Das Haus war ein großes, massives Steingebäude mit einem strohgedeckten Dach und primitiven Wasserspeiern, und es war so alt, daß niemand in der Familie sich daran erinnerte, wann es eigentlich gebaut worden war. Tobias wußte, ohne nachzu-fragen, daß dies genau die Sorte Haus war, die nur eine Außen-toilette besaß. Er lächelte bei der Besichtigung des Hauses und verteilte höflich Komplimente, während er bei sich dachte, daß es höllisch heruntergekommen aussah.
Die umgebende Landschaft war auch nicht das, was Tobias sich erhofft hatte: hauptsächlich Moorland mit weißer und roter Erika; Weideland für die zahllosen Tiere zwischen dem Haus und dem Horizont. Es sah eigentlich ganz idyllisch aus, aber entschieden zu rauh. Jedenfalls war es absolut nicht die Sorte Gegend, wo man sich zum Sonnenbaden hinbegab. Tobias seufzte innerlich und lauschte den Ausführungen seiner Gastgeber. Adrian Daker, das Familienoberhaupt, war ein kleiner stämmiger Bursche mit kurzgeschnittenem, grauem Haar, der ununterbrochen freundlich grinste und eine Tonpfeife im Mundwinkel hängen hatte. Seine Stimme klang nur wenig rauchig, und sein Gesicht sah völlig normal aus: alles am richtigen Platz. Adrians Frau Diana war ein großes fettes Weibsbild mit roten Wangen, Sommersprossen und leuchtendroten Haaren.
Sie sprühte nur so vor Leben und Freundlichkeit und munterte Tobias mit dem Versprechen auf, ihm so viel derbe Haus-mannskost aufzutischen, wie er nur essen konnte.
Als Tobias und Flynn sich endlich so weit erholt hatten, daß sie wieder stehen konnten, ohne vor Schmerz zusammenzuzuk-ken, führten die Dakers sie in die Küche ihres Hauses und hießen sie am großen Tisch Platz zu nehmen. Anschließend wu-selten die beiden geschäftig umher und bereiteten ein warmes Essen vor. Adrian deckte den massiven hölzernen Tisch mit einer blendend weißen Decke und legte dann das schüchtern aus, was offensichtlich das beste Geschirr und Besteck der Dakers war. Diana schwebte über ihrem gußeisernen Herd wie eine Glucke, hob Topfdeckel und kostete den Inhalt von Töpfen und Pfannen und wollte nicht aufhören, Tobias und Flynn zu versichern, daß sie nur allzu gerne schon bei ihrer Ankunft eine warme Mahlzeit bereitgehalten hätte, wenn nur der Untergrund nicht so vage gewesen wäre, was ihre genaue Ankunfts-zeit betraf. Tobias verstand nur zu gut, was sie meinte. Der Rat der Rebellen hatte ihn bisher nicht gerade durch Effizienz beeindruckt.
Er lehnte sich zurück und blickte sich gutgelaunt in der Küche um. Der Raum war klein, ohne beengt zu wirken, und es war behaglich warm und gemütlich. Die Regale an den Wänden drohten, unter einer Sammlung von Nippes zusammenzubrechen, offensichtlich handgearbeitete Stücke, von denen einige erstaunlich freizügig und vulgär wirkten. Adrian brachte eine Steinflasche mit dunklem Apfelwein zum Vorschein und schenkte großzügig in Porzellanbecher aus, die wie dicke alte Männer geformt waren. Er erklärte den beiden Nachrichtenleuten, daß diese Becher Tobybecher genannt würden, und sie alle lachten, obwohl Tobias den Witz nicht verstanden hatte.
Mehrere Haustiere teilten die Küche mit den Menschen, anscheinend durch Gewohnheitsrecht und Brauch. Tobias zählte drei Hunde mit grausilbernen Mäulern, die zu alt waren, um noch Schafe zu hüten, ein halbes Dutzend Katzen verschieden stark ausgeprägter Arroganz und ein paar dumme Hühner, die umherwanderten und ständig gegen irgendwelche Dinge stießen. Die Hühner zeigten ein außergewöhnliches Interesse an Tobias’ und Flynns Knöcheln und pickten neugierig daran herum, bis Diana ihre Arbeit unterbrach und das Federvieh ver-scheuchte.
Die Hunde schnüffelten ob des Essensgeruchs hoffnungsvoll in der Luft; aber sie waren zu gut erzogen, um aufdringlich zu werden. Einer ging zu Tobias und setzte sich vor dem Nachrichtenmann hin, und legte den Kopf in Tobias’ Schoß, um sich kraulen zu lassen. Tobias streichelte ihn vorsichtig. Er hatte nicht viel Erfahrung mit Tieren, und schon gar nicht aus so großer Nähe. Doch der Hundeschwanz wedelte glücklich über den Steinfußboden; also schien Tobias alles richtig zu machen.
Genaugenommen machte es ihm sogar mächtig Spaß. Flynn hatte die Herzen der Katzen erobert. Zwei von ihnen drängten sich in seinen Schoß, während eine dritte auf seiner Schulter saß und neugierig in die Runde spähte. Flynn erzählte ihnen fröhlichen Unsinn, und die Katzen antworteten mit glücklichem Schnurren. Was Tobias verunsicherte war die Tatsache , daß die verdammten Biester tatsächlich zuzuhören schienen.
Schließlich war das Essen fertig; eine einfache Mahlzeit, aber reichlich und kochend heiß obendrein. Tobias hielt es für das beste Essen, das er je gekostet hatte, und als er das laut sagte, wurde sein Teller erneut bis zum Rand gefüllt. Auch die zweite Portion war in Rekordzeit verschlungen, und Tobias dachte bereits ernsthaft über die Möglichkeit einer weiteren Portion nach, als das Dessert eintraf: Eine gewaltige Mousse au Choco-lat mit cremiger Vanillesauce. Tobias glaubte, im Himmel zu sein. Nach einer Weile hatte er einen Punkt erreicht, wo selbst mit aller Macht nichts mehr in ihn hineinging. Er ließ sich zu-rücksinken, lockerte seinen Gürtel und seufzte glückselig. Diese Mission versprach großartig zu werden. Adrian Daker grinste ihn freundlich an.
»Als ich Euch zum ersten Mal sah, wußte ich gleich, daß Ihr gerne und gut eßt. Keine Angst, mein Sohn; die Frau wird Euch gutes und gesundes Essen auftischen, soviel Ihr wollt, während Ihr unsere Gäste seid. Sie mag es, wenn man ihre Küche zu schätzen weiß.«
»Ganz ausgezeichnet«, sagte Flynn unter seinen Katzen. Er hatte einen Teller von allem gegessen und war rundum satt und zufrieden.
»Und das ist nur ein Teil von dem, was wir verlieren werden, wenn die Mechanisierung so weitergeht«, sagte Adrian ernst.
»Dieses Leben und einfaches Essen und einfache Freuden, die uns nicht weniger wichtig sind. Wenn die Gerüchte zutreffen, steht hier alles vor dem Ende. Ich hoffe nur, das Ihr das in Eurem Bericht deutlich macht.«
»Es wird mir eine Freude sein«, erwiderte Tobias. »Ich schätze, wir fangen mit ein paar Einstellungen von Euch und Eurer Familie an, die zeigen, wie alle auf der Farm arbeiten.
Wie viele Mitglieder hat Eure Familie?«
»Sieben Söhne und drei Töchter«, antwortete Diana fröhlich.
»Gute starke Söhne und hübsche Töchter. Die Jungen sind noch draußen bei der Arbeit; Ihr werdet sie später kennenlernen . Liz und Meg arbeiten in der Stadt; sie kommen morgen vorbei und sagen Guten Tag. Beide sind sehr hübsche Mädels, wenn ich das sagen darf. Sie könnten schon längst verheiratet sein, aber sie sind sehr wählerisch. Ich nehme nicht an, daß einer von Euch beiden Herren…?«
»Laß sie in Ruhe, Mutter«, unterbrach sie Adrian mit Lach-fältchen um die Augen. »Das ist nicht der Grund, warum sie hergekommen sind. Wir haben noch eine dritte Tochter, Alice; aber ich glaube nicht, daß Ihr viel von ihr zu sehen bekommen werdet. Sie ist mit dem jungen Todtsteltzer zusammen und verbringt den größten Teil ihrer Zeit in seiner Gesellschaft.«
»Wie ist er?« fragte Tobias. »Er gehört zu den Leuten, über die wir berichten sollen.«
Adrian zuckte die Schultern und stopfte sich seine Pfeife mit einem dunklen, aromatischen Tabak. »Er scheint harmlos zu sein. Reich, gutaussehend und zum Glück größtenteils nicht daran interessiert, sich in unser Leben einzumischen. Wahrscheinlich das Beste, was uns passieren konnte. Außerdem sind wir ein wenig stolz darauf, daß er sich mit unserer Alice einge-lassen hat.«
»Das interessiert die Herren bestimmt nicht, Vater«, sagte Diana. Sie beugte sich in ihrem Stuhl vor und legte die schweren Arme auf den alten Holztisch. »Sie wollen wissen, wie weit wir mit unserer Demokratie gekommen sind, nicht wahr? Das ist es, was die Untergrundbewegung von Golgatha wirklich interessiert, oder? Das dachte ich mir. Wir fingen damit an, als Owen noch der Todtsteltzer war. Wir wollten herausfinden, wie weit wir gehen konnten. Owen kümmerte es nicht. Er war damals noch anders. Zufrieden mit seiner Mätresse und seinen Studien, und er wollte nicht von uns belästigt werden. Der Steward war schon immer gegen uns; aber ohne Rückendek-kung durch Owen konnte er nichts unternehmen. Wir fingen klein an und fügten einen kleinen Sieg zum andern, bis wir dort anlangten, wo wir heute stehen. Inzwischen halten wir regelmäßig Wahlen für die Stadtverwaltung ab, und die meisten Entscheidungen über Ackerbau und Viehzucht werden regional gefällt. Wir alle haben gutes Geld verdient, seit wir selbst mit den großen Transportunternehmen verhandeln dürfen. Wir führen heute unser eigenes Leben, soweit das im Imperium überhaupt möglich ist. Der Steward ist ganz und gar nicht glücklich darüber; aber David Todtsteltzer hat uns sogar darin ermutigt.