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»Warum gehen wir eigentlich zu Fuß?« fragte Hazel plötzlich. »Ich habe dafür gesorgt, daß man Gravschlitten an Bord brachte, ehe wir gestartet sind.«

»Schlitten würden auf den Ortungsgeräten der Burg erscheinen«, erläuterte Owen geduldig. »Wir selbst haben uns allerdings als für die meisten Abtaster unsichtbar erwiesen, seit wir das Labyrinth durchquerten. Eine weitere nützliche Nebenwirkung, die niemand erklären kann. Also gehen wir zu Fuß und schlüpfen hoffentlich unbemerkt durch Valentins Abwehrsysteme.«

»Ich hasse es zu laufen«, sagte Hazel finster. »Dabei tut mir immer der Rücken weh. Hätte Gott gewollt, daß wir zu Fuß gehen, hätte er uns nicht die Antischwerkraft geschenkt.«

»Genießt die Landschaft«, schlug Owen vor.

»Haha! Als ich letztesmal sowas durchquert habe, hatten alle Feldtoiletten gleichzeitig versagt.«

»Laufen soll sehr gesund sein.«

»Das gilt genauso für die richtige Ernährung und für Enthaltsamkeit, und ich hasse das auch. Ich möchte dich warnen, Todtsteltzer: Ich sollte auf deiner Burg lieber Gelegenheit finden, eine Menge Leute umzubringen, oder es gibt Ärger!«

»Oh, ich denke, das kann ich garantieren«, sagte Owen.

»Wenn Ihr Euch einer Sache sicher sein könnt, dann, daß wir keinerlei Freunde auf der Todtsteltzer-Festung haben.«

Die Todtsteltzer-Burg war eine große steinerne Feste auf einer Bergspitze. Das blaßgraue Gestein war hier und da von Schäden und Brandflecken durch Energiewaffen gezeichnet. Sie rührten von der Belagerung durch das Imperium her, als dieses den Lord David Todtsteltzer gefangennehmen wollte. Jetzt erduldete das Anwesen die Besetzung durch Lord Valentin Wolf und seine Kumpane. Der Wolf war mit ganz persönlichen Zielen nach Virimonde gekommen, und die anderen waren ihm gefolgt, weil ihnen keine Wahl blieb. Der Wolf bot ihnen die einzige Hoffnung darauf, die Rebellion zu besiegen und sie selbst wieder an die Macht zu bringen. Sie verlangten nicht nach dem geringeren Glanz, wie ihn Handel und Einflußpolitik boten. Sie wollten Herren und Meister sein und konnten nicht anders.

Sie waren auch deshalb hier, weil Valentin ihr Leben in der Hand hatte, obwohl sie bemüht waren, nicht daran zu denken, solange sie sich nicht genötigt sahen. Nichts anderes jedoch hätte derartige aristokratische Machtmenschen dazu bewegen können, sich so eng mit dem berüchtigten Valentin Wolf zu verbünden. Er war wahnsinnig, böse und eine gefährliche Bekanntschaft, aber er verfügte über etwas – über eine Waffe von potentiell solcher Macht, daß sie nicht riskieren konnten, sie zu verlieren. Also schlossen sie sich mit dem verachteten Wolf zusammen und verwetteten ihr Leben darauf, daß es ihnen irgendwann einmal gelingen würde, ihn auszumanövrieren. Was zeigte, wie verzweifelt sie waren.

Valentin saß ungezwungen auf dem Stuhl des Lords im großen Speisesaal dessen, was einmal die Todtsteltzer-Burg gewesen war, und verfolgte tolerant mit, wie seine Spießgesellen alles zerstörten. Sie waren zum Teil betrunken, hatten zu viele Flaschen Wein zu einer guten Mahlzeit genossen, und sie lachten jetzt, während sie mit Lebensmitteln um sich warfen und Möbel umstürzten. Lord Silvestri warf mit seinen Messern nach den Familienportraits an den Wänden, auf denen man die Todtsteltzers aller Zeiten erblickte. Er zielte auf die Augen und traf meistens. Lord Romanow hatte einen kostbaren Wandbehang heruntergerissen und trug ihn als Schal, während er Brandy aus der Flasche trank. Lord Kartakis stampfte auf dem Tisch hin und her, bewegt von der kühnen Überzeugung, er tanzte im Takt des zotigen Liedes, das er voll Trotz falsch sang. Valentin lächelte auf sie herab wie auf unartige Kinder und gönnte ihnen ihren Spaß. Sie hatten sonst nicht viel zu tun und waren schon lange in der Burg zusammengepfercht. Und Valentin sah es so gern, wie den kostbaren Habseligkeiten des Todtsteltzers Gewalt angetan wurde, wie er den Mann selbst eines Tages vernichten würde.

Valentin Wolf saß auf einem Stuhl, der viel zu groß für ihn war; er hatte eines seiner langen Beine über der Armlehne hängen und den anderen Fuß auf dem Tisch liegen. Wie immer trug er Schwarz; das blasse weiße Gesicht war von den langen dunklen Locken des geölten und parfümierten Haares umrahmt, der Mund ein scharlachroter Spalt, die Augen schwer von Wimperntusche. So vermittelte er das Abbild genau des absoluten Schurken, der zu sein er sich bemühte. Und die Drogen, die herrlichen Drogen randalierten in seinem Körper, wie sie es immer getan hatten. Von Valentin hieß es wahrheitsgemäß, daß er noch nie auf eine Chemikalie gestoßen war, die er nicht mochte, und wenn man etwas rauchen, schlucken, injizieren oder sich dort hinstecken konnte, wo die Sonne nicht schien, tauchte Valentin gleich an vorderster Front auf, bereit, es einmal zu probieren. Er betrachtete den eigenen chemisch verstärkten Verstand als Kunstwerk und bemühte sich, es ständig zu verbessern. Der absolute Rausch wartete nach wie vor irgendwo auf ihn, und Valentin suchte unablässig danach.

Zu diesem Zweck hatte er auch die seltene und augenblicklich suchterzeugende Esperdroge eingenommen, wohl wissend, daß sie einen kleinen, aber bedeutsamen Teil aller Menschen umbrachte, die sie zu sich nahmen. Valentin überlebte natürlich. Wahrscheinlich deshalb, weil man seine radikal veränderte Körperchemie durch nichts anderes mehr beeinträchtigen konnte als durch rauchende Salpetersäure. Die Esperdroge verlieh ihm geringfügige telepathische Fähigkeiten sowie die völlige Beherrschung des autonomen Nervensystems, und seine Gedanken folgten nun fremden und unvertrauten Pfaden. Er nahm eine Droge nach der anderen und wahrte durch schiere Willenskraft ein komplexes Gleichgewicht. Valentin betrachtete sich als ersten Vertreter einer neuen Art Menschen, wie die Hadenmänner eine waren – einen alchemistischen Schritt nach vorn auf der Evolutionsleiter, oder vielleicht zur Seite.

Er sah zu, wie Carlos Silvestri ein ums anderemal die Messer warf und dabei großen Männern die Augen ausstach, nur weil er es tun konnte, um allen zu beweisen, daß er den mächtigen Owen Todtsteltzer nicht fürchtete. Silvestri war groß und dünn, bestand ganz aus langen Gliedern und unerwarteten Winkeln.

Er kleidete sich in Rotschattierungen, die traditionellen Farben seines Clans. Es paßte nicht zu ihm. Das Gesicht war rund und geschwollen, als hätte es sich noch nicht entschieden, wie es einmal werden wollte, obwohl der Mann mindestens vierzig war. Er trug den Schädel kahlrasiert und rupfte sich die übrigen Haare aus. Er konnte gut mit dem Messer und noch besser mit dem Schwert umgehen. Er hätte sich als großer Schwertkämpfer und Duellant erweisen können, hätte er nur den Mut seiner Überzeugungen aufgebracht. Der Silvestri war jedoch seit eh und je ein ausgesprochen vorsichtiger Mann, der lieber von den Seitenlinien aus zusah und durch seine Untergebenen handelte und sich nie, niemals selbst die Hände schmutzig machte. Er hatte Finlay Feldglöck niemals die Ermordung seines guten Freundes William Saint John vergeben und viel Zeit und Geld in Pläne investiert, die Feldglöck ums Leben bringen sollten, aber mit nichts davon Erfolg gehabt. Nachdem Finlay wieder ein mächtiger und bedeutender Mann geworden war und der Silvestri seine Macht durch Ohnesorgs Abkommen und das Auftauchen des Schwarzen Blocks drastisch reduziert sah, war Carlos gezwungen, sich an Valentin zu wenden, seinen einzigen möglichen Retter. Und falls sich das ganz anders entwickelt hatte, als vom Silvestri ursprünglich geplant, legte er nur noch ein bißchen mehr Emphase in den Wurf seiner Messer.