»Schaltet endlich ab!« sagte Stevie Eins. »Bevor sie das Signal zurückverfolgen.«
David schaltete den Schirm aus. Er wußte nicht, was er sagen sollte. Ihm war nie der Gedanke gekommen , daß seine eigenen Leute sich gegen ihn wenden könnten. Sicher, der Steward und er hatten sich bei mehr als einer Gelegenheit gestritten; aber die Familie zu betrügen, die einen von Geburt an ernährt und gekleidet und seinem Leben erst einen Sinn gegeben hatte…
Alles war viel zu schnell gegangen. In der einen Minute war er noch der Mann gewesen, der alles hatte und in der nächsten… nichts mehr, bis auf den Preis, der auf seinen Kopf ausgesetzt worden war.
Genau wie sein Vetter Owen. Vielleicht war der Planet verhext. David verspürte das Bedürfnis zu lachen, ein Gefühl nahe der Hysterie. Plötzlich wurde ihm bewußt, daß Alice zu ihm sprach und an seinem Ärmel zupfte.
»Meine Eltern, David! Ich muß wissen, was mit meinen Eltern ist!«
»Selbstverständlich. Du weißt, wie das Gerät funktioniert.
Ich muß nachdenken. Kit, wenn der Steward im Besitz meiner Notfallkodes ist, dann sind meine geheimen Sicherheitsmaßnahmen nicht mehr den Dreck unter dem Fingernagel wert.
Aber das funktioniert in beide Richtungen. Wenn er sich Zugang zu meinen Kodes verschafft hat, dann habe ich auch Zugang zu seinen.«
»Und was soll uns das nützen?« fragte Kit.
»Ich sollte in der Lage sein, mich in das Kommunikationssystem der Festung einzuschalten, und mit seiner Hilfe haben wir Zugriff auf den Funkverkehr der Imperialen. Wir können alles sehen, was sie auch sehen. Ich muß wissen, was anderswo auf meiner Welt vor sich geht. Ich kann beim besten Willen nicht glauben, daß die Eiserne Hexe die vollständige Eroberung von Virimonde befohlen hat. Die Verluste an Menschenleben wären gewaltig. Wirklich entsetzlich.«
»Seit wann hat die Eiserne Hexe sich von so etwas aufhalten lassen?«
»Kit!« sagte David. »Sie werden sagen, es sei alles meine Schuld! Meine Leute werden sterben, weil ich falsch gehandelt habe!«
»Ich bin mit der Farm verbunden«, sagte Alice plötzlich, und alle drehten sich zum Schirm um. Das Bild war verschwommen und unscharf. Alice beugte sich über die Konsole und fluchte leise, während sie versuchte, das Signal zu verstärken.
Mit einemmal wurde das Bild klar, und Alice wich mit halb erhobener Hand vom Schirm zurück, wie um sich zu schützen.
Sie hatte sich auf einen der externen Sensoren der Farm geschaltet, die das Haupthaus von außen zeigten. Das massive Steingebäude stand unter Beschuß. Das Mauerwerk war übersät mit Löchern von Energiestrahlen, und ein Teil des Dachs war weggesprengt. Der Rest des Strohdachs brannte lichterloh.
Zwei reglose Gestalten lagen auf dem Hof, und ihre toten Hän-de umklammerten die Griffe von Projektilwaffen. Beide waren von Energiewaffen in den Rücken getroffen worden.
Alice schüttelte langsam den Kopf, als könne sie nicht glauben, was ihre Augen sahen. »Das dort ist Sam. Und Matthew.
Meine Brüder. Wo sind die anderen? Wo sind Vater und Mutter?«
David legte ihr tröstend die Hand auf die Schulter, doch Alice spürte es nicht. Die Eingangstür des Farmhauses flog krachend auf, und dichter schwarzer Rauch quoll hervor. Und aus dem Rauch stürzten Diana und Adrian Daker. Sie hielten Projektilwaffen in den Händen und feuerten auf einen unsichtbaren Feind, während sie in Richtung der Scheunen hinter dem Haus rannten. Die Kamera war zu weit entfernt, um ihre Gesichter deutlich zu zeigen; doch ihre Körpersprache verriet kühle Entschlossenheit. Sie waren jedenfalls nicht in Panik.
Rings um die beiden herum zuckten Energiestrahlen durch die Luft und rissen weitere Löcher in die Mauern des Farmhauses; aber die beiden rennenden Dakers waren schwer zu treffen.
Doch dann tauchte plötzlich eine Kompanie Imperialer Marineinfanteristen hinter dem Haus auf und versperrte ihnen den Fluchtweg. Adrian und Diana blieben stehen und warfen gehetzte Blicke in die Runde. Es gab keinen Ausweg mehr. Die Soldaten eröffneten das Feuer. Diana schrie auf, als ihr ein Bein unter dem Leib weggeschossen wurde, und erneut, als ein Energiestrahl durch den Bauch ihres Mannes fuhr und am Rük-ken wieder austrat. Adrian stürzte zu Boden, doch er ließ die Waffe nicht los. Diana wollte zu ihm kriechen, und Adrian streckte die Hand nach ihr aus. Ein weiterer Energiestrahl zerriß sie. Zwei Schüsse trafen Diana und durchtrennten ihren Rumpf in der Mitte. Der Torso rollte davon, und die Beine blieben zuckend liegen. Sie sah zu ihrem toten Ehemann und öffnete den Mund, wie um etwas zu sagen, und dann wich das Leben aus ihr, und sie rührte sich nicht mehr.
Alice gab gurgelnde Geräusche von sich. Ihre weit aufgerissenen Augen starrten wie hypnotisiert auf die toten Eltern. Jenny nahm sie bei den Schultern und drehte sie mit Gewalt vom Schirm weg. Plötzlich schien sämtliche Kraft aus Alice zu weichen, und sie brach schluchzend in Jennys Armen zusammen.
David bedeutete Jenny mit einem Wink, Alice zur Bar zu führen und ihr einen harten Drink auszuschenken. Jenny nickte und schob ihre Freundin sanft zur Theke. Sie murmelte tröstende Worte, doch sie war nicht sicher, ob Alice sie überhaupt hörte. Am Schirm beugte sich David über die Kontrollen und schaltete den Empfänger auf Signale, die zur Festung gingen.
Er ging die einzelnen Übertragungen rasch durch in dem Versuch, eine Vorstellung von dem zu gewinnen, was auf seiner Welt vor sich ging. Erst jetzt begriff er langsam, welches Ausmaß der Überfall auf Virimonde tatsächlich hatte.
David und Kit beobachteten schweigend, wie Imperiale Truppen schreiend durch die Straßen eines einzelnen kleinen Dorfes rannten und auf alles schossen, was sich bewegte.
Plötzlich strömten Dorfbewohner aus ihren kleinen Häusern und warfen sich den Angreifern entgegen. Ihre Bewaffnung war spärlich; nur wenige hatten Schußwaffen, die meisten kämpften mit Schwertern und Äxten und irgendwelchen Stall-werkzeugen. Die Imperialen waren mit Energiewaffen, Kampfrüstungen und Energieschilden ausgerüstet, und trotzdem warfen sich die Männer und Frauen des Dorfes auf den Feind. Das Imperium mußte um jeden Zoll Bodengewinn kämpfen.
Doch die Soldaten waren in der Überzahl und viel besser bewaffnet, und schon bald hatten sie sich einen blutigen Weg durch die Dorfbewohner gebahnt und ließen Tote und Sterbende in den Straßen zurück. Es dauerte nicht lange, und sie schossen die Dorfbewohner fast schneller ab, als sie aus ihren Häusern stürmen konnten. Die nachrückenden Soldaten steckten methodisch alles in Brand und erschossen die Alten und Kinder, wenn diese schreiend flüchten wollten. Bald stand das gesamte Dorf lichterloh in Flammen, und dicker schwarzer Rauch quoll in den frühen Morgenhimmel.
Die Szene wechselte, und eine Stadt ganz in der Nähe erschien auf dem Schirm. Eine kleine Armee Imperialer Marineinfanteristen lief in den gepflasterten Gassen und Straßen Amok. Sie mordeten und brandschatzten und zerstörten jedes potentielle Widerstandsnest. Einheimische Beamte wurden aus ihren Büros auf die Straße gezerrt und an den nächsten Later-nenpfählen aufgeknüpft. Überall wurde geplündert, vergewal-tigt und gemordet. Blut floß in Strömen durch die Rinnsteine, und Männer, Frauen und Kinder flüchteten in Todesangst vor den heranrückenden Streitkräften, vertrieben von einem Feind, der auf den Sieg geradezu versessen war.
David und Kit erkannten die Strategie dahinter. Andere Städ-te und Dörfer sollten eingeschüchtert und dazu gebracht werden, sich ohne jeglichen Widerstand zu ergeben. Das war auch der Grund, warum die Bilder überhaupt durch den Äther geschickt wurden.
Und die Strategie ging auf. Der Bildschirm schaltete von Stadt zu Stadt und zeigte ganze Scharen von Einwohnern, die mit hoch erhobenen Händen wie Schafe aus ihren Häusern hinaus und auf die offenen Felder getrieben wurden. Zu Verhören war später noch Zeit. Wer sich nicht schnell genug bewegte, wurde erschossen. Wer zu protestieren wagte ebenfalls. Und überall brannten Häuser, hingen Leichen an Laternen und kreisten Aasfresser am Himmel.