzeitig in die Halle schaffen. Und diese bot ohnehin nicht viel Schutz.
Die Außenpalisade der Mission war viel robuster gewesen und hatte die Grendels nicht mal abgebremst. Er blickte nach rechts und sah Hazel, die immer noch kämpfte und vom eigenen Blut tropfte. Nein, entschied Owen. Er würde sich nicht umwenden und flüchten. Er seufzte bedauernd. Zeit, die letzte Trumpfkarte auszuspielen und zu hoffen, daß sie stach.
»Schließt die Tür!« schrie er.
Und er wandte sich wieder dem Feind zu. Er tastete mit den Gedanken in sich hinein, tief ins Unterbewußtsein, und zapfte die dort liegende Kraft an. Er warf den Kopf zurück und heulte den alten Schlachtruf seines Clans – Shandrakor! Shandrakor!
–, und all seine Wut und Frustration und die Notwendigkeit, die Leprakranken der Mission zu verteidigen, stiegen brüllend aus ihm auf und platzten in die materielle Welt hinaus, wo sie die Luft aufrührten wie die Schwingen eines riesigen und machtvollen Vogels. Die Grendels spürten, daß sich etwas Neues in der Schlacht ergab, und sahen sich verwirrt um. Die Erde bebte unter ihren Füßen und warf sie aus dem Gleichgewicht. Ein mächtiger Wind fegte über die Reste des Freigeländes und zerstreute die Grendels wie Blätter in einem Wirbelsturm. Owen sah sich um, lächelte kurz, und entfesselte seinen ganzen Zorn auf diese Kreaturen.
Die ihm nächststehenden Grendels explodierten förmlich.
Owen trat schwankend vor, die Augen weit aufgerissen, ohne zu blinzeln, und seine Wut hämmerte im Rhythmus des eigenen Herzens auf die Luft ein. Sein Gesicht war grimmig und unnachgiebig. Er hatte sich der eigenen Macht ausgeliefert wie nie zuvor. Er drehte den Kopf, und wohin er blickte, starben die Grendels. Er trat auf den Boden, und Erdstöße rissen den kraterübersäten Boden des Geländes auf. Der Todtsteltzer hatte seine Wut freigesetzt, und die Grendels vermochten ihr nicht standzuhalten. Sie explodierten oder wurden fortgeweht, und keiner kam Owen nahe genug, um ihn zu berühren. Dabei wußte Owen, daß die eigene Kraft ihn umbrachte. Er spürte, wie in ihm Dinge zerbrachen. Er wußte, daß er die Kraft hätte abschalten sollen, solange er noch dazu fähig war, weil sterbliche Menschen nicht dazu gedacht waren, so hell zu brennen. Aber er brachte es nicht über sich, nicht, solange die Unschuldigen ihn brauchten. Also ging er langsam weiter, tötete Grendels, starb mit jedem Schritt innerlich ein Stück mehr, brachte sich selbst ebenso um wie den Feind.