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»Ich wußte nicht, daß Ihr dazu imstande seid.«

»Offenbar wißt Ihr nur sehr wenig über mich«, entgegnete Johana. »Und jetzt bringt mir einen der Verantwortlichen her, mit dem ich reden kann, oder ich verwandle diese Halle in einen Dschungel.«

»Sie haben uns gewarnt, daß Ihr Schwierigkeiten machen würdet«, entgegnete der Butler oder was zur Hölle er war.

»Wenn es Euch nichts ausmacht, kurz im Lesezimmer zu warten? Man wird sich Eurer annehmen, so schnell es geht.«

»Und zwar sehr schnell«, entgegnete Johana.

»Das würde mich nicht weiter überraschen. Und zu Eurer Information, ich bin der Kanzler dieser Loge, und kein verdammter Butler. Hier ist das Lesezimmer. Bitte bemüht Euch, kein Mobiliar zu zerbrechen und kein Feuer anzuzünden. Einige dieser Bücher hier sind sehr alt und für uns sehr viel mehr wert als Eure geschätzte Person.«

»Das glaubt auch nur Ihr«, sagte Johana. »Und jetzt setzt Euch bitte in Bewegung, Kanzler. Laßt mich nicht zu lange warten, sonst komme ich womöglich noch auf komische Gedanken.«

»Daran zweifele ich keine Sekunde«, sagte der Kanzler und geleitete Johana ins Lesezimmer. Es war ein großer, hell erleuchteter Raum mit breiten, bequemen Sesseln, glänzenden getäfelten, Wänden und einem einladenden, gemütlich prasselnden Feuer im Kamin. Der gesamte Raum verbreitete eine ruhige, entspannte Atmosphäre, der Johana auch nicht einen Augenblick lang traute. Wahrscheinlich wollte man damit lediglich ihre Wachsamkeit ablenken. Unauffällig sondierte sie die umliegenden Räume und stellte zu ihrer nicht gelinden Überraschung fest, daß ihr mächtiges ESP harmlos von massiven psionischen Schilden abprallte.

»Bitte unterlaßt das«, ermahnte sie der Kanzler. »Es gibt viele private Plätze in unserer Loge, und alle sind mental abge-schirmt, um die sensibleren unserer Leute vor dem Lärm der Welt draußen zu schützen. Hin und wieder dienen sie aber auch dem umgekehrten Zweck: nämlich die Welt draußen vor dem einen oder anderen von uns zu schützen. Ich rate Euch mit aller gebotenen Dringlichkeit: Respektiert ihre Privatsphäre. Um Eurer selbst willen, wenn schon nicht um der anderen.«

Der Kanzler wußte, wann es angebracht war, den Vortrag zu beenden, und so verbeugte er sich knapp und ließ Johana allein im Lesezimmer zurück. Er zog die Tür hinter sich ins Schloß, und Johana wartete auf das Geräusch eines sich drehenden Schlüssels… doch es kam nicht. Vermutlich glaubte die Espervereinigung, daß ihr andere Wege zur Verfügung stünden, um Johana aufzuhalten, falls sie irgend etwas unternehmen sollte. Diese Dummköpfe. Johana schnaufte wütend und warf sich in den Sessel, der am gemütlichsten aussah. Sie hatte die Hölle des Wurmwächters überlebt, und nun gab es nicht mehr viel, wovor sie sich fürchtete. Sie starrte finster um sich.

Bei näherer Betrachtung entpuppte sich das Lesezimmer als ein ausgesprochen trister Ort. Es besaß weder Stil, noch wirkte es anheimelnd. Wahrscheinlich war es für die Esper eine Art

›neutraler Boden‹, wo sie sich mit den Menschen aus der Welt draußen treffen konnten.

Johana versank mürrisch in der Behaglichkeit ihres Sessels und versuchte, sich zu entspannen . Mut und Leidenschaft und ein Gefühl der Vorsehung hatten sie hierhergeführt; doch nicht zum ersten Mal im Verlauf der Reise wußte sie nicht genau, wie es weitergehen sollte. Alles hing davon ab, wie ernst sie von der Espervereinigung von Nebelwelt genommen werden würde. Sie war nicht mehr daran gewöhnt, mit Menschen umzugehen, die nicht durch ihre bloße Gegenwart in Ehrfurcht versanken, oder die zumindest von ihr beeindruckt waren oder zumindest von dem, was aus Johana Wahn geworden war. Andererseits befanden sich in diesem Haus die stärksten Esper auf einem Planeten, wo es vor Begabten nur so wimmelte. Sie würden nicht leicht zu beeindrucken sein, und Johana durfte sie auch nicht so einfach bedrohen. Der Untergrund brauchte die volle Unterstützung und Anerkennung durch die Nebelwelt.

Vielleicht würde es auch gar nicht funktionieren. Mißgelaunt verzog Johana das Gesicht. Wenn du Zweifel hast, halte dich an den Plan. Der Untergrund hatte einige Zeit damit verbracht, ihr die richtigen Worte und Phrasen einzubleuen . Inzwischen konnte Johana sie im Schlaf rezitieren, und außerdem glaubte sie auch leidenschaftlich an die Argumente.

Aber trotzdem: Diese Leute hier sollten besser lernen, ihr ein wenig mehr Respekt entgegenzubringen. Sie war von der Weltenmutter berührt worden, und sie war nicht mehr die einfache Johana Wahn. Sie war viel mehr.

Johana konzentrierte sich. Ihr Bewußtsein verteilte sich und durchdrang mit Leichtigkeit die mentalen Schilde, die sie um-gaben. Augenblicklich erfüllte Stimmengewirr ihren Verstand, rauh und ohrenbetäubend, und Visionen rasten an ihrem geistigen Auge vorüber, zu schnell, um ihnen zu folgen. Johana wurde schwindlig. Sie umklammerte die Armlehnen ihres Sessels, um sich aufrechtzuhalten . So viele Geister, und alle arbeiteten sie auf Hochtouren. Vergangene Geschehnisse und zu-künftige Möglichkeiten vermischten sich, bis Johana sie kaum noch voneinander unterscheiden konnte. Sie brandeten von allen Seiten heran wie die Wogen der Flut an einen einsamen Felsen vor der Küste, doch Johana blieb unbeweglich und ließ sich weder davonspülen, noch untergraben. Sie konzentrierte sich weiterhin und lauschte in dem ohrenbetäubenden Lärm auf die Informationen, die sie suchte – und langsam erfaßte sie Einzelheiten, wie Schiffe, die geisterhaft aus dem Nebel auftauchen und wieder verschwinden.

Irgend jemand betete und schluchzte dabei so heftig, daß Johana die Worte kaum verstand. Visionen von brennenden Ge-bäuden und Menschen, die schreiend durch die nächtlichen Straßen rannten. Etwas Dunkles und Schreckliches hing über der Nebelwelt, wie eine gigantische Spinne, die genüßlich ihre Beute betrachtete . Johana hörte Schüsse, und das Blut eines Kindes spritzte auf eine Wand . Die Straßen waren überfüllt von Menschen, die wild durcheinanderrannten, während ringsherum die Rammen loderten und der Tod sich von allen Seiten näherte.

In einer Zelle gar nicht weit von Johanas augenblicklichem Standort entfernt hämmerte jemand mit aufgesprungenen blutigen Händen auf gepolsterte Wände ein, und obwohl er stumm war, schrie sein Verstand unablässig schieres Entsetzen hinaus.

Und über allem war ein Name: ein Name, der immer und immer wieder auftauchte, ein Name, der in einem Chor von Stimmen an die Oberfläche drang wie ein Herzschlag, eine Prophezeiung des Untergangs, die unabwendbar näherrückte.

Legion. Die Legion kommt. Legion.

Johana zitterte am ganzen Leib und brach den Kontakt ab.

Sie atmete schwer und kämpfte darum, ihre Sinne wieder unter Kontrolle zu bekommen. Ohne Zweifel hatte sie soeben einen Blick in die Zukunft geworfen. Sie hatte gesehen, wie sich die Straßen Nebelhafens in eine Hölle verwandelten, und sie hatte gesehen, wie Imperiale Truppen das fliehende Volk niedermet-zelten. Sie hatte gesehen, wie die Stadtmauern einstürzten und Gebäude explodierten, und über alledem hatte sie einen nicht enden wollenden Schrei gehört – einen nichtmenschlichen Schrei.

Es konnte in einem Jahr passieren oder vielleicht in einer Woche. Vielleicht hatte es sogar schon angefangen. Johana wußte es nicht. Wie auch? Präkognitive Visionen ließen nie einen Rückschluß auf die Zeit zu.

Johana hob ihre mentalen Schilde, bis sie wieder allein in ihrem Kopf war und sich endlich wieder in Sicherheit fühlte. Sie stöhnte lautlos und rieb sich die schmerzenden Schläfen.