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Und wenn sie manchmal einfach nur die Hände auf einen hoffnungslosen Fall legte und ein Gebet flüsterte, wer konnte ihr daraus einen Vorwurf machen? Besonders, wo so viele überlebt hatten.

Owen Todtsteltzer erwachte auf der Krankenstation und stellte erstaunt fest, daß er noch lebte. Bonnie und Mitternacht lagen in Betten rechts und links von ihm, und Hazel setzte sich nacheinander zu ihren Gefährten. Die Verbindung mit dem Roten Hirn und dessen enorme geistige Stärke hatten sie gerettet, sie ein weiteres Mal vom Abgrund des Todes zurückgeholt.

Noch waren sie schwach wie halb ertrunkene Kätzchen, aber die Kraft kehrte allmählich zurück. Was nur gut war. Hazel meinte es gut, war jedoch als Krankenschwester verdammt nutzlos. Sie hatte einfach nicht das richtige Temperament dafür. Alle beschwerten sich reichlich und gingen der Umwelt kräftig auf die Nerven, und am Abend erklärte Schwester Marion, es ginge ihnen wieder recht gut, und würden sie ihr bitte den Gefallen tun und wie der Teufel aus ihrer Krankenstation verschwinden, damit die übrigen Patienten ein bißchen Ruhe erhielten?

Der Regen trommelte nach wie vor laut auf das Holzdach.

Owen und Hazel spazierten langsam über das unebene Gelände. Die Leichen waren verschwunden, aber es sah immer noch fürchterlich aus. Owen und Hazel stützten sich abwechselnd, denn ihrer beider innere Kraft hatte einen historischen Tiefpunkt erreichte. Für den Moment waren sie wieder normale Menschen, und sie machten das Beste daraus. Wo sie auch erschienen, verneigten sich die Leprakranken und grüßten sie und riefen ihre Namen wie Gebete oder Kirchenlieder. Owen und Hazel lächelten unbehaglich und stellten fest, daß die Leprakranken trotz aller Hingabe auf vorsichtige Distanz hielten.

Lebende Legenden waren eine Sache, lebende Götter schon eine ganz andere.

Tobias Mond gesellte sich zu ihnen. Seine Augen leuchteten nicht mehr, und in der Stimme klang nur noch ein ansatzweises Summen mit. Er ließ diese Dinge hinter sich, während das Labyrinth des Wahnsinns weiter Veränderungen in ihm herbeiführte. Er strahlte eine neue Gelassenheit aus, einen geistigen Frieden, als wären ihm viele Dinge endlich klar geworden.

»Ich begleite Euch nicht, wenn Ihr geht«, sagte er gelassen.

»Ich bleibe. Die Menschen hier brauchen viel Hilfe, um die Mission und ihr Leben wieder aufzubauen, und ich denke, ich kann ihnen dabei helfen. Bis die Esper lernen, wie sie den Kontakt mit dem Roten Hirn herstellen können, besorge ich das an ihrer Stelle.« Er schüttelte langsam den Kopf. »Das war die faszinierendste Erfahrung meines Lebens. Das Rote Hirn war so lange allein, genau wie ich, war das einzige seiner Art. Und die Leprakranken… Vielleicht war das ganze Sterben nötig, damit ich die Bedeutung und den Wert des Lebens zu würdigen lernte. Jedenfalls bleibe ich. Um die Leprakranken zu beschützen und dem Dschungel als Stimme zu dienen.«

»Ich hätte Euch mir nie als Gärtner vorgestellt, Mond«, sagte Owen trocken, und Mond lachte höflich. Am Humor arbeitete er noch.

Owen und Hazel gingen weiter. Bonnie und Mitternacht überwachten die Reparaturen am anderen Ende des Geländes, aber sie winkten ihnen grüßend zu. Owen und Hazel winkten zurück. Alles war friedvoll und heiter, wie die Ruhe nach einem Sturm.

»Nun«, sagte Owen schließlich, »wir haben wieder mal gesiegt.«

»Jawohl«, bekräftigte Hazel. »Auch wenn wir verdammt kurz vor einer Niederlage standen. Hätte Mond nicht in letzter Minute seine Einsicht gehabt, dann hätte es für uns tödlich enden können. Ich dachte wirklich schon, ich hätte dich verloren.«

»Eine heilsame Ermahnung, daß auch wir Grenzen haben«, sagte Owen. »Daß wir trotz allem, wozu wir fähig sind, durch menschliche Beschränkungen bestimmt werden. Auf eine seltsame Art finde ich das tröstlich – daß wir trotz all unserer Kräfte und Fähigkeiten immer noch Menschen sind.«

Hazel schniefte laut. »Ich finde es überhaupt nicht tröstlich, beinahe gestorben zu sein, verdammt! Und hoffen wir, daß der Dschungel keine Grendels übersehen hat. In meiner gegenwärtigen Verfassung könnte ich nicht mal einem Baby die Schokolade wegnehmen. Und das war immer einer meiner besten Tricks.«

»Unsere Kraft wird letztlich zurückkehren«, behauptete Owen. »Das ist sie bislang immer.« Er blieb stehen und sah sich um, für einen Moment in Erinnerungen versunken. »So viele sind hier gestorben. Ich wünschte, wir hätten mehr Menschen retten können.«

»Wilhelm Hand und Otto«, sagte Hazel. »Schwester Kathleen. Sie hatten nicht unsere Kräfte und haben doch ebensoviel geleistet, um die Station zu retten. Sie waren hier die wirklichen Helden.«

»Natürlich«, bekräftigte Owen. »Alle waren Helden, die Lebenden und die Gefallenen. So, falls Ihr mich entschuldigen wollt, ich habe eine Verabredung in der Kommunikationszentrale. Dort versuchen sie, ein Schiff herbeizurufen, damit wir den Planeten verlassen können. Lachrymae Christi ist jetzt vielleicht in Sicherheit, aber der Rest des Imperiums steckt nach wie vor in ernsten Schwierigkeiten.«

»Das ist mal wieder typisch für dich, Todtsteltzer«, sagte Hazel. »Du bist kaum darüber hinweg, zweimal fast umgekommen zu sein, da redest du schon wieder darüber, in die Schlacht zu stürmen. Haben wir nicht das Recht auf ein bißchen Urlaub?«

»Doch«, versetzte Owen. »Sobald der Krieg vorüber ist.«

»Die Kriege gehen nie vorüber«, entgegnete Hazel. »Nicht für uns.«

Owen legte ihr die Hände auf die Schultern und küßte sie.

»Ihr würdet Euch innerhalb einer Woche langweilen, und Ihr wißt das.«

»Vielleicht. Ich dachte wirklich, ich hätte dich verloren, Owen. Tu sowas nie wieder!«

»Nie wieder«, sagte er. »Wir sind ein Team. Nichts wird uns jemals trennen.«

»Versprich mir, daß wir immer zusammen sein werden. Für alle Zeit.«

»Für immer und ewig. Selbst der Tod kann uns nicht mehr trennen.«

Er küßte sie erneut und entfernte sich Richtung Kommunikationszentrale. Hazel blickte ihm eine Zeitlang nach, drehte sich dann um und blickte übers Gelände hinweg. Leute waren dabei, die Risse und Krater im Boden langsam wieder aufzufüllen. Die Palisade wurde wieder aufgerichtet, Abschnitt für Abschnitt. Die Schlacht war vorüber, und das Leben ging weiter.

Hazel fühlte sich merkwürdig ausgeschlossen. Vielleicht hatte Owen recht und war alles, worauf sie beide sieh verstanden, der Weg des Kriegers.

Und da rief jemand ihren Namen, mit einer vertrauten, aber heiseren und schmerzerfüllten Stimme. Sie drehte sich um, und da stand Owen, lehnte sich an die Wand einer Hütte. Er sah fürchterlich aus, todmüde, das Gesicht abgezehrt, die Kleider fleckig und blutig. Hazel brauchte einen Augenblick, um zu erkennen, daß er nicht die grauen Sachen der Leprakranken trug. Es waren dieselben Sachen, die er angehabt hatte, als er auf Virimonde aus dem Nichts heraus erschienen war, um sie zu retten. Er sah sie mit einem Ausdruck des Verlustes und der Sehnsucht an, und er streckte eine Hand nach ihr aus, als versuchte er, sie vor etwas zu warnen. Sie traf Anstalten, auf ihn zuzugehen, und plötzlich erschien ein Ausdruck des Entsetzens in seinem Gesicht. Sie tat einen weiteren Schritt auf ihn zu, und ein silbern schimmerndes Energiefeld bildete sich rings um sie herum und hielt sie an Ort und Stelle fest. Sie schlug mit den Fäusten darauf ein, und es zischte und entlud sich lautstark in den aufgewühlten Erdboden hinein, wurde aber nicht schwächer. Und Hazel hatte nicht die Kraft übrig, es zu durchbrechen. Sie rief nach Owen, bat ihn um Hilfe, aber er war verschwunden.

Owen Todtsteltzer kam aus der Kommunikationszentrale gerannt. Er hatte sogar aus dieser Entfernung gehört, wie Hazel seinen Namen rief. Er sah, wie sie in dem schimmernden Energiefeld gefangen war, und erkannte es sofort. Die Blutläufer aus dem Obeah- System hatten es schon einmal in dem Versuch benutzt, Hazel zu entführen. Sie behaupteten, Hazel schuldete ihnen ihren Körper, damit sie Experimente daran ausführen konnten eine Schuld gegenüber ihrem Kapitän, die sie in ihrer Zeit als Klonpascherin erworben hätte. Owen rettete sie damals, indem er das Energiefeld durchbrach, aber jetzt hatte er nicht die Kraft dafür.