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Er konnte einfach verschwinden. Der Todtsteltzer war für vogelfrei erklärt worden, nicht Kit Sommer-Eiland. Kit konnte die Festung verlassen, zu den nächsten Imperialen Streitkräften marschieren und den Schutz beanspruchen, der das Privileg seines Ranges war. Der Kapitän und diese Investigatorfrau, gegen die er gekämpft hatte, würden vielleicht versuchen, ihm Schwierigkeiten zu machen, aber er konnte jederzeit behaupten, aus reiner Notwehr gehandelt zu haben. Niemand würde wagen, sein Wort als Lord anzuzweifeln.

Trotzdem verwarf Kit den Gedanken rasch wieder. Er konnte David nicht im Stich lassen.

Der Todtsteltzer richtete sich unvermittelt auf und stöhnte laut. Kit war augenblicklich zur Stelle, um ihn zu stützen. Davids Gesicht war jetzt grau, und Schmerz und Erschöpfung waren unübersehbar, doch seine Augen blickten noch immer klar. Sein Blick ging zu seinem Schwert, das ganz in der Nähe auf dem Bett lag, und er schien ein wenig Kraft aus diesem Anblick zu schöpfen. Er deutete auf den Holoschirm an der Wand vor ihm.

»Schalt den Schirm ein«, bat er seinen Freund mit schwacher, aber fester Stimme. »Ich muß wissen, was auf meiner Welt vor sich geht.«

»Du solltest dich ausruhen«, widersprach Kit. »Möglicherweise müssen wir ganz schnell wieder von hier verschwinden, falls der Steward mit genug Truppen zurückkehrt, um die Festung zu erstürmen.«

»Ich gehe nirgendwo hin«, sagte David. »Das ist mein Heim und das Heim meiner Vorfahren, und ich werde hier bleiben.

Ich werde mich dem Feind stellen. Und jetzt schalt den verdammten Schirm ein!«

Kit zuckte die Schultern und tat, wie ihm geheißen. Gemeinsam sahen die beiden rebellischen Lords eine Reihe von Schreckensszenen der eroberten Welt Virimonde. Überall standen Gebäude in Flammen, in Dörfern, Städten und Großstätten ohne Unterschied. Tote lagen aufgestapelt auf den Schlachtfeldern wie dunkles, mißgestaltetes Gemüse. Lange Flüchtlings-trecks zogen sich bis zum Horizont. Was von ihrer Habe noch übrig war, trugen sie am Leib und auf dem Rücken. Noch immer regte sich vereinzelt Widerstand. Der Untergrund hatte viele Jahre Zeit gehabt, um auf Virimonde Fuß zu fassen. Die Rebellen waren ausgebildet und besaßen auch Waffen; aber nicht genug, um erfahrenen Bodentruppen und Imperialen Kriegsmaschinen gegenüberzutreten. Und trotzdem kämpften sie weiter, unterlegen in Zahl und Bewaffnung, und die Imperialen bezahlten noch immer für jeden Zoll an Bodengewinn.

David sah seine Leute kämpfen und sterben . Er sah, wie der Boden, auf dem sie standen , fleckig von ihrem eigenen und dem Blut ihrer Feinde wurde . Er sah , wie Imperiale Kriegsmaschinen durch zerstörte Dörfer marschierten und gewaltige Stahlkolosse in der Mitte zerstörter Städte thronten, und dann mußte er den Blick abwenden. Kit schaltete den Schirm wieder ab.

»Jetzt bleibt nur noch eins zu tun«, sagte David am Ende.

»Genau«, stimmte Kit ihm zu. »Wir raffen alles zusammen, was wir tragen können, und suchen das Weite. Irgend jemanden werden wir schon bestechen können , damit er uns von Virimonde wegschafft. Aber wohin? Vielleicht zur Nebelwelt?

Was meinst du?«

»Nein«, entgegnete David. »Ich hab’ dir schon einmal gesagt: Ich fliehe nicht. Ich werde mich ergeben.«

»Was? Hast du den Verstand verloren? Du kannst bestenfalls darauf hoffen, einen Schauprozeß und anschließend eine schnelle Hinrichtung zu erhalten. Auf Nebelwelt wären wir wenigstens…«

»Nein! Nein! Falls ich mich ergebe und den Rebellen sage, daß sie die Waffen niederlegen sollen, hören die Kämpfe auf.

Meine Leute wären in Sicherheit. Viel zu viele sind bereits gestorben, Kit. Warum die Qual unnötig verlängern? Für mich zählt nur noch eins: Ich muß mein Volk schützen, so gut ich kann.«

Kit funkelte den Todtsteltzer an. »Seit wann bist du so verdammt edel? Das sind nur Bauern, weiter nichts!«

»Nein«, widersprach David. »Das sind meine Bauern. Das Band der Verpflichtung und Treue gilt für beide Seiten. Ich habe es nur heute erst richtig begriffen.« Er grinste traurig.

»Lange genug hat es ja gedauert. Aber ich glaube, ich habe endlich verstanden, was es heißt, ein Todtsteltzer zu sein.

Schalt den Schirm wieder ein. Sieh zu, daß du einen der Verantwortlichen erreichen kannst

Kit erkannte die Entschlossenheit im Gesicht seines Freundes und verstummte. Wie sich herausstellte, war es überraschend einfach, den Mann zu erreichen, der die gesamte Invasion leitete. General Shaw Beckett an Bord des Imperialen Sternenkreuzers Elegance blickte vom Schirm herab auf die beiden Rebellen und verbeugte sich höfisch.

»Mylord Todtsteltzer, Mylord Sommer-Eiland. Gut, daß Ihr Euch meldet. Vergebt mir meine Offenheit, David, aber Ihr seht nicht gerade aus wie das blühende Leben.«

»Aber ich lebe noch, General«, erwiderte David mit ruhiger, gleichgültiger Stimme. »Ich möchte Euch meine Kapitulation anbieten.«

»Sehr ehrenhaft von Euch, Mylord. Ich begrüße Eure Geste.«

Beckett schnitt eine traurige Grimasse. »Unglücklicherweise habe ich in der Zwischenzeit neue Befehle von der Imperatorin persönlich. Ich darf Eure Kapitulation unter gar keinen Um-ständen akzeptieren. Sie will Euch tot, Mylord, und die Rebellion niedergeschlagen. Meine Truppen haben Holokameras mitgenommen. Überall im Imperium sind die Bürger live bei der Einnahme von Virimonde dabei. Die Imperatorin beabsichtigt, ein Exempel zu statuieren. Es tut mir leid. Ich kann Eurem Freund, dem Sommer-Eiland, einen gewissen Schutz gewähren, falls Ihr es wünscht. Ich habe keine Befehle für seinen unmittelbaren Tod. Ich gebe Euch mein Wort…«

»Ich denke drüber nach«, unterbrach ihn Kit.

Der General nickte langsam. »Überlegt nicht zu lange, Mylord«, sagte er.

David grinste den General erschöpft an. »Dann haben wir uns vermutlich nichts mehr zu sagen, nicht wahr, Shaw? Das Schicksal hat für jeden von uns einen Weg vorgegeben , und wir können nichts weiter tun, als ihm bis zu seinem Ende zu folgen. Verzeiht mir, wenn ich Euch nicht viel Glück wünsche.«

»Ich verstehe, Mylord.« General Beckett verabschiedete sich mit militärischem Gruß. »Ich wünsche Euch einen guten Tod, Todtsteltzer.«

Sein Gesicht verschwand vom Schirm, und Kit schaltete den Empfänger ab. Er sah David an. »Leg dich wieder hin. Versuch dich ein wenig auszuruhen. Du mußt dir etwas einfallen lassen, wie wir aus dieser Sache wieder rauskommen. Du bist der Denker in dieser Partnerschaft, oder hast du das vergessen?«

»Er hat recht, Kit. Du solltest nicht hier bei mir bleiben.«

»Tu ich aber.«

Sie lächelten sich an. David streckte die Hand nach Kit aus.

Der Sommer-Eiland nahm sie in seine beiden Hände und drückte sie fest. Davids Hand war feucht und kalt wie der Tod.

David sank wieder aufs Bett zurück, und Kit half ihm dabei.

Seine ganze Seite war inzwischen blutig rot. Kit hielt noch immer seine Hand. Plötzlich wurde es draußen laut. Kit ließ Davids Hand los und trat zum Fenster. Vor dem Haupttor der Festung war der Steward mit seinen Männern und einer kleinen Armee Imperialer Truppen aufmarschiert. Sie wurden angeführt vom Hohen Lord Dram persönlich, und in seiner Begleitung befanden sich Kapitän Johan Schwejksam und Investigator Frost.

Tobias Shreck und sein Kameramann Flynn rannten eine enge Gasse entlang. Die Häuser zu beiden Seiten brannten lichterloh wie Freudenfeuer unter einem blutigroten Himmel. Die Luft war dick von fettem, schwarzem Ruß und glühender Asche, und es war so heiß, daß sie sich Gesicht und Hände verbrannten . Flynns Kamera tanzte über ihnen in der Luft, schoß die besten Aufnahmen, die unter diesen Umständen möglich waren, und schickte alles live hinaus. Hoch oben regneten Tod und Zerstörung aus Imperialen Kriegsschiffen herab, und Energiestrahlen von ganzen Batterien von Disruptorkanonen brachten Häuser zum Einsturz und zerfetzten Straßen. Überall rannten Leute durcheinander, und alle hielten irgendeine Art von Waffe in den Händen. Tobias wußte längst nicht mehr, wo auf Virimonde sie sich gerade befanden. Eine brennende Stadt sah aus wie die andere, und wohin sie auch kamen, überall legen Berge von Leichen im Weg. Männer, Frauen und Kinder lagen in anonymen, blutgetränkten Gruppen übereinander, niedergestochen und zerhackt oder verbrannt im Energiefeuer eines Disruptors. Tobias hatte in seinem Leben noch kein derartiges Gemetzel gesehen. Die Löwenstein mußte den Verstand verloren haben. Das hier ging weit über die Bestrafung eines Rebellionsversuchs hinaus, und es war auch weit mehr als ein Exempel, um andere Welten zu entmutigen. Nichts im Universum konnte ein derartiges Blutbad rechtfertigen. Hin und wieder kam ihm der Gedanke, daß seine Aufnahmen wahrscheinlich sensationell waren. Niemand hatte jemals zuvor eine Invasion aus so großer Nähe gefilmt. Er hoffte nur, daß irgend jemand es sah. Er traute den Imperialen Schiffen durchaus zu, alle Signale bis auf die eigenen zu stören. Tobias schnitt im Rennen eine Grimasse. Er war müde; doch er haßte den Gedanken, daß all seine Mühe umsonst gewesen sein könnte.